Landtagswahlen in Bayern - Eine kleine Machtverschiebung

Hubert Aiwanger und die Freien Wähler gehen nicht nur als Sieger aus der Flugblatt-Affäre hervor, sondern auch aus der bayerischen Landtagswahl. Als einzige Partei neben der AfD konnten sie laut ersten Prognosen im Vergleich zu 2018 zulegen.

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger während einer Wahlkampfveranstaltung / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Aktualisierter Beitrag.

Um Punkt 18 Uhr, als im Saal 2 des bayerischen Landtags, wo sich die Freien Wähler an diesem Sonntag einquartiert haben, die ersten Prognosen über den Bildschirm flackern, ist die Freude fast ein bisschen verhalten. Bis zu 17 Prozent wurden den Freien Wählern in mancher Umfrage vor der Landtagswahl bescheinigt. Laut ersten Prognosen sind es „nur“ 14 Prozent, später am Abend werden es in den Hochrechnungen dann immerhin noch über 15 Prozent. Gleichwohl geht die Partei als klarer Sieger aus dieser Landtagswahl hervor, konnte als einzige Partei – neben der AfD – im Vergleich zu vor fünf Jahren deutlich zulegen. Damals holten die Freien Wähler 11,6 Prozent (amtliches Endergebnis). 

Rückendeckung für die Freien Wähler

Selten wurde in den Gazetten landauf, landab so häufig betont wie zuletzt, dass Umfragen nur grobe Stimmungsbilder sind und keine Prognosen. Nahezu kein Beitrag über die Rückendeckung für die Freien Wähler und ihren Chef Hubert Aiwanger im Zuge der Flugblatt-Affäre kam ohne diesen richtigen Hinweis aus. Man kann derlei als journalistischen Dienst begreifen, als reine Information. Doch wer das Milieu der Medienmacher kennt, weiß auch: In der Vergangenheit wurde das nicht so betont genau genommen wie vor der bayerischen Landtagswahl, die an diesem Sonntagabend zu Ende gegangen ist. 

Mag sein, dass sich manche Redaktion in schwammigen Zeiten wie diesen tatsächlich vorgenommen hat, etwas differenzierter über Politik zu berichten; etwas konkreter. Doch wirkte dies bei vielen Publikationen eben auch wie ein letzter Strohhalm, an den man sich zu klammern suchte; weil das Entsetzen groß war im (linksgrünen) Juste Milieu darüber, dass man Aiwanger mit unschönen Vorkommnissen von Vor-Vorgestern nicht etwa stürzte, sondern im Gegenteil er und seine Partei in Umfragen zur Landtagswahl infolge der Flugblatt-Affäre sogar zugelegt haben. Das kann nicht sein! Das darf nicht sein! Doch am Ende ist es genau so gekommen.

Von Merkels Flüchtlingspolitik bis Söders Corona-Basta

Die Freien Wähler haben am Sonntag also über 15 Prozent der bayerischen Wählerstimmen auf sich vereinen können. Der Abend wird zeigen, ob nach oben noch was geht bis zum amtlichen Endergebnis oder nicht. Doch so oder so ist das nicht nur der historisch beste Wert der Partei bei einer Landtagswahl überhaupt, sondern darf auch als Signal aus dem Wahlvolk gewertet werden, dass man sich von moralisierenden Berichten und Debatten nicht mehr schocken lassen will; dass die Deutungshoheit des linksgrünen Milieus in Politik, Kultur und Medien zunehmend schwindet.

Und das ist, unabhängig von der Einzelbewertung der Flugblatt-Affäre und ihrer Folgen, erstmal eine gute Nachricht für die Bundesrepublik Deutschland. Denn damit steigt auch die Chance, dass in Debatten über kontroverse Themen wie Migration, Gender-Firlefanz und anderes wieder mehr Nüchternheit einkehren könnte, auch mehr Realitätssinn. Denn Utopien braucht kein Mensch und schon gar nicht die Bewohner der migrations- und inflationsgebeutelten Ampelrepublik. 

 

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Aber zurück zur Landtagswahl in Bayern: Selbstverständlich wurde die CSU erneut stärkste Kraft mit 36 bis 37 Prozent, was dem Wahlergebnis von vor fünf Jahren ungefähr entsprechen würde (damals 37,2 Prozent). Doch dieser Sieg kann einmal mehr nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Christdemokraten nicht mehr das bayerische Partei-Bollwerk von einst sind. Zu viel hat sich getan in den vergangenen Jahren: von Merkels Flüchtlingspolitik bis Söders Corona-Basta. Und deshalb holte die CSU am Sonntag eben nicht 40 Prozent plus, sondern ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Und deshalb ist die CSU eben auch angewiesen auf eine Regierungskoalition, die aller Voraussicht nach mit den Freien Wählern fortgeführt werden wird. 

Machtverschiebung innerhalb der Regierung

Doch hier tut sich womöglich schon die nächste Herausforderung für Markus Söder auf: Denn weil die Freien Wähler nochmal deutlich zugelegt haben, könnten auch ihre Ansprüche steigen, um die Koalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern möglichst geräuschlos fortzuführen. Ein zusätzliches Ministerium wäre eine Forderung, die die Aiwanger-Partei nun an Markus Söder stellen könnte. 

Derzeit sieht die Sache so aus: Hubert Aiwanger steht als Vize-Ministerpräsident auch dem Ministerium für Wirtschaft, Energie und Landesentwicklung vor (Wirtschaftsministerium). Bayerischer Kultusminister ist der Jurist und Politikwissenschaftler Michael Piazolo von den Freien Wählern, sein Parteikollege Thorsten Glauber ist bayerischer Umweltminister. Für die restlichen Ressorts zeichnete bis zuletzt die CSU verantwortlich.

Ein Ministerium stand im Vorfeld dieser Wahl besonders im Fokus der Freien Wähler: das Landwirtschaftsministerium, das derzeit von CSU-Ministerin Michaela Kaniber geleitet wird. Immerhin eine, der noch größere Ambitionen nachgesagt werden. Aber selbst, wenn es bei drei Ministerien bleibt für die Freien Wähler, gehen sie so oder so als Koalitionsgewinner aus dieser Landtagswahl hervor. Denn ein bisschen hat sich die Macht innerhalb der Regierungskoalition eben zugunsten der Freien Wähler verschoben. 

Die Schwachstelle der bayerischen Grünen

Des einen Freud ist bekanntlich des anderen Leid. Das gilt nicht nur für die CSU, sondern ganz besonders auch für die Politiker der FDP, die trotz solider Oppositionsarbeit ihre Koffer werden packen und aus dem bayerischen Landtag ausziehen müssen. In den Hochrechnungen kommen sie auf nur rund drei Prozent. Das reicht aber nicht, um zu bleiben. Und mehr noch zeichnet sich in Bayern damit ein Überlebenskampf der Partei ab, der auch auf die FDP im Bund abstrahlen dürfte. 

Damit beginnt die nächste Legislaturperiode im Freistaat also ohne FDP-Bayern-Chef Martin Hagen und seine Parteifreunde. Und auch Focus-Gründer Helmut Markwort wird sich wieder auf das Schreiben seiner Kolumne im Focus konzentrieren müssen. Die vergangene Legislaturperiode hatte er noch als Landtags-Neuling und Alterspräsident feierlich eröffnet. 

Politisch auf einem anderen Niveau

Bei der SPD bleibt mit acht Prozent (2018: 9,7 Prozent) im Prinzip alles mehr oder weniger gleich, auch, wenn diese gut anderthalb Prozent Stimmenverlust schmerzen dürften, und dies das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der bayerischen Sozialdemokraten ist. Aber aus der einstigen Kleine-Leute-Partei ist in Bayern ja ohnehin längst eine Nischenpartei geworden. Die Grünen wiederum, mit denen die SPD und die FDP bekanntermaßen im Bund regieren, verlieren mit unter 15 Prozent (2018: 17,6 Prozent) nicht nur Stimmen, sondern auch politischen Einfluss. 

Dass dem so ist, hat freilich mit der Ampel im Bund zu tun, aber eben auch mit der bayerischen Grünen-Chefin Katharina Schulze, die zwar zum Realo-Flügel ihrer Partei gezählt wird, aber im Landtag vielleicht einmal zu oft mit hysterischen Reden aufgefallen ist. Auch in Talkshows macht sie eine schlechte Figur, fällt mit Wissenslücken und Ausflüchten auf. Über diese Personalie – anders als über ihren Co-Grünen-Chef Ludwig Hartmann, der politisch auf einem anderen Niveau ist – wird bei den Grünen noch zu reden sein.

Und dann wäre da noch die AfD. Nach dem Kriterium, welche Partei am meisten zugelegt hat im Vergleich zu vor fünf Jahren, ist sie theoretisch Wahlgewinner mit derzeit prognostizierten 15 bis 16 Prozent, was ein Plus von sage und schreibe fünf bis sechs Prozent zur vergangenen Landtagswahl bedeuten würde (2018: 10,2). Damit wäre die AfD in Bayern sogar zweitstärkste Kraft und im Landtag dann Oppositionsführerin. Das amtliche Endergebnis wird es weisen. 

Stühlerücken im bayerischen Landtag

Summa summarum: Im bayerischen Landtag ist nach dieser Wahl Stühlerücken angesagt, auch Personaldebatten wird es geben. Aber mei, der Freistaat hat jetzt halt gewählt – und der ein oder andere Vertreter der Ampelparteien wird sich einen neuen Job suchen müssen. Böse Zungen behaupten sogar, dass auch dies eine gute Nachricht sei. Lassen wir das einfach mal so stehen. 

 

Martin Hagen im Gespräch mit Ben Krischke
Cicero Podcast Politik: „Wer es sich gerne einfach macht im Leben, der geht in Bayern nicht zur FDP“

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