Interview mit dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr - „Kompromisse gehören zum Regieren dazu“

Die FDP steht derzeit in der Kritik, weil sie als Teil der Ampel-Koalition viele Projekte mitträgt, die marktwirtschaftlichen Prinzipien widersprechen. Christian Dürr, Chef der Bundestagsfraktion, verteidigt im Interview das „Gesamtpaket“ der Regierung, schließt eine Übergewinnsteuer aus – und zeigt sich skeptisch gegenüber einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Auch auf das Verhältnis zur CDU geht Dürr ein.

Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Christian Dürr, 45, ist seit Dezember 2021 Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion.

Nach den schlechten Ergebnissen bei den Landtagswahlen gibt es Unmut in der FDP. Schuldenpolitik, Entlastungpaket und die Energiepolitik sind die Stichworte, die auch die Unzufriedenheit mit der Rolle der Liberalen in der Ampel schüren. Was sagen Sie den Kritikern? 

FDP-Politik ist immer erklärungsbedürftig, weil wir nicht Mainstream sind. Wir bringen unsere klare marktwirtschaftliche Ausrichtung in die Regierung ein. Das zeigt sich etwa auch bei dem verabschiedeten Paket, denn da sind auch strukturelle Entlastungen dabei. Also genau das, wofür wir stehen. Die schwäbische Hausfrau bleibt unser Vorbild, also immer restriktiv zu sein bei den Ausgaben. 

Aber der Unmut in den liberalen Reihen ist nicht zu überhören. Stichwort: unnötige Subventionen wie etwa das Neun-Euro-Ticket bei der Bahn.

Das Neun-Euro-Ticket ist ein Kompromiss, das gehört zum Regieren dazu. Und wenn man sich das Gesamtpaket anguckt, dann ist das nur ein kleiner Teil. Es ist auch etwas dabei, was den anderen Partnern nicht gefallen hat. Nehmen Sie die Pendlerpauschale oder die Erhöhung des Grundfreibetrags und des Arbeitnehmer-Pauschbetrags. Das sind ja gerade Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen, die besonders hart von der Krise betroffen sind.

Fällt es Ihnen nicht schwer, den Tankrabatt zu verteidigen? 

Es gibt sehr viele Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, vor allem Pendler im ländlichen Raum. Wenn wir nichts gemacht hätten, dann gäbe es jetzt wahrscheinlich Benzinpreise in Deutschland von 2,30 Euro. Und es ist gut, dass wir das verhindert haben. Wir hätten uns auch einen anderen Weg dahin vorstellen können, etwa nach dem spanischen Modell ein Rabatt direkt an der Tankstelle. Nun gibt es den indirekten Weg – und der grüne Wirtschaftsminister muss sicherstellen, dass die Entlastung auch wirklich an der Zapfsäule ankommt. 

Sie haben sich gegen die derzeit diskutierte Übergewinnsteuer ausgesprochen. Doch wie sicher können FDP-Wähler sein, dass sie mit der Ampel wirklich nicht kommt?

Zur Übergewinnsteuer kann ich klar sagen, dass es sie mit der FDP in dieser Regierung nicht geben wird. Erstens, weil es eine Steuererhöhung wäre, die wir definitiv ausgeschlossen haben. Und zum Zweiten, weil sie dem Wirtschaftsstandort massiv schaden würde. Nehmen Sie das Beispiel Biontech. In der Corona-Krise hat die Firma hohe Gewinne mit dem Impfstoff erzielt. Aber stellen wir uns doch nur mal eine Sekunde vor, wie wir dagestanden hätten, wenn wir Biontech nicht gehabt hätten, weil Deutschland kein attraktiver Investitionsstandort ist. Also ich freue mich über die Unternehmen in Deutschland, die schon sehr hohe Steuern zahlen, und ich halte es für völlig falsch, hohe Gewinne moralisch zu bewerten. 

Ein weiteres hochemotionales Thema seit Jahrzehnten in Deutschland ist die Kernenergie. Angesichts der Krise wird über eine Laufzeitverlängerung diskutiert. Es ärgert offenbar viele Liberale, dass die Haltung der FDP dazu unklar ist. Warum ist das so?

Weil es so einfach nicht ist. Es ist ja nicht der Staat, der Kernkraftwerke betreibt. Wenn es ein Unternehmen gäbe, das sagt, es ist wirtschaftlich sinnvoll, die Kernkraftwerke länger zu betreiben, um die erhebliche Stromlücke im kommenden Winter zu schließen, dann müssen wir darüber reden. 

Die Franzosen bauen neue Kernkraftwerke, die Polen setzen sie an unsere Grenze. Sind Sie dafür, dass langfristig in Deutschland auch wieder Kernkraftwerke entstehen können? 

Zurzeit gibt es dafür in Deutschland keinen Business Case. Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass in Kernenergie investiert werden wird. Aber ich bin für Technologieoffenheit und eine unideologische Debatte bei dem Thema.

Frankreich überlässt das nicht dem freien Spiel der Kräfte. Präsident Macron hat dafür gekämpft, dass die Atomenergie in die EU-Taxonomie aufgenommen wird. Was tut die FDP konkret für Technologieoffenheit?

Das FDP-geführte Bildungsministerium investiert in Forschung, etwa im Bereich Kernfusion, das ist Teil der von uns geforderten Technologieoffenheit. Kernfusion steckt noch in den Kinderschuhen, aber wir müssen uns alle Optionen offenhalten. Das gilt übrigens auch für den Verbrenner-Motor. Verbote sind der falsche Weg und wird es mit der FDP nicht geben. 

Auch beim Thema Außenhandel rumort es. Das grün-geführte Wirtschaftsministerium und das grün-geführte Außenministerium drängen auf stärkere Unabhängigkeit von China. Doch der deutsche Mittelstand warnt vor einer Abkoppelung und sieht die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Gefahr. Was also will die FDP?

Wir wollen auf jeden Fall den Fehler nicht wiederholen, der in der Energiebranche zu der hohen Abhängigkeit von Russland geführt hat. Außerdem haben wir ein ganz anderes Verständnis von Demokratie und Menschenrechten als China. Deswegen sind Wirtschaftsbeziehungen mit China nie einfach. Unsere Antwort muss deswegen sein: weniger Abhängigkeit von China und mehr Freihandel mit den liberalen Demokratien der Welt.

Doch die Grünen blockieren das Freihandelsabkommen mit Kanada. Wird die FDP hier die Bedenken der Koalitionspartner zerstreuen können? 

Hier sehe ich schon Bewegung bei den Koalitionspartnern, denn es kann ja nicht sein, dass wir – zwar aus der Not geboren – Geschäfte mit Katar machen, aber den Freihandel mit demokratischen Staaten nicht voranbringen. Freihandel bringt Wohlstand. Und wir müssen unsere Handelsbeziehungen viel stärker diversifizieren. Das heißt: mehr Partner, weniger Abhängigkeit.

Sie hatten das Thema Finanzen bereits angesprochen. Haben Sie schon Ideen, wo Sie beim Haushalt 2023 einsparen können?

Für den Haushalt 2023 gilt die Schuldenbremse wieder. Und die anstehenden Haushaltsberatungen werden nicht einfach, da dann nicht alle Wünsche realisiert werden können. Aber auch da haben wir ja schon etwas getan. Wir haben die Ausgaben des Bundes um 70 Milliarden Euro reduziert. Konkret kann ich mir beispielsweise auch Einsparungen in der Bundesverwaltung vorstellen. In den letzten Jahren sind insbesondere die Bundesministerien massiv angewachsen. Ministerien sollten nun in der Lage sein, Stellen, die mal notwendig waren, nun aber nicht mehr notwendig sind, auch wieder abzubauen. 

Noch ein gesellschaftspolitisches Thema: Steht die FDP geschlossen hinter dem Vorhaben eines Selbstbestimmungsgesetzes, welches die binäre Geschlechterlogik aufhebt und die Wahl der amtlichen Geschlechtszugehörigkeit – auch für Minderjährige – der persönlichen Freiheit und dem persönlichen Empfinden des Einzelnen überlässt?

Das Bundesverfassungsgericht hat vor einiger Zeit entschieden, dass die aktuelle Rechtslage nicht verfassungskonform ist, deswegen werden wir hier Änderungen vornehmen. Bestehende Diskriminierung muss ein Ende haben. In der Gesellschaftspolitik gibt es viel Einigkeit in der Ampel-Koalition. Aber ich halte nichts von ideologischen Geschlechterdebatten. Die Gesellschaft hat sich verändert. Jeder Mensch sollte leben, wie er es möchte – ohne dass der Staat altmodisch dazwischen grätscht. Ein weiteres großes gesellschaftspolitisches Thema ist die Modernisierung des Einwanderungsrechts. Es wird auch ein großer wirtschaftspolitischer Meilenstein sein, wenn wir Deutschland endlich zu einem modernen Einwanderungsland machen. 

Zum Schluss noch eine Frage: Offenbar koaliert die CDU inzwischen lieber mit den Grünen als mit der FDP. Geht da nun endgültig eine Ehe in die Brüche?

Wir waren nie mit der CDU verheiratet, es geht um Politik, nicht um Beziehung. Aber nüchtern betrachtet, gibt es auch weiterhin in wichtigen Feldern eine große programmatische Nähe von FDP und Union. Im Übrigen habe ich auch weiter guten Kontakt zu Christdemokraten. Ich war zehn Jahre im Niedersächsischen Landtag mit der CDU in einer Koalition – und die war durchaus erfolgreich. 

Die Fragen stellte Volker Resing.

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