Lützerath-Debatte bei Anne Will - Klima der Gewalt

Bei Anne Will ging es am Sonntagabend um die eskalierten Proteste in Lützerath. Wegen einseitiger Auswahl der Gäste war die Sendung schon vorab kritisiert worden. Tatsächlich waren mit Greta Thunberg und Luisa Neubauer gleich zwei Klima-Aktivistinnen mit dabei – und keine der beiden wollte sich von der Gewalt vor Ort distanzieren. Insbesondere Thunberg legte einen bizarren Auftritt hin.

Die Talkrunde bei Anne Will am Sonntagabend / ARD
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Kampf um Lützerath – Zerreißprobe für die deutsche Klimapolitik?“: Die unter dieser Frage stehende Talkrunde von Anne Will hatte schon vor der Aufzeichnung wegen der Gästeauswahl für einigen Wirbel gesorgt. Denn neben Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln und dem nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul (CDU) waren „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer und die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang eingeladen worden ebenso wie der eher Grünen-freundliche Klimaforscher Mojib Latif aus Hamburg; zudem hatte Will die „Fridays for Future“-Mitbegründerin Greta Thunberg für die Sendung vorab interviewt.

Entsprechend lautete die Kritik einiger Stimmen insbesondere aus dem Unionslager: Einseitigkeit bei der Besetzung des Panels. Das wäre erstens kein neues Phänomen bei Anne Will, deren Sendung zum Ende dieses Jahres eingestellt wird. Und zweitens bemisst sich die Kraft der Argumente nicht an der schieren Zahl derer, die sie vorbringen. Was sich an diesem Sonntagabend sehr deutlich gezeigt hat.

Das Greta-Orakel

Insbesondere der Auftritt von Thunberg, mittlerweile auch schon 20 Jahre alt, war geradezu erschreckend banal; die Schwedin wurde von Will befragt wie ein Orakel – und gab entsprechende Antworten. „Was auch immer ich sage, Menschen interpretieren es unterschiedlich“, war einer dieser Sätze, mit denen man alles oder insbesondere auch gar nichts anfangen kann.

Die Moderatorin war eigens nach Lützerath gereist, um Thunberg vor die Kamera zu bekommen, wohin sich die Klimaaktivistin begeben hatte, um sich mit den Demonstranten solidarisch zu zeigen. Dass einige von ihnen auch vor Gewalt gegen die Einsatzkräfte nicht zurückschreckten (Molotow-Cocktails, Silvesterraketen, Steine etc.) schien Thunbergs Problem nicht zu sein. Darauf angesprochen erwiderte sie: „Polizeigewalt mag in verschiedenen Sprachen Unterschiedliches bedeuten.“ Noch so ein Null-Satz.

Ansonsten spulte sie ihr wie auswendig gelernt erscheinendes Weltuntergangsszenario ab, sprach davon, dass man den Lützerath-Kompromiss „nicht akzeptieren“ könne – und wies Deutschland die Rolle zu, „historisch einer der größten Klimasünder“ zu sein und damit mitverantwortlich für Leid, Elend, Tod und Verderben auf der ganzen Welt. Man merkt, dass die Holocaust-Vergleiche immer näher rücken. Es war in dieser Mischung aus Ahnungslosigkeit über die Verhältnisse vor Ort und dem prophetenhaft-apokalyptischen Daherreden ein insgesamt erschütternder Auftritt von Greta Thunberg, die von Will als „Weltstar der Klimabewegung“ vorgestellt wurde.

Neubauer distanziert sich nicht von Gewalt

Wie Thunberg wollte sich übrigens auch Luisa Neubauer nicht explizit von den Gewalttaten der Demonstranten in Lützerath distanzieren und schob stattdessen wiederholt der Polizei die Verantwortung für die Eskalation bei den Protesten während der vergangenen Tage zu. Auch auf mehrfache Nachfrage der Moderatorin betonte sie lediglich, man habe zu „friedlichen Protesten“ aufgerufen. Ansonsten sei der Marsch etlicher Demonstranten an die Lützerather Abbruchkante „vielleicht nicht legal“ aber eben doch „legitim“ gewesen. Die Einsatzkräfte hingegen hätten „völlig unverhältnismäßig“ reagiert, Menschen auf die Köpfe geschlagen und sich insgesamt „unprofessionell“ verhalten.
 

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Diesem Eindruck widersprach Innenminister Reul vehement. Der Einsatz sei vielmehr „hochprofessionell“ erfolgt; Gerüchten über Polizeigewalt werde man nachgehen und alles vorbehaltlos aufklären. Fakt sei aber, dass es Absprachen zwischen der Polizei und den Demonstranten gegeben habe, an die sich letztere plötzlich nicht mehr gehalten hätten. Reul sagte, die Veranstalter der Lützerather Proteste hätten nicht zur Mäßigung aufgerufen; stattdessen seien Wellenbewegungen organisiert worden, innerhalb derer sich Gewalttäter verschanzt hätten.

Der wohl nachhaltigste Einwand gegen die Lützerather Aktivisten-Festspiele kam vom Ökonomen Michael Hüther, der sichtlich darum bemüht war, seiner ihm zugedachten Rolle als „Stimme der Vernunft“ gerecht zu werden: Anstatt über die Klimaproblematik zu sprechen, werde jetzt vor allem über Gewalt diskutiert – was ja gewiss nicht im Sinne der Sache sein könne. Hüther nannte Lützerath „völlig irrelevant“ und ein „falsches Symbol“ im Zusammenhang mit Klimaschutz, der nur global bekämpft werden könne.

Und er kritisierte, dass in Deutschland demokratische Entscheidungen, wie sie auch dem von den Grünen mitverhandelten nordrhein-westfälischen Kohle-Kompromiss zugrunde liegen, von Klima-Aktivisten einfach beiseitegeschoben würden. Die Lützerather Proteste, so Hüther, hätten das Potential, die Grünen unter Druck zu setzen, weil aus Sicht von „Fridays for Future“ und Co. ohnehin nie genug in Sachen Klimaschutz unternommen werde.

Hüther für Weiterbetrieb der AKWs

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln erinnerte daran, dass es vielgescholtene Energiekonzerne wie RWE seien, die auch die Infrastruktur bereitstellen, damit überhaupt erneuerbare Energien ins Netz gespeist werden können – und plädierte für eine Laufzeitverlängerung für die noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke: In der aktuellen Situation und insbesondere wegen ausbleibender Gas-Lieferungen aus Russland benötige die Bundesrepublik „alle Flexibilität“ bei der Energieerzeugung.

In diesem Punkt bekam Hüther vehementen Widerspruch vom Hamburger Klimaforscher Mojib Latif, der die im Sommer ausgefallenen französischen Kernkraftwerke als Beispiel dafür nannte, warum dieses Segment keine Lösung sei. Ansonsten plädierte Latif für einen raschen Ausbau insbesondere von Windkraftanlagen und übte scharfe Kritik an RWE: Der Kompromiss mit dem Betreiber des Braunkohle-Tagebaus von Garzweiler habe deutlich gemacht, dass weitergehende Einschränkungen (also ein um acht Jahre vorgezogener Förderstopp) entgegen ursprünglicher Konzernaussagen eben doch möglich seien. RWE sei mithin kein vertrauenswürdiges Unternehmen.

Parteiaustritt?

Die Frage des Abend war natürlich auch: Wie verhalten sich die Grünen angesichts der Lützerather Proteste? Eingeladen worden waren Aussagen von Will zufolge offenbar Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke – doch hätten beide Grünen-Spitzenpolitiker abgesagt. Also kam eben die Parteivorsitzende Ricarda Lang zu Wort, die den Weg ins Studio immerhin nicht gescheut hatte und ihre Zwiegespaltenheit offenbarte.

Vor zwei Jahren, räumte Lang unumwunden ein, wäre sie selbst wahrscheinlich bei den Protesten vor Ort mit dabei gewesen. Ansonsten verteidigte Lang tapfer den Kompromiss, den Habeck und seine nordrhein-westfälische Amtskollegin Mona Neubaur (ebenfalls von den Grünen) in Sachen Braunkohletagebau verhandelt haben. Wegen des Ukrainekriegs herrsche derzeit eben ein erhöhter Kohlebedarf in Deutschland; das Thema AKW-Laufzeitverlängerung blieb Ricarda Lang in diesem Zusammenhang erspart.

Die Grünen-Chefin gab sich überzeugt, dass die Lützerather Proteste weder der Klimaschutzbewegung noch ihrer eigenen Partei schaden würden – was natürlich in die Abteilung „fromme Wünsche“ gehört. Aber was sollte Lang schon anderes behaupten vor laufenden Kameras? Immerhin fiel ihr ihre Parteifreundin Luisa Neubauer nicht in den Rücken, die auf Wills Frage, ob sie denn jetzt über einen Parteiaustritt nachdenke, zur Antwort gab: Nein, sie denke stattdessen lieber über Klimaschutz nach. Seit den jüngsten Ausschreitungen gibt es in der Tat allen Grund dafür.

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