Fridays for Future und Antisemitismus - Luisa Neubauer hat nichts hinzuzufügen

Die deutsche Klima-Aktivistin Luisa Neubauer wird im Interview mit der „Jüdischen Allgemeinen“ zum Thema Antisemitismus bei Fridays for Future befragt - und redet sich um Kopf und Kragen.

Selbstverständlich auch gegen Antisemitismus: Luisa Neubauer / dpa
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Die Klima-Bewegung hat ein Problem mit Israel. Die Organisation „Fridays for Future International“ ist bereits mehrfach mit israelfeindlichen Tweets aufgefallen, in denen sie dem jüdischen Staat „Apartheid“ und „Neokolonialismus“ vorwarf und verlauten ließ: „Als internationale antikoloniale Bewegung für Klimagerechtigkeit sind wir solidarisch mit der palästinensischen Befreiung.“ Auch einige deutsche Ortsgruppen von „Fridays for Future“ machen sich mit anti-israelischen Positionen gemein. So sprach etwa auf der Bremer Klimademo im September ein Mitglied der Gruppe „Palästina spricht“, die der antisemitischen BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions) nahesteht, was Fridays for Future Bremen mit den folgenden Worten rechtfertigte: „Fridays for Future ist eine antikoloniale und internationale Bewegung. … Als Ortsgruppe schließen wir uns klar dem internationalen Konsens der Bewegung an, welcher ganz eindeutig auch Palästina in seine antikoloniale Solidarität mit einbezieht.“

Das deutsche Gesicht von Fridays for Future, Luisa Neubauer, Mitglied der Grünen, distanzierte sich zwar von solchen Positionen, aber welche Konsequenzen folgen aus dieser Distanzierung? Das wollte auch die Jüdische Allgemeine wissen und lud Neubauer zum Interview. Und wer erleben möchte, mit welchen nichtssagenden Phrasen und Floskeln sie um das Thema herumredet, sollte dieses Interview lesen. „Wir haben uns selbstverständlich auch dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben“, versichert Neubauer, die zum Interview extra eine jüdische Klima-Aktivistin (Anael Back) mitgebracht hat, um zu demonstrieren, dass einige ihrer besten Freund*Innen Ju(e)d*Innen sind.

Nicht der Job einer Jugendbewegung

Wie dieser „Kampf“ aussieht, erfährt man leider nicht. Auf die Frage des Interviewers, ob eine bloße verbale Distanzierung von antisemitischen Positionen ausreicht, antwortet Neubauer: „Mehr als uns von einer Aussage zu distanzieren, können wir im ersten Moment nicht. Das machen wir praktisch nie. Das war ein großer und deutlicher Schritt.“ Und Back sekundiert ihr: „Ich würde sagen, eine Distanzierung reicht. Danach geht es darum, den Worten Taten folgen zu lassen.“ Welche Taten? Back: „Jetzt sind wir daran, eine Workshop-Reihe anzubieten, mit der wir den Ortsgruppen die Möglichkeit geben, sich über Antisemitismus zu bilden, sodass wir Vorkommnisse von Antisemitismus in Zukunft minimieren oder sogar eliminieren können.“

Woraufhin Neubauer gleich wieder einschränkt: „An dieser Stelle müssen wir auch einmal feststellen, dass es nicht der Job einer Jugendbewegung sein sollte, diese Art der Bildungsarbeit zusätzlich selbst organisieren zu müssen.“ Den Job sollen gefälligst andere machen, denn: „Wir leben in einer strukturell antisemitischen Gesellschaft, in der alle gefragt sind, sich am Abbau dieser Form der Diskriminierung zu beteiligen.“

Den Begriff des „strukturellen Antisemitismus“ hatte der Soziologe Thomas Haury in die Debatte eingeführt. Er definierte die einschlägigen Strukturelemente in seinem Buch „Antisemitismus von links“ (2002) so: „Personifizierung gesellschaftlicher Prozesse mit daraus resultierender Verschwörungstheorie; Konstruktion identitärer Kollektive, Manichäismus, der die Welt strikt in Gut und Böse teilt und den Feind zum existentiell bedrohlichen, wesenhaft Bösen stilisiert, dessen Vernichtung das Heil der Welt bedeutet.“ Was den Manichäismus betrifft und die Stilisierung des „Klimasünders“ zum existentiell bedrohlichen Feind, kann sich die Klimabewegung an die eigene Nase fassen.

Inzwischen ist der Begriff des „strukturellen Antisemitismus“ selbst zur Floskel verkommen und wird vor allem von links gerne benutzt, um Debatten aus dem Weg zu gehen, die mit Antisemitismus nichts zu tun haben. So wird etwa die Frage, ob ein (nichtjüdischer) Milliardär wie Bill Gates womöglich einen ungebührlichen Einfluss auf globale Entscheidungen zur Gesundheitspolitik hat, gerne als strukturell antisemitisch abgetan, da dies ja eine „Personifizierung gesellschaftlicher Prozesse“ und zudem eine „Verschwörungstheorie“ sei – eine Kritik, die seltsamerweise nicht vorgebracht wird, wenn es um Elon Musk und seinen Einfluss via Twitter geht. Es gibt anscheinend schützenswerte und weniger schützenswerte Tech-Milliardäre.

Mit der Klimakrise gut ausgelastet

Doch zurück zu Luisa Neubauer. Indem sie den Begriff derart ausweitet, dass wir jetzt sogar in einer „strukturell antisemitischen Gesellschaft“ leben – was immer das heißen mag, im Unterschied zu einer Gesellschaft, in der es immer wieder zu ganz konkreten Fällen von Antisemitismus kommt –, drückt sie sich natürlich darum, über den Israelhass in den eigenen Reihen zu sprechen. Denn wo alles irgendwie strukturell antisemitisch ist, fällt der eigene gar nicht mehr so sehr aus dem Rahmen. Und eine solche Doppelbelastung wäre auch gar nicht zumutbar: „Das Thema ist natürlich total viel für eine Jugendbewegung wie unsere, die jeden Tag mit der Klimakrise beschäftigt und eigentlich damit auch gut ausgelastet ist“, beklagt sich Neubauer.

Und überhaupt, andere sind auch nicht besser: „Welche große internationale progressive Bewegung hat bisher damit einen Umgang gefunden, der für alle Beteiligten zufriedenstellend ist?“, fragt Neubauer rhetorisch. Und genau da hätte es spannend werden können. Warum denn hat jede „große internationale progressive Bewegung“ – von LGBTQ+ bis Black Lives Matter – genau dieses Problem; nämlich sich im Rahmen der Intersektionalität bedingungslos mit der palästinensischen Sache gemein machen zu müssen, Israel zum „kolonialistischen Apartheidstaat“ zu erklären und potentielle jüdische Sympathisanten damit abzuschrecken? Ein Umgang, wie Luisa Neubauer sich ihn wünscht, der „für alle Beteiligten zufriedenstellend“ ist – also für Juden wie für Antisemiten –, lässt sich da wohl kaum finden und sollte sich auch nicht finden lassen müssen.

Aber gut, dass man mal drüber geredet hat. Und geredet wird weiter. „Bei uns laufen derzeit Gespräche darüber, wie wir israelbezogenem Antisemitismus entgegenwirken können“, sagt Anael Back im Interview. Und Luisa Neubauer nickt: „Dem habe ich nichts hinzuzufügen.“ So sieht es wohl aus.

Das vollständige Interview lesen Sie hier.

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