Liberale Moscheegründerin Seyran Ates - „Wir werden den Islamisten zum Fraß vorgeworfen“

Nach massiven Drohungen durch Islamisten musste Seyran Ates im Oktober ihre progressive Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin schließen. Im Interview spricht sie über die Feigheit vieler Politiker, die Möglichkeit einer islamistischen Partei in Deutschland und ihren Alltag mit Personenschützern.

„Ich lebe in einer Art lebenslangem Hausarrest“: Seyran Ates / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Seyran Ates kämpft für Frauenrechte und für einen modernen, liberalen Islam. Im Alter von 21 Jahren wurde sie von einem türkischen Nationalisten angeschossen. Sie ist eine der ersten weiblichen Imame in Europa. Die aus der Türkei stammende Rechtsanwältin und Buchautorin gründete 2017 die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin.

Frau Ates, Sie mussten die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin schließen, da sich die Sicherheitslage nach den Terrorangriffen der Hamas am 7. Oktober massiv verschlechtert hat. Lagen Ihnen konkrete Drohungen gegen Ihre Gemeinde vor?

Bereits vor dem 7. Oktober gab es viele Anfeindungen in islamistischen Foren auf YouTube. In vielen islamischen Ländern wurden Fatwas von sogenannten Gelehrten gegen uns ausgesprochen. Unmittelbar nach dem schrecklichen Terror der Hamas haben wir diesen in einer Pressemitteilung auf das Schärfste verurteilt und uns unmissverständlich zum Existenzrecht Israels bekannt. Damit waren wir deutschlandweit eine der ganz wenigen Moscheen, die sich klar gegen Terror und für Menschlichkeit positioniert haben.

Daraufhin eskalierte der Hass gegen uns: Ein paar Tage später teilte mir ein Journalist mit, dass der Islamische Staat (IS) uns als Ort der Teufelsanbetung gebrandmarkt hat. Diese Feindseligkeit hat mich als Geschäftsführerin dazu veranlasst, die Moschee für die Öffentlichkeit zu schließen. Die Sicherheit kann leider nicht mehr gewährleistet werden.

Schließen Sie eine Wiedereröffnung aus?

Nach der Ankündigung, dass unsere Moschee schließen wird, erlebten wir eine riesige Welle an Zuspruch. Das hat uns sehr glücklich gemacht und uns darin motiviert, weiterzumachen. Wir sind als Moschee aber nicht mehr frei zugänglich. Nun müssen sich Interessierte zuvor anmelden, damit wir uns vor möglichen gewaltbereiten Fanatikern schützen können. Die meisten Angebote machen wir ohnehin höchstpersönlich und anonym oder online. In den nächsten Wochen und Monaten wollen wir zudem ein neues sicheres Konzept für unsere Gottesdienste anbieten.

Ist es nicht eine Kapitulation des Staates, wenn eine liberale Moschee aufgrund islamistischer Bedrohungen schließen muss?

Es ist eine Schande, dass liberale Muslime in unserem Land nur sicher sind, wenn sie in Hinterzimmern arbeiten und sich verstecken. Die permanente Angst vor Gewaltakten durch islamistische Gruppierungen verhindert, dass noch weitere liberale Moscheen in Deutschland entstehen. Wir sind einem unfassbaren Gewaltpotenzial ausgeliefert.

Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

Noch viel schlimmer: Wir werden den radikalen Islamisten zum Fraß vorgeworfen. In den sechs Jahren unseres Bestehens haben wir niemals eine starke öffentliche Unterstützung seitens des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier erfahren. Er „kuschelt“ mit sämtlichen erzkonservativen Islamverbänden in Deutschland, doch die einzige liberale Moschee schien ihm immer gleichgültig zu sein.

Das gleiche gilt für Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die es nicht einmal auf der Deutschen Islamkonferenz angesichts der Drohungen gegen uns schaffte, unserer Moscheegemeinde Solidarität auszusprechen. Aus der Bundesregierung erlebe ich nur betretenes Schweigen. Schweigen, dass mein Vertrauen in die Bundesregierung massiv erschüttert hat.

Kann die Bundesregierung zukünftig noch mit den in den vergangenen Wochen durch Terrorrelativierung aufgefallenen Islamverbänden zusammenarbeiten, wenn sie es mit dem Kampf gegen Antisemitismus ernst meint?

Die Politik hätte schon in den vergangenen 20 Jahren genüg Gründe gehabt, nicht mit den Islamverbänden zusammenzuarbeiten. Zumal sie vom Ausland finanziert und gesteuert werden. Was wir seit dem 7. Oktober erleben, ist grauenhaft. Viele Islamverbände wie der Zentralrat der Muslime oder Ditib relativieren den Terror der Hamas und offenbaren damit ihr zutiefst israelfeindliches Weltbild. Es hätte seitens der Bundesregierung einen klaren Schlussstrich unter die Zusammenarbeit mit ihnen geben müssen.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Politik vertieft die Kooperation mit Ditib abermals. Nun werden Imame in Deutschland ausgerechnet durch Ditib ausgebildet, beziehungsweise mit Beteiligung der Ditib. Ditib ist ein verlängerter politischer Arm Erdogans und für seine konservativen, teils offenen Hasspredigten bekannt. Für die Wähler und die Medien gaukelt die Bundesregierung immer eine Distanz zu den Islamverbänden vor. Doch in den Hinterzimmern unserer Politik wird die Zukunft des Islams mit den Verbänden ausgehandelt. Auf diesem Boden der Feigheit gedeiht die immer größer werdende Macht des politischen Islam.

 

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CDU-Innenpolitiker äußerten in der vergangenen Woche die Befürchtung, dass es zur Gründung einer islamistischen Partei in Deutschland kommen könnte. Für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Szenario?

Das wundert mich in keiner Weise, dass eine solche islamistische Partei in Deutschland gegründet werden soll. Das Wählerpotenzial wäre groß. In Belgien gibt es bereits eine islamistische Partei, die 2012 erstmals in die Gemeinderäte der Brüsseler Stadteile Anderlecht und Molenbeek gewählt wurden. Sie sprechen sich offen für die Errichtung eines islamischen Staates aus und möchten die Demokratie abschaffen. Auch steht in ihrer Satzung, dass sie das Zivil- und Strafrecht durch die Scharia ersetzen möchten. Eine solche Partei wird es früher oder später auch in Deutschland geben, davon bin ich zutiefst überzeugt. Dies wird seit vielen Jahren vorbereitet.

Hierzulande leben sehr viele türkischstämmige Menschen. Daher kann es auch sehr gut sein, dass sich eine aus der Türkei gelenkte islamistische Partei bei uns etablieren wird. Das passt auch perfekt zu jenen Worten, die Erdogan bereits seit Jahren offen ausspricht. Der türkische Präsident fordert seine Landsleute dazu auf, die deutsche Gesellschaft zu infiltrieren. Die Türken sollen in Deutschland in die politischen Parteien und an die Universitäten gehen, überall dort, wo sie die Gesellschaft mitgestalten können, um die Gesellschaft von innen zu erobern.

Was denken Sie, wie wird sich unsere Gesellschaft durch den zunehmenden Einfluss des politischen Islams in den nächsten zehn Jahren verändern?

Wir müssen nur in die Niederlande oder nach Skandinavien schauen, um zu wissen, wohin die Reise gehen wird. Die Niederländer waren jahrelang stolz auf ihre scheinbar so wunderbare und großartig funktionierende multikulturelle Gesellschaft. Die Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh auf offener Straße in Amsterdam war ein harter Realitätsschock. Der romantische Traum von Multikulti endete abrupt. Ähnlich war es übrigens auch in Dänemark und Schweden. Umgekehrt erlebten wir in allen drei Ländern einen massiven Aufstieg der Rechtspopulisten.

Zu Deutschland lassen sich bereits einige Parallelen ziehen. Kriminalität und offener Hass auf die freie Gesellschaft prägen auch bei uns ganze Stadtteile. Durch das jahrelange Wegschauen dieser Integrationsprobleme betrieb die Politik ungewollt die beste Wahlkampfhilfe für die AfD. Ich bin überzeugt: Nicht das Benennen von Problemen spaltet unsere Gesellschaft, sondern das permanente Ignorieren und Vertuschen. Wer das in der Politik und in den Medien nicht sehen möchte, der betrügt sich selbst.

Schauen Sie: Ich bin das Kind von türkischen Gastarbeitern und bin mit der migrantischen Lebenswelt sehr vertraut. Es muss uns doch mehr als zu denken geben, wenn sich immer mehr türkischstämmige Menschen zur AfD hingezogen fühlen, da sie ihr altes Deutschland wieder zurückhaben möchten. Sehr viele liberale Muslime werden Deutschland angesichts des immer einflussreicher werdenden politischen Islam verlassen. Auch ich liebe dieses Land sehr, aber fürchte mich vor seiner Zukunft.

Kennen Sie aus Ihrem persönlichen Umfeld tatsächlich liberale Muslime, die Deutschland aufgrund des zunehmend stärker werdenden politischen Islams bereits verlassen möchten?

Ich kenne einige weltoffene Muslime, die bereits auf gepackten Koffern sitzen. Vor 20 Jahren saß ich auf einer Konferenz zum Thema Migration und Integration. Da sagte mir ein junger Mann aus Großbritannien, dass liberale Muslime England bereits reihenweise verlassen haben. Sie beobachteten den stetig wachsenden Einfluss des politischen Islams und die Errichtung von Scharia-Gerichten in Brennpunktvierteln in London oder Birmingham. Liberale Migranten aus muslimischen Ländern nehmen die zunehmende Radikalität des Islams hierzulande deutlich sensibler wahr als die Bio-Deutschen. Und jetzt sehen wir, dass zig freiheitsliebende Muslime damit liebäugeln, Deutschland zu verlassen. Ein sehr trauriger Befund.

Sie gehören zu den bekanntesten Kritikern des radikalen Islams in Deutschland. Welche Folgen hat dies für Ihr privates Leben?

Ich lebe seit 17 Jahren unter Personenschutz und bin inzwischen dankbar dafür, dass ich überhaupt noch lebe. Ohne den Personenschutz, der täglich mein Leben sichert, wäre ich schon längst wie Constantin Schreiber und viele andere verstummt. Ich lebe in einer Art lebenslangem Hausarrest, da ich mich fast ausschließlich in Innenräumen aufhalte. Alleine gehe ich nicht aus dem Haus.

Viele Menschen wären unter diesem psychischen Stress sicherlich zusammengebrochen. Woher nehmen Sie die Kraft, sich nicht einschüchtern zu lassen?

Nur weil ich mich bereits als junger Mensch für Frauenrechte einsetzte, wurde ich mit 21 Jahren in Berlin angeschossen. Dass man mir deswegen mein Leben nehmen wollte, hat in mir eine unglaubliche Wut auf Verächter der Freiheit ausgelöst. Ab diesem Zeitpunkt war meine Haltung stets: Jetzt erst recht. Religiöse Fanatiker können mich nicht mundtot machen, da die Freiheit am Ende noch immer über den Hass gesiegt hat. Ich kann allen Frauen nur mit auf den Weg geben: Unterschätzt niemals eure Stärke und lasst euch nicht von Unrecht unterdrücken!

Doch am meisten Kraft geben mir all die Menschen, die mir täglich Liebe und Zuspruch schenken. Sie geben mir jeden Tag das Gefühl, dass ich andere Menschen mit meinem Engagement für Freiheit inspirieren kann. Ohne dieses Gefühl wäre ein Leben in Unfreiheit nicht erträglich.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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