Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine - „Wir sind kein Volk von Egoisten“ 

Anders als 2015 sind wir heute besser auf das Ankommen von Flüchtlingen vorbereitet, sagt Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, im Cicero-Interview. Defizite bei der Registrierung der Ukrainer führen allerdings dazu, dass eine systematische Hilfe schwierig ist, so die ehemalige Bundestagsabgeordnete.   

Mitarbeiter des Roten Kreuzes versorgen Flüchtlinge aus der Ukraine am Bahnhof Frankfurt/Oder mit Nahrungsmitteln / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Gerda Hasselfeldt (CSU) war von 1991 bis 1992 Bundesministerin für Gesundheit und von 2005 bis 2011 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Seit Dezember 2017 ist sie Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).

Frau Hasselfeldt, wie bewerten Sie aktuell die Situation in der Ukraine? 

Die Situation in der Ukraine stellt sich für uns nach wie vor erschreckend dar. Ich finde gar keine Worte mehr für den Zustand, unter dem Millionen von Menschen dort leben. In den besonders hart umkämpften Regionen gibt es kein Wasser, keinen Strom, keine Lebensmittel, keine medizinische Versorgung. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Viele Zivilpersonen müssen um ihr Leben fürchten.   

Wo helfen Sie vor Ort?   

Wir unterstützen schon seit Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Osten des Landes 2014 das Ukrainische Rote Kreuz. Aktuell helfen wir unter anderem bei der Bewältigung der humanitären Logistik. Sowohl in der Ukraine als auch im benachbarten Polen wurden bis heute über 2000 Tonnen Hilfsgüter und Lebensmittel verteilt. Mittlerweile helfen wir auch Flüchtlingen in der Republik Moldau. Unsere Kolleginnen und Kollegen vom Ukrainischen Roten Kreuz haben zum Beispiel mittlerweile mehr als 42.000 Menschen in Erster Hilfe ausgebildet, oft in Luftschutzbunkern. Zehntausende wurden aus umkämpften Gebieten evakuiert. Wir sorgen uns aber auch um die Aufrechterhaltung wichtiger sozialer Dienste, wie zum Beispiel des häuslichen Pflegedienstes. Hier erarbeiten wir gerade gemeinsam mit unseren lokalen Kollegen vor Ort krisengeeignete Konzepte.   

In Deutschland kümmern Sie sich um die ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Wie ist die aktuelle Lage? 

Die Lage in Deutschland ist noch immer von einer sehr großen Hilfsbereitschaft geprägt, auch von Menschen, die bereit sind, ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Die Hilfsbereitschaft ist, auch was die Spenden an humanitäre Organisationen betrifft, riesengroß. Man spürt deutlich: Wir sind kein Volk von Egoisten, sondern eine hilfsbereite Gesellschaft. In den meisten Bundesländern betreuen wir mittlerweile Menschen in Aufnahmezentren und Erstaufnahmeeinrichtungen. Wir sorgen für Unterbringung, Verpflegung und für medizinische Betreuung. Unsere mehr als 380 Beratungsstellen in Deutschland haben darüber hinaus alle Hände voll zu tun.  

 

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Gerade was die Registrierung der Flüchtlinge betrifft, gibt es offenbar Probleme. Muss die Bundesregierung die Registrierung aller Flüchtlinge sicherstellen? 

Wir haben ja in der EU die rechtliche Regelung, dass sich ukrainische Staatsbürger im Schengenraum zunächst einmal 90 Tage ohne Visum frei bewegen können. Die Registrierung wird vor allem notwendig, wenn die Personen Leistungen beziehen wollen. Tatsächlich stehen wir im DRK vor der Herausforderung, dass wir zu Menschen, denen wir gerne helfen würden, vielfach keinen systematischen Zugang haben. Wir müssen jetzt in die Quartiere gehen, um auf Angebote aufmerksam zu machen und die zu erreichen, die in privaten Wohnungen untergebracht sind. 

Wie groß ist die Gefahr, dass sich eine unkontrollierte Situation wie 2015 wiederholt? 

Die Lage ist jetzt schon deutlich geordneter, als dies damals der Fall war. Und auch die Kommunen sind besser vorbereitet, was die Unterbringung anbelangt. Das war damals, in den Jahren 2015 und 2016, wesentlich schwieriger.  

Was muss sich verbessern, um auf solche Krisensituationen besser vorbereitet zu sein?  

Gerda Hasselfeldt

Es ist ja nicht die erste Krisensituation. Es gab die Flüchtlingsbewegung 2015/16, die Erfahrungen aus der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr und mit der Corona-Pandemie seit 2020. Die Beispiele der letzten Jahre zeigen deutlich, dass wir zu wenig Material in Bezug auf Betreuung von Menschen in Krisensituationen vorhalten und bereitstellen können. Das fängt mit Notunterkünften, Feldbetten, Hygieneartikeln und medizinischer Betreuung an. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben wir sehr viel an Vorsorge für Krisen- und Katastrophenfälle abgebaut. Der Bevölkerungsschutz muss jetzt wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Es kann nicht sein, dass wir nur auf die militärische Sicherheit bedacht sind und nicht auch auf den Schutz der Bevölkerung. Wir brauchen auch im Bevölkerungsschutz eine Zeitenwende. Und wir müssen Vorsorge treffen im Vorfeld einer Krise, nicht nach deren Eintreten. 

Welchen Investitionsbedarf gibt es beim Bevölkerungsschutz? 

Im Bundeshaushalt stehen derzeit pro Jahr 700 Millionen Euro für den Bevölkerungsschutz. Meine Prognose ist, dass wir etwa zwei Milliarden Euro brauchen. Es ist eine überschaubare Größenordnung, aber es ist eine Größenordnung, die wirklich notwendig ist, weil wir an die Grenzen stoßen. Bei der Flutkatastrophe etwa hatten wir nur vier mobile Arztpraxen im Einsatz, und wir hätten mindestens zehn gebraucht. Ich hoffe, dass die Ampelregierung da noch nacharbeitet. 

Vor ihrer Tätigkeit für das Deutsche Rote Kreuz waren Sie 30 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages. Es wird nun viel darüber gesprochen, wie wir in die jetzige Situation gekommen sind. Haben Sie für sich einen Punkt, wo Sie sagen: Da habe auch ich mich geirrt? 

Ich glaube, man muss Entscheidungen und auch seine eigenen Bewertungen immer im Licht der jeweiligen Zeit und im historischen Kontext betrachten. Es ist ja nicht so, dass wir zur damaligen Zeit, etwa als viele Entscheidungen in Bezug auf die Nato und die Annäherung an Russland getroffen wurden, das Wissen von heute hatten. Die Einschätzungen in Bezug auf Russland waren andere, und die Annäherung war von vielen als richtige und wichtige Weichenstellung angesehen worden. Auch ich habe mir ein so brutales Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung, wie es sich jetzt darstellt, niemals vorstellen können. 

Wie ist es mit der Energiepolitik? Würden Sie im Nachhinein denn den Ausstieg aus der Kernenergie immer noch als richtig ansehen?  

Damals nach Fukushima und nach den damit verbundenen Diskussionen in unserer Gesellschaft war diese Entscheidung durchaus nachvollziehbar und aus damaliger Sicht auch richtig. Man muss akzeptieren, dass es im Leben halt manche Situationen gibt, wo man Ja oder Nein sagen muss. Aus der damaligen Sicht war es meines Erachtens richtig, dazu stehe ich auch heute. 

Die Fragen stellte Volker Resing. 

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