Kernkraftwerke in Deutschland - Laufzeitverlängerung für Atomkraft? Die FDP zögert noch

Wann ringt sich die Ampelkoalition dazu durch, die verbliebenen deutschen Kernkraftwerke zu retten? Angesichts der sich zuspitzenden Energiekrise ist der Atomausstieg mitten im kommenden Winter eigentlich nicht zu halten. Doch bisher bremsen vor allem die Grünen. Und die kernkraftfreundliche FDP traut sich nicht richtig, Druck zu machen. Noch nicht.

Einer der beiden Blöcke läuft noch: Atomkraftwerke Isar 1 und 2 in Niederbayern / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Wie lange kann es sich Deutschland noch leisten, am 2011 beschlossenen Atomausstieg festzuhalten? Außerhalb des Landes versteht kaum jemand mehr, weshalb die Bundesregierung weiterhin plant, die drei letzten noch laufenden Kernkraftwerke in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg Ende des Jahres vom Netz zu nehmen. Mitten in einem Winter der Energieknappheit in Europa, wie in die Bundesrepublik noch nicht erlebt hat. Mit Rekordpreisen für Strom und Gas sowie einer drohenden Mangellage, deretwegen die Regierung Unternehmen bereits empfiehlt, Dieselaggregate zur Notstromerzeugung zu kaufen, und die Rationierung von Erdgas vorbereitet.

Auch innerhalb Deutschlands wächst der Druck auf die Ampelkoalition, eine befristete Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerke zu ermöglichen und womöglich auch noch drei weitere Meiler zu reaktivieren, die Ende 2021 abgeschaltet wurden. Doch bislang sträuben sich vor allem die Grünen dagegen. Deren Parteichef und Klimaminister Robert Habeck hatte zwar zu Beginn des Ukraine-Kriegs eine ideologiefreie und ergebnisoffene Prüfung der Atomkraftfrage angekündigt, dann aber das Gegenteil davon machen lassen.

Habecks Ausreden, warum es angeblich nicht möglich sei, den 2011 beschlossenen Ausstiegsplan zu ändern, wirken umso abstruser, je dramatischer seine Energiesparapelle und Schreckensszenarien werden.

Mehrheit in der FDP ist für Laufzeitverlängerung

Innerhalb der Koalition ist es vor allem die FDP, der die nur durch ideologischen Starrsinn erklärbare Verweigerungshaltung der Grünen Bauchschmerzen bereitet. Bei den Liberalen gibt es eine starke Mehrheit für eine Akw-Laufzeitverlängerung. Das zeigte sich auf dem jüngsten Bundesparteitag, dessen Pro-Atom-Votum eindeutig ausfiel. Und auch in der Bundestagsfraktion soll die Mehrheit der Abgeordneten einem Weiterbetrieb der noch voll funktionstüchtigen Kernkraftwerke aufgeschlossen gegenüber stehen.

Doch noch zögern die Liberalen. Sie scheuen offenbar die offensive Konfrontation mit den Grünen. FDP-Parteichef und Finanzminister Christian Lindner hält sich in der Atomfrage auffallend zurück, zumindest vor den Kulissen. Dafür wettert aber FDP-Haudegen Wolfgang Kubicki gegen den Koalitionspartner. „Die Angst der Grünen vor einem Gesichtsverlust überwiegt offensichtlich die Verantwortung für die ökonomische Überlebensfähigkeit dieses Landes“, sagte Kubicki vor einigen Tagen der Nachrichtenagentur dpa. „Es ist dringend an der Zeit, den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke für mindestens fünf Jahre zu gewährleisten.“ Angesichts einer ökonomischen und Energiekrise, „die biblische Ausmaße annehmen können“, sei es vor allem von den Grünen vollkommen unverantwortlich, die Atomkraft zur Energieerzeugung nicht einmal ansatzweise in Betracht zu ziehen.

Union hat Pro-Atomkraft-Antrag im Bundestag gestellt

Dass das Thema Kernkraft die Ampelkoalition spaltet, hat auch die oppositionelle Unionsfraktion erkannt. Mit Angela Merkels einsamer Ad-Hoc-Entscheidung nach dem Reaktorunglück in Fukushima hat deren Partei ohnehin immer gefremdelt. Jetzt fordern CDU/CSU eine Laufzeitverlängerung. Das wollten sie diese Woche mit einem Antrag im Bundestag durchsetzen, beziehungsweise die in der Ampelkoalition gefangene FDP vor sich hertreiben.

Der Unions-Antrag war so formuliert, dass der Bundestag der Regierung ermöglicht hätte, bei drohender Energienot den im Atomgesetz festgeschriebenen Ausstieg eigenmächtig und ohne Gesetzesänderung zu verschieben. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn betonte am Rednerpult, dass es um keinen Wiedereinstieg in die Kernkraft gehe, sondern nur um die drei Kraftwerke, die jetzt noch laufen. „Es geht darum, dass sie für die Zeit der Mangellage länger laufen.“

FDP-Abgeordnete lehnten Vorstoß ab

Um die eigentlich kernkraftfreundlichen FDP-Abgeordneten unter Druck zu setzen, beantragte die Unionsfraktion namentliche Abstimmung. Das Abstimmungsergebnis lässt sich nun im Internet nachlesen und wird so manchen liberalen Bundestagsabgeordneten in Erklärungsnot bringen. Denn kein einziger FDP-Abgeordneter, weder Wolfgang Kubicki noch der ebenfalls offensiv für eine Laufzeitverlängerung eintretende Frank Schäffler, stimmte dem CDU/CSU-Antrag zu. Der Vorstoß fand damit keine Mehrheit im Parlament, auch wenn Union und AfD geschlossen dafür stimmten.

Allerdings: Fünf liberale Parlamentarier verweigerten die Koalitionsdisziplin und enthielten sich. Zu ihnen zählt neben Kubicki, der immerhin stellvertretender Parteivorsitzender ist, auch der neue FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai

„Keine Denkverbote hinsichtlich der Atomkraft“

Der verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, Alexander Müller, der den Unions-Antrag zur Laufzeitverlängerung ebenfalls nicht ablehnen wollte, begründete dies gegenüber Cicero so: „Mit der Enthaltung möchte ich meine persönliche Überzeugung widerspiegeln, dass es angesichts der Energieknappheit keine Denkverbote hinsichtlich der Atomkraft geben sollte.“

Sein Fraktionskollege Gerald Ullrich nahm ausführlicher Stellung. „Zu Hause habe ich einen mittelständischen Betrieb in der Kunststoffverarbeitung, der als Stromenergie intensiv eingestuft ist. Jeder Stromausfall, auch nur für eine Sekunde, führt zu tausenden Euro Schaden“, teilte Ullrich mit. In Gesprächen mit den Betreibern wurde uns versichert, dass die Kernkraftwerke trotz abgelaufener Prüfungen sehr sicher sind und mit technischen Maßnahmen, wie Streckbetrieb und Brennelemente-Tausch, die vorhandenen AKWs so lange am Netz halten können, bis neue Brennelemente da wären. Ich weiß nicht, wie ich meiner Familie und den Angestellten unseres Betriebes erklären sollte, wenn ich Anträge ablehne, die in diese Richtung gehen.“

Innerhalb der Koalition ist das Thema noch nicht erledigt

Auch wenn der CDU/CSU-Antrag keine Mehrheit fand: Das Thema ist noch nicht erledigt. Das versichern Kenner der Partei gegenüber Cicero. Und darauf deutet auch Folgendes hin: Mehrere Mitglieder der FDP-Fraktion haben den Laufzeitverlängerungsantrag der Union zwar abgelehnt, aber ergänzende Protokollerklärungen abgeben. Michael Kruse, Energiepolitiker und Hamburger FDP-Chef, hat seine Erklärung sofort veröffentlicht.

Kruse schreibt darin, dass er dem Unionsantrag weniger aus inhaltlichen denn aus formalen Gründen abgelehnt habe und fordert, „den befristeten Weiterbetrieb der noch laufenden Kernkraftwerke ernsthaft in Erwägung zu ziehen“. Die ablehnende Stellungnahme der von Grünen geführten Ministerien für Wirtschaft (Robert Habeck) und Umwelt (Steffi Lemke) könne „nicht die abschließende Grundlage einer Entscheidung sein.“ Eine Sondersitzung des Bundestags sei jederzeit möglich.

Hören Sie zum Thema Energieversorgung auch den Cicero-Podcast mit Anna Veronika Wendland: „Bei der Energiestrategie ist Stimmungspolitik Gift“ 

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