Parteiordnungsverfahren gegen Gerhard Schröder - Rückwärts immer

Die Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Region Hannover sieht keine Grundlage für einen Parteiausschluss Gerhard Schröders. Nachdem die Sozialdemokraten am Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine noch Zeter und Mordio gegen ihren Ex-Vorsitzenden geschrien hatten, scheint die kalte Chuzpe, mit der Schröder seither immer wieder mal von sich Reden gemacht hat, nicht nur auf manch einen Genossen Eindruck gemacht zu haben. 

Schröder und Putin (Fotomontage) / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Für gewöhnlich kann man vom Alten schwer lassen. Je unwegsamer das Heute wird, desto größer der Sog, der einen mitten hinein ins Gestern ziehen will. Nur so ist es vielleicht zu erklären, dass die halbe Republik dieser Tage gebannt nach Hannover starrt, genauer gesagt in den Hannoveraner SPD-Unterbezirk Oststadt-Zoo, wo am heutigen Montag die Schiedskommission der dortigen SPD-Gliederung in erster Instanz über den Parteiausschluss des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder entschieden hat.

Es hat im Vorfeld heftige Kontroversen über den siebten Kanzler der Republik gegeben: Gleich 17 SPD-Bezirke hatten das Parteiordnungsverfahren gegen den heute 78-Jährigen beantragt; hinzu kamen weitere Anträge, die den formalen Vorgaben nicht entsprachen. Jetzt also steht das Urteil fest, vorerst zumindest: Daumen hoch für „Gas-Gerd“, wie eine große deutsche Boulevardzeitung den Energie-Lobbyisten, der noch bis in den Mai hinein Aufsichtsratschef des russischen Energiekonzerns Rosneft war, mittlerweile mehr despektierlich denn humorvoll nennt. Schröder also darf weiterhin Genosse bleiben. 

Schröders parteiinterne Gegner scheinen zu zögern

Die Kommission jedenfalls sieht keine Grundlage für eine Rüge oder gar einen Parteiausschluss. Zwar mag man sich an dem Gebaren des Partei-Altvorderen aus dem lippischen Mossenberg reiben, doch nach Meinung der Schiedskommission hat Schröder mit seinem Engagement für russische Staatskonzerne nicht gegen die Parteiordnung der SPD verstoßen.

Wer dem nicht folgen will, der kann nun innerhalb von zwei Wochen gegen diese Feststellung Berufung einlegen. Eine solche müsste binnen eines Monats schriftlich begründet werden. Ob dies wirklich geschieht, ist fraglich. Zwar sind schon andere Parteimitglieder für weit geringere Vergehen aus der SPD geflogen, doch Schröders parteiinterne Gegner scheinen zu zögern. Zumindest lassen sie sich nach der heutigen Niederlage nicht so einfach in die Karten blicken.

Der Wind innerhalb der Partei hat sich ein wenig gedreht

Ali Kaan Sevinc etwa, SPD-Ortsvereinsvorsitzender in Essen-Frohnhausen/Altendorf gesteht nach dem Spruch der Schiedskommission gegenüber der Rheinischen Post zwar, dass er weiterhin kritisch bleibe – „an  der Haltung, dass Herr Schröder aus der SPD ausgeschlossen werden soll, hat sich für uns nichts geändert“ –, er wolle sich die heutige Begründung aber erst einmal in Ruhe anschauen.
 

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Der Wind innerhalb der Partei scheint sich ein wenig gedreht zu haben. Nachdem die SPD zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine noch Zeter und Mordio gegen ihren Ex-Vorsitzenden geschrien und das Willy-Brandt-Haus noch im März den Kaffeebecher „Gerhard Schröder“ voller Scham aus dem Bestellsortiment genommen hatte, scheint die Unbeirrbarkeit, ja die kalte Chuzpe, mit der Schröder seither immer wieder mal von sich Reden gemacht hat, nicht nur auf manch einen Genossen Eindruck gemacht zu haben. 

Balsam für die gesundene Sozen-Seele

Sicherlich: Öffentlich und vor laufender Kamera würde das in der SPD niemand eingestehen wollen. Heimlich aber und unter der Bettdecke wird man wohl ganz genau verfolgt haben, was der Putin-Freund Gerhard Schröder da in langen Interviews mit der New York Times oder jüngst mit dem Hamburger Magazin Stern so alles von sich gegeben hat. Wer sonst nämlich wüsste überhaupt noch irgendetwas Neues aus Moskau zu berichten?

Klar, die meisten von Schröders Worten waren auch hier unempathisch und unverfroren – etwa die Forderung, die Bundesregierung solle in Anbetracht der drohenden Energiekrise doch endlich die Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb nehmen. Anderes aber mag wie Balsam für die ach so geschundene Sozen-Seele gewesen sein. So sprach der Ex-Kanzler etwa auch von der Notwendigkeit von Gesprächen mit Russland und von der besonderen Verantwortung Deutschlands im Zusammenspiel mit Frankreich.

Niemand weiß, wie eine realistische Lösung aussehen könnte

In Zeiten, in denen eben sonst niemand mehr mit Putin redet und in denen dennoch kaum jemand eine Ahnung hat, wie eine realistische Lösung in der Ukraine aussehen könnte, würde man den letzten Grenzgänger zwischen Hannover und Moskau zwar allzu gerne öffentlich kreuzigen. Insgeheim aber murmelt man wohl Hosianna. Denn wer weiß schon, wofür man Schröder dereinst noch gebrauchen kann. Wenn der Hannoveraner am Ende auch nicht für den Frieden taugt, dann sicherlich für ein Stück Nostalgie. Bei der alten Tante SPD, die derzeit von einem Umfragetief ins nächste strauchelt, ist das womöglich mehr als genug.

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