Illerkirchberg - Wir sollen uns an den Irrsinn gewöhnen

Die Nicht-Informationspolitik der Behörden zu den Angriffen auf zwei Mädchen in Illerkirchberg setzt neue Maßstäbe im Verschweigen. Und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird seinem eigentlichen Auftrag mal wieder nicht gerecht. Die Botschaft lautet: Gewöhnt Euch dran, Leute.

Kerzen brennen am Tatort in Illerkirchberg / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Polizeipräsidium Ulm, gestern, ganztägig: Ja, da war was. Und ein Mädchen ist inzwischen verstorben; das können wir bestätigen. Aber nun müssen wir erst einmal gründlich ermitteln.

Die Nicht-Informationspolitik der Behörden im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg nach den gestrigen Angriffen auf zwei 13 und 14 Jahre alte Schulmädchen setzt neue Maßstäbe, von denen selbst die Desinformationsexperten in China oder im Iran noch etwas lernen könnten. Auch elf Stunden nach der Tat, die sich am Morgen kurz vor halb acht ereignet hat, kam von der zuständigen Pressestelle: nichts. Nichts zu wer, nichts zu was, nichts zu warum, nichts zu wie. Nicht einmal, dass eine Waffe benutzt wurde, wollte man bestätigen, obwohl es offensichtlich war, geschweige welche. Keine der Grundfragen beantwortet.

Ohne die vom Südwestrundfunk sehr früh gesendete Schilderung eines Nothelfers und Augenzeugen, der sich der kompletten Absperrung des Tatortes im Umkreis von mehreren hundert Metern naturgemäß noch hatte entziehen können, wären der Tathergang und das Ausmaß des Verbrechens den ganzen Montag über vollends im Dunkeln geblieben.

Nothelfer einzige substantielle Informationsquelle

Alles, was die Öffentlichkeit bis zum Abend an wesentlichen Fakten erfuhr, stammte von diesem einen Augenzeugen, der anscheinend aber unmittelbar nach seiner Aussage aus dem Verkehr gezogen wurde. Seine Schilderung ist am Tag danach online nicht mehr auffindbar; in der SWR-Mediathek findet man sie mit einiger Mühe heute noch in indirekter Rede. 

Derselbe SWR brachte gestern Nachmittag übrigens das Kunststück fertig, in seinen 16-Uhr-Nachrichten – mehr als acht Stunden nach der Tat – mit einer Schalte zur völlig ahnungslosen Kollegin Annette Schmidt im Ulmer Studio aufzuwarten (Entfernung zum Tatort: fünf Kilometer Luftlinie). Moderatorin: Wie ist denn die aktuelle Lage in dem Ort? Antwort: „Wahrscheinlich sehr gedrückt und sehr geschockt.“ (ab Min 1:40)

Die ARD-„Tagesschau“ erkannte die Gefahr rassistischen Missbrauchs des Vorfalls natürlich ebenfalls und schaltete, nachdem eine Ignorierung in der 20-Uhr-Ausgabe auf Grund schlechter Erfahrung auch diesmal nicht in Frage kam, vor ihren einminütigen Bericht aus Ulm eine doppelt so lange Reportage von der bulgarisch-türkischen Grenze, in der ein Flüchtling auf dürftiger Beweislage behaupten durfte, er sei von bulgarischen Grenzern angeschossen worden und das hätte er ausgerechnet von Europa doch nie erwartet. 
 

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Für dieses Stück gab es keinen aktuellen Anlass, denn das Ereignis liegt mehr als zwei Monate zurück, womit es garantiert nicht zu den wichtigsten des Tages im Weltgeschehen gehörte, aber solche Überlegungen müssen zurückstehen, sobald es um höhere Werte geht (ab Min. 9:26 bzw. Min. 11:45, kurz vor Sport und Wetter). Die Polizei wollte die Angaben des einzigen Augenzeugen ganztägig weder bestätigen noch dementieren: „Wir müssen jetzt erst einmal sorgfältig die Hintergründe und vor allem das Tatmotiv herausfinden.“

Es erschien ihr offenbar regelrecht unangenehm, dass sich da jemand erdreistete, ihr Informationsmonopol zu durchbrechen. Möglicherweise war ihr seine Schilderung zu eindringlich und geeignet, politisch unerwünschte Emotionen zu schüren, die sie dann mühsam später mit Belehrungen und Drohungen an die Adresse eventueller Urheber von Hass und Hetze auf Facebook einzufangen suchte: „Wir werden zu keinem Zeitpunkt Rassismus, Diskriminierung, Gewaltverherrlichung, Sexismus, Ausländerfeindlichkeit, Beleidigungen, Verleumdungen und üble Nachrede in Kommentaren dulden!“ 

Nicht-Informationspolitik der Behörden

Regelrecht absurd war ihre Beteuerung, „für die Bevölkerung“ habe keine Gefahr bestanden. Das passt bereits nicht zu dem Umstand, dass die örtliche Polizei nach eigener Darstellung erst das Eintreffen eines Spezialeinsatzkommandos abwartete, um nachzusehen, wer sich in der örtlichen Asylbewerberunterkunft aufhält und was sich dort abspielt. Man überließ es dem SEK, die drei dort angetroffenen Eritreer festzunehmen und den Haupttatverdächtigen 27-Jährigen zu entwaffnen, denn das mutmaßliche Tatmesser trug er nach den vorliegenden Informationen noch bei sich.

Daraus darf man schließen, dass der Hauptverdächtige noch eine ganze Zeit lang in der Unterkunft sich selbst überlassen blieb und er währenddessen mühelos noch weiteres Unheil hätte anrichten können, inklusive Mord und Selbstmord. Die Verletzungen, die er bei seiner Festnahme aufwies, hat er sich – so eine Information am heutigen Dienstag – anscheinend  selbst beigebracht. Mindestens hätte er jederzeit auch auf seine beiden Landsleute losgehen können, deren Rolle nun ebenfalls erst noch ermittelt werden muss, möglicherweise – dazu  fehlen verlässliche Informationen – aber auch auf eine dort angeblich ebenfalls wohnende Familie.

Tatsächlich führte die Nicht-Informationspolitik der Behörden den ganzen Tag über zu zusätzlicher großer Verunsicherung der Bevölkerung in dem 5.000-Einwohner-Ort und zu Panik von Eltern, die ihre Kinder in der Grundschule in unmittelbarer Nähe des Tatorts wussten. Die Polizei kämpfte daraufhin im Ort selbst stundenlang gegen Gerüchte, etwa, es sei ein Amok-Alarm ausgelöst worden, deren Entstehen sie selbst erst ermöglicht und provoziert hatte: „Gefahr für die Bevölkerung hat laut Polizei nicht bestanden. Trotzdem wurden die Kinder in einer nahegelegenen Grundschule von ihren Eltern abgeholt.“

„Am Boden mit einer riesigen Stichwunde im Bauch“

Er habe am Morgen in dem Ort südlich von Ulm nahe einer Ampel Geräusche gehört, berichtete der Nothelfer. Er habe nachgeschaut und „da lag das Mädchen blutend am Boden mit einer riesigen Stichwunde im Bauch. Ein zweites hatte Verletzungen unterhalb der Brust, eine Stichwunde. Sie war völlig aufgelöst.“

Das Ulmer Polizeipräsidium, ebenfalls nicht einmal eine Viertelstunde vom Tatort entfernt, ließ sich dagegen bis 18 Uhr mit einer ersten Pressemitteilung Zeit, um das zu schreiben, was seinen in Illerkirchberg tätigen Beamten bereits seit 9 Uhr am Vormittag bekannt war. Und es entschuldigte sich regelrecht dafür, am Abend dann doch noch mit einigen amtlichen Fakten herauszurücken und erstmals die Nationalität des Haupttatverdächtigen zu nennen, indem es schrieb: „Die Polizei betont, dass sie sich bewusst ist, dass Ereignisse dieser Art Ängste und Emotionen schüren. Sie bittet daher, keinen Generalverdacht gegen Fremde, Schutzsuchende oder Asylbewerber allgemein zu hegen oder solchem Verdacht Vorschub oder Unterstützung zu leisten.“

Für einen solchen „Generalverdacht“ gibt es unverändert keine validen Anhaltspunkte. Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung weiß zwischen den einzelnen Gruppen von Asylbewerbern, Flüchtlingen und Zuwanderern, illegalen wie rechtmäßigen, längst bestens zu unterscheiden. Genau diese Unterscheidung ist Politik, Medien und Nichtregierungsorganisationen aber ein Dorn im Auge.

Dass junge Männer aus Afghanistan, Somalia, Moldawien, Marokko oder eben auch Eritrea nicht mit derselben Selbstverständlichkeit in Deutschland empfangen und aufgenommen werden wie etwa die Frauen, Kinder und Großeltern aus der Ukraine, ist für sie ein unerträglicher Skandal, der sich in solchen volkspädagogischen Ermahnungen ein weiteres Mal äußert und, wie hier zu sehen, inzwischen direkten und im Hinblick auf das Recht auf Informationsfreiheit nach Artikel 5 sogar verfassungswidrigen Einfluss hat auf das Informationsgebaren der Behörden in einem grün-schwarz regierten Bundesland.   

Botschaft: Gewöhnt Euch dran, Leute

Und es funktioniert ja bisher sogar, Fakten nur sehr dosiert und stark verzögert herauszugeben. Dann legt sich die Aufregung, und morgen ist schon wieder ein neuer Tag. Die Botschaft lautet: Gewöhnt Euch dran, Leute. Und wenn nicht, ist es auch egal. Ihr werdet weder in der Politik noch in den Medien und schon gar nicht in der sogenannten Zivilgesellschaft irgendwelche Verbündete finden, diese Entwicklung zu stoppen. Nicht einen einzigen. Die stehen alle gegen Euch, sogar ausdrücklich. Und niemand fragt nach politischer Verantwortung. Kurzum: Wir sollen den Irrsinn als neue Normalität akzeptieren und gefälligst die Klappe halten.

Die hier erkennbare strukturelle Frauenverachtung ist ein fester Bestandteil von Deutschland 2022. Dass sie stattfindet in einer Zeit, in der der Frauenanteil in der Bundesregierung und in leitenden Positionen der Qualitätsmedien höher ist als jemals zuvor, verstehe, wer will. Die Frauen verraten durch die Duldung, ja Propagierung einer irrationalen, idiotischen Asyl- und Einwanderungspolitik sich selbst und vor allem jene, die am verletzlichsten und am schutzbedürftigsten sind: junge Mädchen. 

Jedes fehlende Gendersternchen, jeder Verweis auf biologische Tatsachen führt zu einem Aufschrei, aber Ereignisse wie nun wieder nahe Ulm zu kommentieren, überlässt man Desorientierten wie WDR-Mann Georg Restle, der allen Ernstes heute Vormittag unter dem Beifall seiner Anhänger schreiben darf, er halte die „politische Instrumentalisierung für genauso widerlich wie die Straftat selbst“. 

Innenminister Strobl wünscht rasche Genesung

Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihre Arbeit für eine Ausweitung weitgehend unkontrollierter Einwanderung bei gleichzeitig erleichterter Einbürgerung gestern Abend kurz unterbrach, um ihre persönliche Betroffenheit zu beteuern, äußerte sich auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Die 14-Jährige sei jäh und brutal aus dem Leben gerissen worden. „In Gedanken sind wir in diesen schweren Stunden bei den Eltern, der Familie, den Hinterbliebenen der Getöteten sowie bei den Mitschülerinnen und Mitschülern und Freunden des jungen Mädchens. Ihnen gilt unsere herzliche Anteilnahme“, so Strobl in einer Mitteilung, wohlgemerkt wie Faeser ausreichend fern des Tatorts. Dem 13-jährigen Mädchen, das bei der Tat verletzt wurde, wünschte Strobl eine schnelle, vollständige körperliche und psychische Genesung. Der Innenminister kündigte an, die Tat von Illerkirchberg restlos aufzuklären.

Eben das wird auch diesmal ganz bestimmt nicht geschehen. Denn damit müsste er sich selbst und seine eigene Politik in Frage stellen und erst recht die der Grünen, denen er seinen Posten verdankt. Bereits die Frage, was die drei Eritreer in Deutschland noch zu suchen haben, wie und warum sie überhaupt ins Land kamen, könnte zu unerwünschten Antworten führen.

Während der Tagesspiegel kürzlich wahrheitswidrig behauptete, wegen eines in Eritrea herrschenden „Zwangsrekrutierungssystems“ seien „die Anerkennungsquoten [für Eritreer] im deutschen Asylsystem hoch“, beklagte Pro Asyl längst, eben diese Quoten seien „von 2017 bis 2019 von mehr als 50 Prozent auf unter fünf Prozent gefallen“, weil sich die Verhältnisse im afrikanischen Land nach Überzeugung der deutschen Asylbehörden geändert hätten. Nicht einmal jeder zwanzigste männliche Flüchtling aus Eritrea hat laut Gesetz tatsächlich hierzulande noch Anspruch auf Asyl. 

Illerkirchberg hat böse Erfahrungen

Einige wenige Medien stellten im Übrigen klar, dass das Verbrechen von gestern keineswegs aus dem Nichts kam, wie es vielfach suggeriert wurde. Die kleine Gemeinde war schon an Halloween 2019 Schauplatz eines schrecklichen Verbrechens. Vier aus dem Irak und Afghanistan stammende Männer zwischen 17 und 26 Jahren machten ein 14 Jahre altes Mädchen in einer Flüchtlingsunterkunft mit Betäubungsmitteln wehrlos und vergewaltigten es mehrfach.

Die Tat, so Der Spiegel, geschah in einem abgelegenen, damals von der Gemeinde genutzten Haus in einem anderen Ortsteil. „Das Landgericht Ulm verurteilte die Täter im März 2021 zu Haftstrafen von zwei Jahren und drei beziehungsweise zwei Monaten.“ Sie dürften also inzwischen wieder auf freiem Fuß sein.

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