Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot in Berlin - Mehr Polizei für die „Regenbogenhauptstadt“

Die CDU hat die Berliner SPD aus dem Linksbündnis mit Grünen und Linken herausgelockt. Der Preis dafür ist nicht gering. Im Koalitionsvertrag dominiert eine linke Wohlfühl-Rhetorik. Dennoch könnte Kai Wegner der Stadt seinen Stempel aufdrücken.

Kai Wegner und Franziska Giffey / picture alliance
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Gestern hat das neue Berliner Bündnis aus CDU und SPD sein Programm für die drei Regierungsjahre vorgelegt. Es steht unter der Überschrift „Für Berlin das Beste“. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag  kommt auf 135 Seiten 35 Mal das Wort „Vielfalt“ vor und 32 Mal das Wort „queer“. Das wundert hier keinen.

Von „Wirtschaft“ ist aber immerhin sogar 145 Mal die Rede, von „Schulen“ 120 Mal und von der Polizei 39 Mal. Insgesamt aber dominiert in der Rhetorik eher ein Vokabular aus dem sozialdemokratischen oder sogar grünen Wortschatz („Die Regenbogenhauptstadt“). In der Sache hat zwar auch die CDU einiges durchsetzen können. Doch völlig ungewiss ist, wie aus dieser politischen Lyrik politische Praxis werden wird.

Abbilden und überwinden

Den Vertrag durchzieht der Geist eines beherzten Sowohl-als-auch. Man merkt dem Duktus und der Formulierungsfreude der Verhandler an, dass vor allem zunächst die SPD-Mitglieder überzeugt werden müssen. Denn von ihrem Votum am 23. April hängt es ab, ob die Sozialdemokraten das Rote Rathaus dann am 27. April wirklich an die CDU abgeben, obwohl sie trotz Wahlniederlage mit Grünen und Linken weiterregieren könnten.

Der künftige Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) betont deswegen bei der Vorstellung auch ganz smart das „Zusammenführen-wollen“ dieser Regierung. Nach dieser Wahl hat Berlin entdeckt, wie gespalten es ist. Und zwar nicht mehr in Ost und West, sondern in Innen und Außen. Das will das neue Bündnis abbilden und überwinden.

Bundesrepublikanische Normalität

Die neue Koalition bekennt sich also einerseits zu den altbekannten Wende-Formeln, sie will eine Verkehrswende, eine Klimawende, sie will „Queerfeindlichkeit“ bekämpfen und Toleranz predigen („Die Koalition will einen ‚Queer-Beauftragte:n der Landesregierung schaffen“). Worin jetzt eine durch die CDU-Beteiligung bewirkte irgendwie geartete „bürgerliche Wende“ bestünde, muss sich erst noch erweisen. Ähnlich wie die SPD verteilt die CDU ihrerseits ein paar Keywords, mit denen sie ihre Handschrift markiert und die Anliegen ihrer Wähler – vornehmlich aus den äußeren Stadtbezirken – sichtbar werden sollen.
 

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„Sicherheit“ und „Sauberkeit“ hat die CDU ihrer Stadt verordnet. Hier werden schon fast Selbstverständlichkeiten zu politischen Visionen hochstilisiert, aber immerhin. Polizei und Feuerwehr sollen gestärkt werden. Und Berlin soll „jeden Tag ein Stück besser funktionieren“. Kai Wegner nimmt bei der Pressekonferenz sogar das böse Wort „Auto“ in den Mund. Auch der motorisierte Individualverkehr habe künftig noch einen Platz in Berlin. Ach, wer hätte das gedacht?! Geradezu sensationell ist, dass Berlin zur bundesrepublikanischen Normalität aufschließen und Religion an den Schulen zum regulären Unterrichtsfach machen will. Auch das ließe sich dann als ein Zeichen für Vielfalt und Respekt verbuchen.

Schönes Etikett „Klimaschutz“

Der eigentliche Kitt dieser Regierung sind aber neue Schulden. Mit frischem Geld können die Partner jeweils Wunschprojekte realisieren (Ein Regenborgenhaus ist geplant und ein Migrationsmuseum sowie ein S-Bahn-Museum). Früher wurden Schulden versteckt, heute werden sie schön verpackt. Mit einem Sondervermögen „Klimaschutz, Resilienz und Transformation“ von zunächst 5 Milliarden Euro (aufstockbar auf 10 Milliarden) sollen hehre Ziele erreicht werden. In Wahrheit haben Rot-Grün-Rot den Haushalt der Bundeshauptstadt in den vergangenen Jahren so dramatisch heruntergewirtschaftet, dass auch der CDU nichts anderes übrig blieb, als mit Krediten die Löcher zu stopfen.

Die geplante Verbeamtung aller Lehrer belastet den Haushalt massiv. Mit dem „Vermögen“ sollen Schulen und Krankenhäuser saniert werden. Das ist in der Tat dringend nötig und wird nun mit dem schönen Etikett „Klimaschutz“ verkauft. Dass Berlin sich dennoch abweichend vom Rest des Landes ein 29-Euro-Ticket statt eines 49-Euro-Tickets leistet, ist angesichts der Haushaltslage schon ärgerliche politische Sozialfolklore. Der neue Finanzminister, vermutlich der talentierte bisherige Generalsekretär Stefan Evers (CDU), wird zeigen müssen, dass er Grund reinbekommt in die Berliner Kasse.

Berliner Existenzfragen

Spannend wird die von vielen Berlinern ersehnte Verwaltungsmodernisierung. Zu einer solchen Reform bekennt sich das Bündnis ausdrücklich. Und es ist durchaus ein gewichtiges Zeichen, dass Kai Wegner das Thema im Roten Rathaus ansiedeln will. Damit wird die Bekämpfung der herrschenden Dysfunktionalität Berlins zu Chefsache. Und man wird Erfolg und Misserfolg des neuen Regierenden Bürgermeisters auch an dieser Berliner Existenzfrage messen können.

Als Hauptproblem ist in Berlin seit langem das Zuständigkeitschaos zwischen Senat und Bezirken ausgemacht. Eine neue Aufgabenverteilung soll das beenden. Viel wichtiger ist, dass der Senat aber wieder den Hut bei allen Fragen auf hat und die Fachaufsicht wieder einführt. Nur wenn das Eigenleben der Bezirke beendet wird, geht es mit Berlin voran. Der Koalitionsvertrag bietet dafür richtige Ansatzpunkte. Ob es zur Umsetzung kommt, wird spannend.

Zum Erfolg verdammt

Auch bei der Ressortverteilung ist die CDU der SPD weit entgegengekommen. Die Sozialdemokraten erhalten genauso viele Senatsposten wie die CDU, das wäre bei dem 10-prozentigen Abstand der beiden Parteien bei der Wahl nicht zwingend gewesen. Doch tatsächlich war es ein wichtiges Lockmittel der Christdemokraten, die SPD aus dem Linksbündnis zu lösen. Nach dem Motto: Zu zweit regiert es sich besser.

Tatsächlich könnte sich das in Berlin erweisen. Denn Dreierbündnisse können lähmend sein, das merkt man in Berlin ja gerade auch an anderer Stelle. Insofern könnte die Große Koalition an der Spree sogar gelingen; immerhin duzen sich Kai Wegner und seine Vorgängerin Franziska Giffey schon, wie sie bei der Pressekonferenz demonstrierten. Sie sind beide zum Erfolg verdammt.


Heinz Buschkowsky im Cicero-Podcast: „Schönreden und verniedlichen ist die Marke der Grünen“

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