„Kamin-Gate“ - Geues Mär vom Steuergeheimnis

Warum hielt Manuela Schwesigs Finanzminister Heiko Geue sein Wissen über die verbrannten Steuererklärungen der Klimastiftung geheim? Der Schriftverkehr zwischen Finanzministerium und Stiftung rüttelt erheblich an seiner Rechtfertigungsstrategie.

Heiko Geue (SPD), der Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, im Schloss Ludwigslust / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

So erreichen Sie Ulrich Thiele:

Anzeige

Fast ein Jahr lang muss es Heiko Geue unter den Nägeln gebrannt haben, diese brisante Information „endlich, endlich“ der Öffentlichkeit mitzuteilen: Eine Finanzbeamtin hatte im April 2022 die Steuererklärungen der Stiftung Klima- und Umweltschutz im Kamin einer Bekannten verbrannt. Die Öffentlichkeit wusste zu diesem Zeitpunkt nur, dass die Erklärungen verschwunden sein sollen.

Opposition und Öffentlichkeit pochten monatelang darauf, zu erfahren, was es damit auf sich hat. Geue wusste es, doch leider, leider konnte er die ganze Zeit nichts sagen, so liebend gerne er doch hätte – denn die Stiftung ließ ihn trotz wiederholter Bitten nicht. Nicht einmal Ministerpräsidentin Manuela Schwesig habe er deswegen in Kenntnis setzen können.

Schriftverkehr zeigt etwas anderes

So jedenfalls stellte Mecklenburg-Vorpommerns Finanzminister es auf einer Landespressekonferenz vor anderthalb Wochen dar. „Ich hätte schon längst gerne der Öffentlichkeit über alles, was mit diesem Steuerfall zusammenhängt, Bericht erstattet.“ Doch der Steuerpflichtige, die Stiftung, habe ihm zuvor immer nur punktuelle Befreiungen vom Steuergeheimnis gegeben, die für die ersehnte Auskunft unzureichend gewesen seien. Man könne keine „Rosinenpickerei“ bei einem strafrechtlich so heiklen Thema wie dem Steuergeheimnis machen.

Als Geue in einer Sondersitzung des Finanz- und Rechtsausschusses am vergangenen Freitag erneut Rede und Antwort stehen musste, wiederholte er seinen Vorwurf mit einer Darstellung, als hätte die Stiftung auf eine Bitte des Ministeriums um vollumfängliche Befreiung vom Steuergeheimnis sinngemäß geantwortet: „Ätschi Bätsch, das könnt ihr vergessen!“ Doch der tatsächliche Inhalt des Schriftverkehrs zwischen Geues Ministerium und der Stiftung, der Cicero vorliegt, widerspricht Geues Darstellung in wesentlichen Punkten.

„Rosinenpickerei“

Am 2. Mai 2022 stellte die Grünen-Fraktion im Schweriner Landtag eine Kleine Anfrage zu dem Schenkungsteuerfall. Am 11. Mai schrieb Geues Finanzministerium deswegen an die Stiftung mit Bitte um vollumfängliche Befreiung vom Steuergeheimnis. In dem Schreiben wird klar gemacht, dass die Bitte auf Drängen der Finanzausschussmitglieder erfolgt. Am 25. Mai antwortete die Stiftung – laut Geues Darstellung mit einer brüsken Zurückweisung.

Tatsächlich erteilte die Stiftung keine „vollumfängliche Zustimmung zur Offenbarung geschützter Daten gemäß § 30 Abs. 2 Nummer 3 AO“. Doch sie erklärte ihre „ausdrückliche Zustimmung“, dass das Finanzministerium einzelne Fragen beantwortet, die sich „nicht auf Einzelheiten des – leider immer noch nicht bearbeiteten – Steuerfalls beziehen, sondern auf allgemeine Umstände, an die öffentlich unberechtigte Anschuldigungen und Verdächtigungen geknüpft werden.“ Darunter zum Beispiel die Frage, ob für das Steuerverfahren im Finanzamt eine Steuernummer vergeben wurde.
 

Weitere Artikel von Ulrich Thiele zur Klimastiftung:

Das Finanzministerium beantwortete schließlich die Fragen, für die die Stiftung eine Freigabe erteilt hatte. Auf seiner Pressekonferenz vor anderthalb Wochen meinte Geue noch, man könne keine „Rosinenpickerei“ machen. Bei der Kleinen Anfrage hatte das Finanzministerium offenbar keine Bedenken, infolge der punktuellen Befreiung einzelne Fragen zu beantworten.

Zufriedene Antwort des Finanzministeriums

Die Stiftung teilt mit, die punktuellen Einschränkungen seien lediglich in Abwägung der Interessen Dritter geschehen, vor allem der Vertragspartner des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes. Für den jeweiligen konkreten Sachverhaltskomplex habe man einer uneingeschränkten Offenlegung zugestimmt.

Und es schien dem Finanzministerium zu reichen. Angesichts der Tatsache, dass Geue die Antwort der Stiftung als brüske Zurückweisung darstellt, überrascht zudem die zufriedene Antwort seines Ministeriums: „Sehr geehrter Herr Sellering, vielen Dank für die Beantwortung meines Schreibens vom 11.05.2022. Auf der Grundlage der von Ihnen teilweise erfolgten Befreiung vom Steuergeheimnis erfolgte durch uns die Beantwortung der Fragen der Kleinen Anfrage 8/641.“

Auszug aus dem Schreiben des Finanzministeriums an die Stiftung

Wenn dem Finanzministerium die Befreiung für einzelne Sachverhalte schon einmal gereicht hat, warum hat man dann nicht bei der Stiftung nachgefragt, ob man die Information über die verbrannten Steuererklärungen öffentlich machen darf? Außerdem: Für den Steuerpflichtigen gilt das Steuergeheimnis nicht. Wenn Geue die Vorgänge wirklich so gerne transparent gemacht hätte, hätte er die Stiftung in Kenntnis setzen und ihr überlassen können, ob sie die Informationen öffentlich macht. Die Stiftung teilt mit, erst aus der Presse von den verbrannten Steuererklärungen erfahren zu haben.

Lieber Anwälte einschalten als Auskunft geben

Am 9. November 2022 erteilte die Stiftung dem Finanzministerium eine Befreiung vom Steuergeheimnis im Rahmen eines presserechtlichen Verfahrens – Cicero hatte eine Auskunftsklage gegen Geues Behörde eingereicht. In dem Befreiungsschreiben erinnert die Stiftung „nochmals daran (…), dass auch wir als Betroffene großes Interesse an dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge haben. Es ist bedauerlich, dass wir dafür den Gerichtsweg beschreiten müssen“. Zuvor wurde selbst der Stiftung ein Antrag auf Akteneinsicht verwehrt.

Aus dem Schreiben der Stiftung an das Finanzministerium zur Befreiung vom Steuergeheimnis

Und obwohl Geue angeblich so gerne schon längst Bericht erstattet hätte, folgte ein 54-seitiges Schreiben, in dem seine Anwälte mitteilen, dass eine Einschränkung in dem Schreiben („unter Wahrung der gesetzlichen Vorschriften“) eine Beantwortung unserer Fragen weitgehend unmöglich mache. Anstatt den einfacheren Weg zu wählen und die Stiftung zu bitten, die angebliche Einschränkung zu entfernen, damit der angeblich ersehnten Beantwortung nichts mehr im Wege steht.

Die Stiftung teilt mit, Anfragen zur Befreiung hinsichtlich der Offenlegung etwaigen Fehlverhaltens der Behörde habe es nie gegeben. Man hätte sie selbstverständlich einschränkungslos positiv beantwortet. Es habe auch nie eine Anfrage dazu gegeben, ob die Ministerpräsidentin informiert werden dürfe. „Auch dem hätten wir selbstverständlich zugestimmt, auch wenn wir der Überzeugung sind, dass eine Information über schwerwiegendes Fehlverhalten im Bereich der Steuerverwaltung an die Regierungschefin nicht unter das Steuergeheimnis fällt.“

Anzeige