Maybrit Illner über die Energiekrise - „Das Entlastungspaket kommt noch diese Woche“

„Hat die Ampel keine Strategie in der Energiekrise?“, fragte Maybrit Illner am Donnerstagabend in ihrer Talkrunde. Ein komplexes Thema, das zu viele Gäste in zu kurzer Zeit diskutieren sollten. Immerhin machte Grünen-Chefin Ricarda Lang ein konkretes Versprechen. Klimaaktivistin Luisa Neubauer stichelte gegen ihre Partei, die Grünen – und legte nahe, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) müsse eigentlich zurücktreten.

Talkrunde bei Maybrit Illner im ZDF / Screenshot ZDF
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Etwas „Wuchtiges“ für die „ganze Breite der Gesellschaft“ will Finanzminister Christian Lindner (FDP) für das zu erwartende dritte Entlastungspaket. Nach Robert Habecks Gasumlagenfiasko und der unverhohlenen Häme aus FDP und SPD entstand zuletzt allerdings nicht der Eindruck, dass die Ampel-Koalition für erfolgreiche Gemeinschaftsprojekte zu haben ist.

Entsprechend das Thema: „Ampel unter Druck – Keine Strategie in der Energiekrise?“, fragte Maybrit Illner am Donnerstagabend ihre Talkrunde. Zu Gast waren Grünen-Chefin Ricarda Lang, FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr, Klimaaktivistin und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer, NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU), Journalistin Eva Quadbeck vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).

Eine lange Gästeliste für eine kurze Sendung, die sich ein ziemlich allgemein gehaltenes Oberthema mit zahlreichen Baustellen – Neun-Euro-Ticket, Atomkraftverlängerung, Habecks verkorkste Gasumlage, etc. – gesetzt hat. Viel Zeit blieb für die jeweils abzuarbeitenden Themen also nicht, jeder durfte kurz mal seinen Standpunkt anreißen, ehe Moderatorin Illner – mit permanentem Blick auf die Uhr – zum nächsten Thema drängte.

Ex-Realo-Schreck Ricarda Lang

„Findet gerade die Entzauberung von Robert Habeck vom Posterboy zum Patzerboy statt?“, fragte Illner zum Auftakt Quadbeck. Habeck habe „grobe handwerkliche Fehler“ gemacht, so die RND-Journalistin. Auffällig sei, dass die anschließende Häme und Kritik nicht nur aus der zweiten Reihe, sondern von FDP- und SPD-Politikern aus der ersten Reihe gekommen ist – was zeige, dass es in der Koalition „ordentlich ruckelt“. Die überdemonstrativen Bilder der harmonischen Eintracht aus Meseberg seien deswegen angesichts der offensichtlichen Fliehkräfte der Koalition selbstverständlich mehr Schein als Sein. „Die Koalition kommt zu spät mit diesem Entlastungspaket“, so Quadbecks Urteil, es hätte schon in Meseberg vorgelegt werden und bestenfalls zum 1. September eingeführt werden müssen.

Woraufhin Grünen-Chefin Ricarda Lang versprach, das Paket werde noch in dieser Woche kommen. Wenn es nach ihr geht, mit Direktzahlungen an die Bürger für den Winter und einer Weiterentwicklung des Neun-Euro-Tickets. Sie könne ja verstehen, dass der eine oder andere in Hinblick auf die Ankündigungen im Koalitionsvertrag enttäuscht ist. Doch die ersten beiden Entlastungspakete hätten bewiesen, dass die Ampel dazu in der Lage sei, gemeinsame Lösungen zu finden, entgegnet sie Kritikern. Wer es noch nicht gemerkt hat: Langs Wandlung vom Realo-Schreck zur Regierungskrisensprecherin ist vollzogen.
 

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Der zugeschaltete Christian Dürr knüpfte an Langs Wunsch nach einer Fortführung des Neun-Euro-Tickets an. Der FDP-Fraktionsvorsitzende lobte die digitale Umsetzung des „unkompliziertesten ÖPNV-Tickets Europas“. Daran müsse man anknüpfen, bei den neun Euro könne es aber nicht bleiben – im Gegensatz zu Gigantoprojekten wie der Bundeswehraufrüstung sei an dieser Stelle kein Geld da.

Ende des Monats vs. Ende des Jahrzehnts

Den von Lang angepriesenen Erfolg der ersten beiden Entlastungspakete ließ NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) so nicht stehen. Das dritte Entlastungspaket müsse endlich das nachholen, was die ersten beiden Pakete versäumt hätten. Nicht die „breite Gesellschaft“ solle der Hauptfokus sein  – so habe man versäumt, Normalverdienern zu helfen, die keine Rücklagen haben, und die Rentner zu entlasten. Er habe den Verdacht, dass die Leute, die an den Entlastungspaketen gefeilt haben, gar nicht wissen, wie hoch bzw. niedrig die Durchschnittsrente in Deutschland ist.

Durch Klima-Aktivistin Luisa Neubauer, die relativ spät zu Wort kam, kam ein Hauch von Konfrontation in die Runde. Man dürfe „das Ende des Monats nicht gegen das Ende des Jahrzehnts auszuspielen“, sagte sie. Wenn die Bundesregierung versucht, bezahlbare und sichere Energie in diesem Winter für die Menschen zu organisieren, dürfe sie nicht den Kampf gegen den Klimawandel vernachlässigen. Die derzeitigen Milliardeninvestition in Flüssiggas und das Kohle-Revival seien eine „fossile Renaissance“. „Die Ahrtalflut ist ein Extremwettereignis gewesen, was in wenigen Jahrzhenten in Deutschland alle paar Wochen und Monate auftreten kann wenn wir so weiter machen“, so Neubauer. Langfristig werde mit fossiler Energie so auch dem vielzitierten Wohlstand geschadet.

 

 

Eine konkrete Antwort auf das aktuelle Ende-des-Monats-Dilemma hatte sie nicht, nur eine Versäumniskritik und einen allgemeinen Appell für erneuerbare Energien: „Die hohen Kosten gegenwärtig sind keine Kosten für den Klimaschutz. Im Gegenteil. Weil erneuerbare Energien nicht ausgebaut wurden und wir uns in die Abhängigkeit von fossilen Energien begeben haben, sind wir in dieser Situation.“ Der Weg zur Unabhängigkeit seien erneuerbare Energien, so Neubauer. „Wenn man jetzt in Lichtgeschwindigkeit LNG-Terminals bauen kann, dann muss man doch auch in Lichtgeschwindigkeit die erneuerbaren Energien ausbauen können. Das muss doch die große Botschaft sein.“ Diesen und nächsten Winter wird die Botschaft allerdings nicht warmhalten können.

Wissings „Klimaschutzboykott“

Auf den Appell für erneuerbare Energien stieg Ricarda Lang erwartungsgemäß mit ein, wurde aber von ihrer Parteikollegin Neubauer abgewatscht: „Selbst wenn Teile der Regierung loslegen wollen, wird das kontinuierlich von anderen Teilen unterwandert und boykottiert. Da müssen sich die Grünen schon fragen, ob sie das Koalitionsklima oder das Weltklima retten wollen“, so Neubauer in Richtung Grünen und FDP – und auch speziell in Richtung Verkehrsminister Volker Wissing.

Neubauer legte mal eben so beiläufig nahe, dass Wissing eigentlich zurücktreten müsste. Dessen „Boykott“, die gesetzlichen Klimaschutzziele einzuhalten, sei Arbeitsverweigerung und in jedem anderen Berufsfeld ein Rücktritts- bzw. Kündigungsgrund. Der Expertenrat Klima gab Wissing jüngst für sein Sofortprogramm eine glatte Sechs – er gebe sich keine Mühe, die Vorgaben zu erfüllen, so der Rat.

Nun war Christian Dürr genötigt, seinen Parteikollegen zu verteidigen – was etwas unbeholfen ausfiel. Dürr gab letztendlich Wissings Vorgänger Andreas Scheuer (CSU) die Schuld, mit dessen verbranntem Rasen Wissing nun fertig werden müsse. Deutlich werden also einmal mehr die Fliehkräfte zwischen FDP und ihren Koalitionspartnern.

Grünen schließen Atomkraft nicht aus

Damit zu einem weiteren möglichen Konfliktpunkt der Koalitionspartner: „Es ist nicht vermittelbar, dass während manche unglaublich harte Zeiten haben, einzelne Konzerne riesige Gewinne machen“, sagt Ricarda Lang.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, aus Brüssel zugeschaltet, wie ihre Behörde die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen will, die enormen (Über-)Gewinne der Energieversorger abzuschöpfen und auf ärmere Haushalte umzuverteilen. Auch ein Neudesign am europäischen Strommarkt und eine Deckelung des Preises für russisches Öl will die EU laut von der Leyen erzielen.

Die Abschöpfungsidee finden in Illners Runde im Grunde alle gut. Auch Christian Dürr ist nicht abgeneigt, zumal er eine direkte Abschöpfung besser findet als den Weg über eine Besteuerung, bei der das Geld zunächst beim Staat landet.

Und schon das nächste und letzte Thema, für das dann allerdings kaum noch Zeit blieb. Atomkraftverlängerung, ja oder nein? Auf jeden Fall dafür: FDP-Mann Dürr und CDU-Mann Laumann. Ricarda Lang vollbrachte das diplomatische Kunststück, Atomkraft zu verdammen – weil die unsicheren Atomkraftwerke in Frankreich ausfallen, wird der deutsche Strom teurer – und gleichzeitig als Option für die Grünen offenzuhalten. Wenn der „Stresstest“ kommt, so Lang sinngemäß, würden die Grünen diese ganze Atomkraftangelegenheit durchaus in Erwägung ziehen.

Stichwort teurer Strom: Löblich anzumerken ist, dass das ZDF-Programm an diesem Abend noch einen Anreiz zum Stromsparen gesetzt hat: Im Anschluss an Illners Sendung war mal wieder Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei Markus Lanz zu Gast.

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