Gruppe statt Fraktion? - Die Linke: Pläne fürs Comeback

Die Partei Die Linke befindet sich im Niedergang. Doch ihr Ende ist noch nicht besiegelt. Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem Ältestenrat im Bundestag zu.

Will weitermachen wie bisher: Noch-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch / dpa
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Hubertus Knabe arbeitet als Historiker an der Universität Würzburg, wo er über Mordanschläge des DDR-Staatssicherheitsdienstes forscht. Von 2000 bis 2018 war er wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen.

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Zumindest optisch ist die Linke bescheidener geworden. Nach der Ankündigung ihrer ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht, Anfang nächsten Jahres eine neue Partei zu gründen, hat sie sich ein neues Logo zugelegt: Statt in Großbuchstaben wird der Schriftzug „Die Linke“ neuerdings kleingeschrieben.

Davon abgesehen ist in der Partei von Bescheidenheit wenig zu spüren, erst recht nicht von Selbstkritik oder Neuorientierung. Auf ihrem Europa-Parteitag am vergangenen Wochenende in Augsburg versuchte die Führung stattdessen, mit alten Inhalten den Eindruck eines Aufbruchs zu erwecken. „Wir haben jetzt eine echte Chance,“ erklärte die Vorsitzende Janine Wissler, „die Lähmung hinter uns zu lassen und die Lösung der Probleme gemeinsam anzupacken.“

Ob das gelingt, ist ziemlich ungewiss. Bei der Europawahl im Juni nächsten Jahres versucht die Linke, mit Kandidaten zu punkten, die der Partei nicht angehören. So wurde auf Platz 2 Carola Rackete gewählt, die durch die Bergung illegaler Migranten im Mittelmeer bekannt wurde. Auf die Stammwähler der Linken in Ostdeutschland dürfte dies jedoch eher abschreckend wirken, da viele den ungebremsten Zuzug von Asylbewerbern kritisch sehen. Die Kritik an der „Militarisierung der EU-Außengrenzen“, wie es im Wahlprogramm für die Europawahl heißt, könnte sie dazu motivieren, lieber Wagenknechts Partei zu wählen.

Um eine Zersplitterung des Parlaments zu verhindern, haben dort nur Fraktionen etwas zu sagen

Zuversicht versucht die Linke auch bezüglich der Mitgliederzahlen zu verbreiten. Im vergangenen Jahr sind diese von 60.000 auf 54.000 gefallen. Das wirkt sich auch auf die Finanzen aus, da Parteien für jeden Euro, den sie von natürlichen Personen erhalten, einen staatlichen Zuschuss von 45 Cent bekommen. Zu Wochenbeginn teilte die Partei mit, seit Wagenknechts Austritt habe sie 1567 neue Mitglieder gewonnen (und 838 verloren). Der Zustrom kommt vor allem aus den Großstädten. So traten in Berlin – und dort vorzugsweise in den innerstädtischen Bezirken – 508 Personen neu ein. Mehr als die Hälfte folgte dabei einem bundesweiten Aufruf linksradikaler Gruppen. Die Partei wird damit noch mehr zur linksalternativen Großstadtpartei – also zu dem, was Wagenknecht als „Lifestyle-Linke“ kritisierte.

Entscheidend für ein Comeback der Linken wird allerdings sein, welche Rolle sie in nächster Zeit im Deutschen Bundestag spielt. Noch-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch hat angekündigt, dass sich die Linksfraktion am 6. Dezember auflösen wird. Seine Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali ist im Oktober aus der Partei ausgetreten und führt jetzt den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Laut Geschäftsordnung verliert die von 38 auf 28 zusammengeschmolzene Schar der Linken-Abgeordneten damit im Bundestag fast alle Rechte.

Um eine Zersplitterung des Parlamentes zu verhindern, haben dort nämlich nur Fraktionen etwas zu sagen. Sie stellen den Präsidenten und die Vizepräsidenten, entsenden Vertreter in den Ältestenrat und haben entsprechend ihrer Stärke Anspruch auf den Vorsitz in den Ausschüssen. Mit der Auflösung der Linksfraktion ist es damit erst einmal vorbei.

Die Partei will jedoch auch im Bundestag weiterhin mitmischen. Zu diesem Zweck wollen sich die verbliebenen Linken-Abgeordneten „zügig“ als Gruppe konstituieren, wie Noch-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch ankündigte. „Wir haben eine wichtige Funktion als die soziale Opposition,“ so der Linken-Politiker, „ob wir dafür nun 38 sind oder 28, ist beinahe zweitrangig.“ Auch die Abgeordneten um Sahra Wagenknecht dürften einen solchen Zusammenschluss anstreben.

Die Linke will den Posten der Bundestagsvizepräsidentin behalten

Ob es dazu kommt, liegt in der Hand des Ältestenrates des Bundestages. Laut Geschäftsordnung müssen die Gruppen nämlich das Plenum um Anerkennung bitten. Der Bundestag entscheidet auch, welche Rechte sie erhalten sollen, wofür der Ältestenrat einen Vorschlag macht. Dem sonst eher unauffälligen Gremium aus derzeit 30 Abgeordneten kommt damit unerwartet eine Schlüsselrolle zu.

Bartsch drohte schon einmal mit den Konsequenzen, wenn der Linken die Anerkennung als Gruppe versagt würde. Da jeder einzelne Abgeordnete dann Rederecht im Parlament hätte, würden sich die Debatten womöglich stark in die Länge ziehen. „Wir müssten eventuell mit diesem Mittel arbeiten, wenn alles ewig verzögert wird,“ erklärte Bartsch, „aber ich gehe erst einmal davon aus, dass man den vernünftigen Weg versucht.“

Bei der Anerkennung als Gruppe soll es nicht bleiben. Obwohl nur Fraktionen Anspruch auf einen Posten an der Parlamentsspitze haben, will die Partei den Posten der Bundestagsvizepräsidentin behalten. „Ich habe vor, meine Aufgabe weiter zu erfüllen“, betonte Amtsinhaberin Petra Pau. Um sie loszuwerden, müsste der Ältestenrat als Gegenleistung für die Anerkennung eigentlich ihren Rücktritt verlangen. Andernfalls würde die paradoxe Situation entstehen, dass eine fraktionslose Abgeordnete die Sitzungen leitet, während der AfD-Fraktion ihr Recht auf einen Parlamentsvize seit 2017 verwehrt wird.

 

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Unionsfraktionsvize Sepp Müller hat bereits öffentlich gefordert, Pau solle zurücktreten. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wies dies umgehend zurück und äußerte ihre „persönliche hohe Wertschätzung und Anerkennung“ für die Linken-Politikerin. Auch Parlamentsvize Wolfgang Kubicki (FDP) stellte sich hinter die ehemalige Mitarbeiterin des Zentralrats der FDJ. Bleibt Pau auf ihrem Posten, kommt es zu einer weiteren problematischen Konstellation: Weil sie qua Amt auch dem Ältestenrat angehört, darf sie dann über den Umgang mit ihrer Partei mitentscheiden.

Auch der Wagenknecht-Gefolgsmann Klaus Ernst müsste am 6. Dezember eigentlich seinen Hut nehmen. Er sitzt derzeit noch für die Linksfraktion dem Ausschuss für Klimaschutz und Energie vor. Mit deren Auflösung geht der Anspruch auf den Posten verloren. Anders als bei Pau haben die Ausschussmitglieder hier aber die Möglichkeit, ihn abzuwählen.

Es gibt keine Vorschriften über die Rechte einer Gruppe

Ebenso wichtig ist, ob die Linke weiterhin Abgeordnete in die Ausschüsse entsenden darf. Laut Geschäftsordnung des Bundestags ist die Zusammensetzung des Ältestenrates und der Ausschüsse „im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen“. Die Linke wäre demnach ab dem 6. Dezember nicht mehr dort vertreten. Auch einen Anspruch, Gesetzentwürfe, Anträge oder Anfragen einzubringen oder Aktuelle Stunden beantragen, haben Gruppen nicht.  

Im Gegensatz zur Rechtslage gehen die Linken-Funktionäre jedoch davon aus, dass die Partei im Bundestag als Gruppe so weitermachen kann wie bisher. „Wir sind in den Bundestag gewählt worden,“ erklärte Bartsch, „um die linke Opposition zur Ampel zu sein. Das ist und bleibt unsere Aufgabe.“ Wagenknecht und ihre Anhänger erheben einen ähnlichen Anspruch.

Ob der Ältestenrat dem folgen wird, ist bislang nicht abzusehen. Da es keine Vorschriften über die Rechte einer Gruppe gibt, dürfte sich der Bundestag vor allem an früheren Beschlüssen orientieren. Als sich die Fraktion der Deutschen Partei (DP) 1960 auflöste, zeigte sich der Ältestenrat beispielsweise äußerst zurückhaltend. Die fraktionslosen Abgeordneten durften zwar in ihren Ausschüssen verbleiben, allerdings nur noch mit beratender Stimme. Auch im Vorstand, dem Vorläufer des heutigen Präsidiums, besaß der DP-Vertreter kein Stimmrecht. Darüber hinaus durfte die Gruppe einen Abgeordneten in den Ältestenrat entsenden – andere Rechte hatten sie nicht.

Wie die Linke war die DP damals durch Austritte unter das für eine Fraktionsbildung vorgeschriebene Quorum gerutscht. Die übrig gebliebenen Abgeordneten beantragten daraufhin, als Gruppe anerkannt zu werden, und erhielten dafür die Zustimmung des Plenums. Der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier betonte allerdings, dass es wichtig sei, damit kein Präjudiz zu schaffen, da man den Beschlüssen des nächsten Bundestages oder künftiger Bundestage „nicht vorgreifen“ könne.

Die Linke und das Wagenknecht-Lager wollen dieselben Befugnisse wie die PDS in den frühen 1990ern

Die Linke möchte indes, dass eine ganz andere Periode zum Vorbild genommen wird: die Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung. Weil es bei der ersten gesamtdeutschen Wahl im Dezember 1990 ausreichte, in Ost- oder Westdeutschland die Fünfprozenthürde zu überspringen, entsandte die damals noch als PDS firmierende Partei nur eine Handvoll Abgeordnete ins Parlament. Bei der nächsten Wahl rettete sie sich dann nur durch vier Direktmandate ins Parlament. Beide Male konnte sie lediglich eine Gruppe bilden – die jedoch sehr viel mehr Rechte erhielt als bis dahin üblich.

Die PDS wurde 1991 praktisch einer Fraktion gleichgestellt. „In Erwägung der Einmaligkeit dieser Lage bei der Einigung Deutschlands“, so heißt es in dem entsprechenden Bundestagsbeschluss, durfte sie in jeden Ausschuss ein Mitglied und einen Stellvertreter entsenden. Diese hatten dort Antrags-, Rede- und Stimmrecht. Die Gruppe durfte auch Gesetzentwürfe, Anträge und Anfragen einbringen. Selbst Aktuelle Stunden und Zwischenberichte standen ihr zu, zudem erhielt sie umfangreiche Zuschüsse. Auf diese Weise wollte der Bundestag vermeiden, dass sich die ostdeutschen Abgeordneten zurückgesetzt fühlten, zumal auch mehrere ehemalige DDR-Bürgerrechtler eine Gruppe bildeten.

Bei der nächsten Wahl gab es keine getrennten Abstimmungsgebiete mehr. Trotzdem wurden die parlamentarischen Rechte der PDS 1995 praktisch fortgeschrieben. Ihr Stimmenanteil hatte sich bundesweit fast verdoppelt, und viele Ostdeutsche zeigten sich äußerst unzufrieden mit dem Verlauf des Einigungsprozesses. In dieser Situation wagte es der Ältestenrat nicht, die einmal gewährten Befugnisse wieder zu entziehen, obgleich dies in deutlichem Widerspruch zur Geschäftsordnung stand.

Ab dem 6. Dezember wird sich der Ältestenrat nun erneut mit der Frage befassen müssen, ob sich die Abgeordneten einer aufgelösten Fraktion in Gruppen zusammenschließen dürfen und welche Rechte diese bekommen sollen. Die Linke und das Wagenknecht-Lager hoffen, dass sie dieselben Befugnisse erhalten werden wie die PDS in den frühen 1990er-Jahren. In diesem Fall könnte die Partei im Bundestag tatsächlich so weiter machen wie bisher. Sie ignorieren dabei allerdings, dass die damaligen Beschlüsse den besonderen Umständen nach der Wiedervereinigung geschuldet waren.

Ob der Linken ein Comeback gelingt, liegt damit paradoxerweise in erheblichem Maße in den Händen der anderen Parteien. Zieht die Ampel an einem Strang und fürchtet die Union, gemeinsam mit der AfD zu stimmen, könnte die Linksfraktion alsbald wie Phönix aus der Asche wieder auferstehen – und dann sogar im Doppelpack. Denn was der Bundestag der Linken gewährt, kann er der Wagenknecht-Gruppe schlecht vorenthalten. 

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