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Kinderbetreuung - Reichen die Kitaplätze jetzt doch?

Eltern haben ab 1. August einen Rechtsanspruch auf Betreuung für die ganz Kleinen. Doch reichen die Plätze oder wird da etwas schöngeredet?

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Robert Birnbaum ist Redakteur im Ressort Politik beim Tagesspiegel

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Die Familienministerin zeigt sich zufrieden. Allen gegenteiligen Meldungen zum Trotz sieht Kristina Schröder gute Chancen, dass in Deutschland der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige ab dem Stichtag 1. August prinzipiell erfüllt wird. Zumindest zeigten die Daten, die die Bundesländer nach Berlin gemeldet haben, dass „zahlenmäßig nahezu ausreichend“ Kita-Plätze verfügbar seien. Die Erfolgsmeldung kommt der CDU-Politikerin zupass. Für die Umsetzung der Kita-Garantie, auf die sich Bund, Länder und Gemeinden beim „Krippengipfel“ 2007 festgelegt hatten, sind zwar Gemeinden und Länder verantwortlich. Aber der Bund ist mit drei Milliarden Euro mit im Boot.

Und Schröder kennt das geheime erste Gesetz des deutschen Föderalismus: Schuld sind immer die anderen, also allemal der Bund. Wenn ein Vater oder eine Mutter keinen Kita-Platz findet, landet politisch der Ärger bei ihr.

Wie kommt es zu widersprüchlichen Zahlen bei den Kita-Plätzen?

Über die Frage, ob die Kita-Garantie überhaupt erfüllt werden kann, wird seit dem ersten Tag gestritten. Der „Krippengipfel“ war davon ausgegangen, dass im Schnitt für jedes dritte Kind ein Kita-Platz benötigt wird, später wurde die Quote auf 39 Prozent festgesetzt. Das entspricht 780 000 Plätzen zum Stichtag 1. August 2013. Noch am Mittwoch hatte der Deutsche Städtetag mit der Warnung Schlagzeilen gemacht, dass 100 000 Plätze fehlen. Das Statistische Bundesamt meldet nun gar, dass zum 1. März rund 597 000 Kinder unter drei Jahren in einer Kita betreut würden. Schröder aber verkündet: Im Kita-Jahr 2013/14 stehen 813 000 Plätze zur Verfügung.

Wer genauer hinschaut, stellt rasch fest: Recht haben alle – weil jeder anders zählt. So beruht der Alarmruf des Städtetags auf einer Schätzung des heutigen Kita-Angebots. Der Kommunalverband liegt damit gar nicht weit von den Standmeldungen der Länder an den Bund: Zum 30. Juni wurden dort bundesweit rund 712 000 Plätze registriert.

Dazu rechnen Schröder und die Länder aber rund 100 000 weitere Betreuungsplätze, die bewilligt sind und „demnächst“ zur Verfügung stehen werden. Bei mehreren zehntausend dieser Plätze, sagt die Ministerin, stehe nur noch die Betriebserlaubnis aus; der Rest werde im Laufe des Kita-Jahres bis August 2014 betriebsbereit sein. Und weil nicht alle Eltern ihre Kleinen pünktlich zum 1. August in die Betreuung geben, sondern viele erst Wochen und Monate später dazukommen, dürfte nach Einschätzung des Ministeriums der reale Mangel weit geringer ausfallen, als es eine formale Lücke zum Stichtag vermuten lässt. Beim Statistischen Bundesamt wiederum führt die spezielle Zählweise zur drastisch niedrigeren Zahl. Die Statistiker zählten – getreu dem Wortlaut des Gesetzes – nur die „unter Dreijährigen“ in den Krippen zum 1. März. Ein Kind, das zufällig vor diesem Tag seinen dritten Geburtstag gefeiert hat, fiel aus der Zählung raus – aber natürlich nicht aus der Kita, in der es weiter seinen Platz hat.

Sind die Länder-Zahlen korrekt oder mogeln sich manche diese schön?

„Ich kann nur die Zahlen weitergeben, die die Länder uns gemeldet haben“, sagt Schröder. Ihre Vorsicht hat Gründe. Bayern meldet zum Beispiel verdächtig exakte 100 000 zur Verfügung stehende und 20 000 bewilligte Kita-Plätze. Echte Zählung oder wilde Schätzung der wahlkämpfenden CSU-Regierung? In Wirklichkeit gebe es 27 538 Plätze weniger als gemeldet, rechnet die ebenfalls wahlkämpfende Bayern-SPD vor. Der Sprecher des Münchner Familienministeriums hält dagegen: Die 100 000 gemeldeten Plätze beruhten auf dem 2008 erfassten Bestand von 44 415 plus 65 091 seither bewilligten Plätzen. Auf jeden einzelnen Platz genaue Zahlen seien sinnlos, weil im Moment allein in Bayern jeden Monat 1000 neue Plätze hinzukämen.

Ist der vom Bund ermittelte Bedarf realistisch gerechnet?

Schröder weist selbst darauf hin, dass es sich bei der Quote von 39 Prozent um einen bundesweiten Durchschnitt handelt. Auf dem Land ist der Betreuungsbedarf meist geringer, in den Städten immer größer. Außerdem beruht die Quote auf einer Reihe von Annahmen: angefangen von der Geburtenverteilung bis hin zur Frage, ob die Wirtschaft läuft und Frauen als Arbeitskräfte braucht. Eltern, die einen Krippenplatz suchen, kann die Quote sowieso egal sein. Sie haben nach dem Gesetz einen Anspruch auf ein „bedarfsgerechtes Angebot“.

Wo gibt es noch die größten Probleme?

Zahlenmäßig die größten Sorgen haben die Städte in der alten Bundesrepublik. Ein gutes Beispiel ist Düsseldorf. Dort lag die Betreuungsquote im Jahr der Kita-Garantie erst bei knapp über 20 Prozent. Nach Zahlen des Städtetags erreicht die NRW-Landeshauptstadt zum 1. August 2013 nahezu den 39-Prozent-Durchschnitt. Für nötig halten die Stadtväter aber mittlerweile 60 Prozent. Die Stadt wird also weiter kräftig bauen müssen.

Doch Investitionen in Beton allein reichen nicht. „Qualifiziertes Personal zu finden ist neben den Räumlichkeiten das Hauptproblem“, sagt Ursula Krickl, Leiterin des Referats Jugendpolitik im Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Wir können keine ausgebildeten Erzieherinnen herbeizaubern, in manchen Regionen ist der Markt leer gefegt.“ 10 000 bis 15 000 Erzieher fehlten schon heute. An vier Punkten müsse man ansetzen, um den Erziehermangel zu beheben. Die Länder sollten mehr Ausbildungsplätze schaffen, die Sozialpartner für höhere Tariflöhne sorgen, sagt Krickl. Und: „Wir müssen den Quereinstieg in den Beruf und auch die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen erleichtern.“

Bekommt am 1. August also nun jeder Antragsteller „seinen“ Kita-Platz?

Man kann schon heute sicher sagen: Nein. Gerade in Ballungsräumen müssen Familien damit rechnen, dass sie für einen Kita-Platz bis zum anderen Ende der Stadt fahren müssen (siehe Kasten) – oder schlimmstenfalls sogar nur Absagen bekommen. Trotzdem glaubt derzeit keiner an eine Klagewelle. Schröder verweist auf Erfahrungen mit dem seit 1993 geltenden Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab drei Jahren. Die Gerichte hätten die Gemeinden meist dazu verurteilt, die Kosten für private Betreuung zu übernehmen. Aber darauf, ergänzen die Kommunalverbände, könne man sich schließlich mit den Betroffenen auch ohne langen Prozess einigen.

 

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