Lisa Paus - Ministerin für Wokeness

In ihren ersten Monaten als Familienministerin fiel Lisa Paus durch identitätspolitische Vorstöße auf. Aber wie steht es um die Familienpolitik der früheren Scholz-Kritikerin?

Lisa Paus trat als Nachfolgerin von Anne Spiegel das Amt der Familienministerin an / Jens Gyarmaty
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Der breiten Öffentlichkeit war der Name von Lisa Paus nicht bekannt, als die Grünen sie im April zur Nachfolgerin der gescheiterten Bundesfamilienministerin Anne Spiegel kürten. Ihrem neuen Vorgesetzten, Olaf Scholz, dafür umso mehr. Als Grünen-Obfrau im Finanzausschuss nahm die Diplom-Volkswirtin den damaligen Finanzminister wegen seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal hart in die Mangel. „So funktioniert das System Scholz: Spuren verwischen und Nebelkerzen werfen“, lautete ihr Urteil im August 2021 via Twitter. Scholz gebe in Sonntagsreden „gerne den aufrichtigen Sozialdemokraten – hinter den Kulissen ist er eher ein ‚Genosse der Banker‘“, schrieb sie in einem Aufsatz.

Steht sie nach wie vor zu ihren Äußerungen? Paus blockt die Frage in Scholz-Manier ab: „Ich habe vor der Wahl alles zu Olaf Scholz gesagt“, sagt sie gegenüber Cicero. „Die Wählerinnen und Wähler haben jetzt so entschieden. Ich fühle mich gut im Kabinett aufgenommen, Olaf Scholz und ich kommen gut miteinander klar.“

Paus wurde 1968 im westfälischen Rheine geboren. Sie ist die Tochter des Unternehmers und Maschinenfabrikanten Hermann Paus und seiner Frau Agnes. Von 1988 bis 1999 studierte sie Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. 1995 trat sie den Grünen bei, für die sie von 1999 bis 2009 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin war. Seit 2009 gehört sie dem Bundestag an.

Voll auf Linie

Mit Familienpolitik hatte Paus bisher eher wenig zu tun. Doch sie erfüllt die wichtigsten Kriterien im grünen Quotendschungel: Sie ist eine Frau, links und alleinerziehende Mutter eines Sohnes – eine kinderlose Frau ist laut den Grünen bei der Suche nach einer Familienministerin nicht ernsthaft infrage gekommen. Außerdem ist eine Finanzpolitikerin an der Spitze des Familienministeriums an und für sich keine verkehrte Wahl. Denn dieses Haus ist für das Verteilen einer großen Menge Geld verantwortlich, vor allem in Richtung NGOs. In ihren ersten Monaten als Familienministerin ließ Paus kaum eine Gelegenheit aus, um öffentlichkeitswirksam zu demonstrieren, dass sie in ­puncto Wokeness auf Linie der von ihrem Haus geförderten Projekte ist – nicht zuletzt bei der Vorstellung des Selbstbestimmungsgesetzes zum Wechsel des Geschlechtseintrags.
 

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Als die Bundestagsgebäude anlässlich des Christopher Street Days Regenbogenfahnen hissten, war das Paus nicht inklusiv genug. Sie hisste vor ihrem Ministerium die sogenannte Progress-Regenbogenflagge mit mehr Farben, die die Anliegen von Trans- und Interpersonen sowie nichtweißer Menschen stärker in den Fokus rücken will. Mit Nancy Faeser (SPD) handelte sich Paus damit Ärger ein, denn die Innenministerin hatte in einem Schreiben ausschließlich das Hissen der regulären Regenbogenfahne genehmigt.

Und dann ist da noch die Causa Ferda Ataman. Paus’ Vorschlag, die Journalistin und Aktivistin in das Amt der unabhängigen Antidiskriminierungsbeauftragten zu heben, löste eine heftige Debatte aus. Ataman sieht in der deutschen Gesellschaft eine strukturelle Rassismusdurchseuchtheit. So sehr, dass sie in der Corona-Hochphase am Limit arbeitenden Ärzten und Pflegern einen Satz wie diesen entgegenschleuderte: „Ich habe irgendwie eine Ahnung, welche Bevölkerungsgruppen in Krankenhäusern zuerst behandelt werden, wenn die Beatmungsgeräte knapp werden.“

Entlastung von Alleinerziehenden

Islamismuskritiker wie Seyran Ates und Ahmed Mansour machte Ataman als „Kronzeug*innen der ‚Islamkritik‘“ verächtlich. „Muslime, die sich unter Nicht-Muslimen über Muslime aufregen und als ‚mutig‘ gefeiert werden“, befand Ataman. Seyran Ates steht wegen ihrer Islamismuskritik wohlgemerkt unter Polizeischutz. „Ich finde Frau Ataman großartig, weil sie sehr differenziert und tiefgehend die gesamte Thematik der Antidiskriminierung durchdringt“, verkündete Paus in einer Mitteilung unbeirrt. Cicero wollte von Paus wissen, ob es Kritik an ihrem Vorschlag gab, die sie trotz ihrer Wertschätzung für Ataman begründet fand. Antwort: Sie habe ihrer damaligen Einschätzung nichts hinzuzufügen.

Bei so viel Augenmerk auf Paus’ Identitätspolitik geht etwas unter, dass sie eigentlich für Familienpolitik zuständig ist. Paus will sich als Ministerin um die Situation von Alleinerziehenden kümmern, indem sie Alleinerziehende mit kleinem und mittlerem Einkommen entlastet. „Der Mehrbedarf getrennter Familien, der durch Umgang und Betreuung entsteht, muss steuerlich und im Sozialrecht berücksichtigt werden“, so Paus. „Zudem planen wir eine Steuergutschrift für Alleinerziehende. Die bisherige Regelung nutzt vor allem den Besserverdienenden.“ Im Kampf gegen Kinderarmut will sie „Verbesserungen beim Elterngeld“ durchsetzen. Allerdings würde ihre Definition von Kinderarmut sich auf Einkommensungleichheit beziehen und nicht auf materielle Entbehrungen, halten ihr Kritiker entgegen. Zudem sei das Elterngeld nicht zur Bekämpfung von Kinderarmut erfunden worden, sondern unter anderem als Anreiz für Gutverdiener aus der Mittelschicht, sich wieder häufiger für Kinder zu entscheiden.

Auch Paus’ Forderung, dass die verschiedenen Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen zur Ausbildung von Ärzten gehören sollten, ließ viele ratlos zurück. Allein schon deswegen, weil niemand verpflichtet werden kann, an Abtreibungen teilzunehmen. Der Verdacht tat sich auf, dass die Ministerin mit ihrem Vorschlag eher linkes virtue signalling betreiben wollte, als einen ernsthaften politischen Vorschlag zu unterbreiten.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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