Meloni und Wilders - Ein lehrreicher Tag für Scholz und die deutsche Politik

Der Besuch der rechten italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der gleichzeitige Wahlsieg des Populisten Geert Wilders in den Niederlanden machen auch deutlich, dass Deutschlands Brandmauer kein zukunftsfähiges Prinzip sein kann.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Giorgia Meloni, Premierministerin von Italien / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Für Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Mitregierenden war der 22. November kein guter Tag. Das fundamentale Scheitern der gesamten Politik, für die die Ampel und er persönlich stehen, wurde ihm in einer Art Doppelwumms nun auch noch einmal aus den europäischen Nachbarländern überdeutlich gemacht. 

Es geht um das Scheitern der nun durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsbrüchig verurteilten finanziellen Basis der Ampelkoalition einerseits. Und es geht auch um ein noch tiefer liegendes und weit vor die Ampel zurückweisendes Scheitern, das Scholz längst nicht allein zu verantworten hat, nämlich das absehbare Scheitern des Umgangs mit der AfD. 

In einem kurzen Augenblick des Besuchs der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Mittwoch in Berlin wurde beides zusammen deutlich. Scholz, der sonst berühmt ist für seine automatenhafte Außendarstellung, ließ während der anschließenden Pressekonferenz erkennen, dass ihm das so schmerzlich bewusst ist, dass sein Scholzomatengesicht kurz entgleiste. Eine Journalistin, ausgerechnet eine von der sonst durchaus nicht allzu ampelfeindlichen ARD, hatte gefragt, ob Deutschland angesichts der Haushaltskrise noch ein verlässlicher Partner ist. Das war natürlich nicht wirklich eine Frage, sondern eine Provokation. Aber dass sie Scholz in sein gepanzertes Herz traf, ist auf den Video-Bildern unübersehbar.

Nicht Scholz wurde diese Frage gestellt, sondern Meloni. Der Frau, die einerseits als vermeintliche „Postfaschistin“ in den Augen des deutschen politmedialen Establishments in dieselbe Kategorie wie die hiesige AfD gehört, also hinter eine unüberwindliche „Brandmauer“. Die aber nun einmal Ministerpräsidentin des drittgrößten EU-Landes ist und die Italien nicht ins internationale Abseits und auch nicht in eine Finanz- und Wirtschaftskatastrophe bugsiert, sondern zum Beispiel mit Deutschland einen gemeinsamen „Aktionsplan“ zur wirtschaftlichen Kooperation beschlossen hat. Und Scholz nennt sie ganz öffentlich vor der Weltpresse „liebe Giorgia“. 

Ausgerechnet diese rechte Ministerpräsidentin dieses Italiens, das als großer Schuldenstaat stets das Sorgenkind der EU war (und es natürlich de facto weiterhin bleibt), wird nun also indirekt als ein stabileres Land dargestellt als Scholz‘ Ampel-Deutschland. Ausgerechnet von einer öffentlich-rechtlichen Journalistin. 

Die Wahl in den Niederlanden als Lehre

Aber das war eben nicht das einzige Zeugnis des Scheiterns deutscher Politik an diesem Novembermittwoch. Die Niederländer haben die Partei PVV von Geert Wilders, Inbegriff eines Rechtspopulisten und sozusagen die AfD oder Meloni-Partei ihres Landes, zur stärksten Fraktion im Parlament gewählt. Das ist natürlich keine direkte Folge der Ampel-Politik. Aber das Ergebnis wird dennoch ebenso wie Melonis Amtsübernahme in Italien dazu beitragen, Deutschlands Lage in den Augen der eigenen Bürger und der Weltöffentlichkeit zu verändern. Deutschland ist eben gerade kein Vorbild für den Rest der Welt, wie grüne Tranformationspolitiker das fantasieren, sondern eher das Gegenteil.   

 

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Das Wahlergebnis der Wilders-Partei ist nicht sehr verschieden von den Aussichten für die AfD laut Umfragetrends bei den drei nächsten Landtagswahlen im kommenden Jahr. Die Niederlande sind sozioökonomisch ein Deutschland ziemlich ähnliches Land, auch was die Migration und die mit ihr einhergehenden Probleme angeht. Auch in den Niederlanden ist die PVV bislang von Regierungsverantwortung ausgeschlossen worden, aber das hat ihre Erfolge dort ebenso wenig verhindert wie die Brandmauer den Aufstieg der AfD in Deutschland. 

Nun hat Dilan Yesilgöz, die Nachfolgerin des Noch-Ministerpräsidenten Mark Rutte an der Spitze der rechtsliberalen VVD, aber schon vor der Wahl getan, was in Deutschlands etablierten Parteien bisher als tiefster annehmbarer Sündenfall gehandelt wird. Sie schloss eine Koalition nicht aus und sagte nach Bekanntgabe des Ergebnisses: „Wir werden das in der Fraktion gut abwägen. Dann schauen wir, wohin das führt.“ Auch die neue Zentrumspartei NSC hat Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. 

Mäßigung ist angesagt

Mindestens genauso wichtig ist: Wilders selbst, dessen Aufstieg mit der Forderung nach dem Verbot des Islam verbunden war, hat schon vor der Wahl aber auch unmittelbar danach deutlich Mäßigung und Kompromissbereitschaft signalisiert. So wie das Meloni in Italien auch tat und in ihrer Regierung seither so wirksam praktiziert, dass manche ihrer Anhänger (vor allem außerhalb Italiens) schon wieder enttäuscht von ihr sind. Wilders sagte, er wolle ein „Premier aller Bürger sein“. Die in seinem Parteiprogramm angestrebte Zwangsschließung von Moscheen sei aktuell kein Thema, versicherte er. Priorität habe jetzt, den „Asyl-Tsunami“ zu begrenzen. Auch über den Austritt aus der EU, der in seinem Programm gefordert wird, hört man keine lauten Worte. Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn ausgerechnet der Islam-Verächter Wilders mit der Tochter türkischer Exilanten koaliert.

Wie können deutsche Regierungspolitiker, aber auch Unionspolitiker weiter die „Brandmauer“ zur AfD und deren Kennzeichnung als nicht-demokratische Paria-Partei glaubwürdig für ihr eigenes Land einfordern, wenn sie zugleich mit der „lieben Giorgia“ freundschaftlich kooperieren und demnächst vielleicht auch mit einem „lieben Geert“ aus Den Haag?  

Nicht nur Scholz und die SPD, sondern die gesamte politische Klasse Deutschlands und nicht zuletzt auch die AfD können aus den Wahlsiegen der Populisten in den Niederlanden, in Italien, in Schweden und anderswo in Europa, aber auch deren Niederlage in Dänemark wichtige Lehren ziehen. Die AfD kann, wenn bei ihren führenden Köpfen noch nicht Hopfen und Malz völlig verloren ist, nur einen Schluss aus der Beobachtung der Entwicklung im europäischen Ausland ziehen: Nicht Radikalisierung, sondern Mäßigung ist angesagt. 

Politische Gegner, nicht Feinde

Für die etablierten Parteien heißt das: Akzeptanz der polititschen Bedürfnisse, die die Wähler zu den Populisten treiben. Wer diese Bedürfnisse nicht selbst bedienen will, muss sich eben mit den neuen Anbietern irgendwie arrangieren. Dass deren Vernichtung durch Ausgrenzung bei gleichzeitigem Weiter-so des eigenen Programms nicht funktioniert, darf nicht länger ignoriert werden. 

Melonis schon praktizierte und Wilders‘ absehbare Mäßigung, die von den etablierten Parteien und gesellschaftlichen Kräften durch Einbindung in die systemischen Machtstrukturen angetriggert werden, führen zu praktikablen Verhältnissen und maßvollen politischen Wendungen auf nationaler und europäischer Ebene. Sie erlauben es, neue Bedürfnisse der Bürger – nicht zuletzt die deutliche Reduzierung der Armutsmigration – zu befriedigen ohne unkontrollierte, revolutionäre, zerstörerische Umwälzungen. 

Was in Italien und in den Niederlanden nun vermutlich auch passiert, sind beruhigende Belege dafür, dass die repräsentative Demokratie funktioniert, wenn politische Gegner sich nicht als illegitime Feinde betrachten. 

Die Brandmauer als Sackgasse

Scholz‘ Ampelregierung und generell die Lage in Deutschland wirken dagegen beunruhigend festgefahren in einer nicht nur sachpolitischen, sondern auch parteipolitischen Sackgasse. So gescheitert wie der auf einem verschleierten verfassungsbrecherischen Schuldenexzess errichtete Hurra-Transformismus der Ampel, der die deutsche Gesellschaft in eine tiefe nicht nur ökonomische Depression führte, so offenkundig gescheitert ist auch das Konzept der Brandmauer. Es ist letztlich eine der fatalen Erbschaften der Merkel-Ära, die in der Alternativlosigkeit zu einem moralisch überhöhten Prinzip erhoben wurde.  

Die verschobenen Machtverhältnisse in Italien, in den Niederlanden und anderen europäischen Ländern machen deutlich, dass Deutschland mal wieder wie schon mehrfach in seiner Geschichte ein europäischer Nachzügler ist. Die deutsche Prinzipienreiterei und Sturköpfigkeit birgt Gefahrenpotential für Deutschland und Europa. Politische Bedürfnisse verschwinden nicht einfach, wenn sie dauerhaft moralisch delegitimiert werden. Sie stauen sich dann auf und erhöhen den Druck. 

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