FDP-Abstimmung über Ampel - Nicht mehr als ein Rückenwindchen

Eine knappe Mehrheit der FDP-Mitglieder hat sich für einen Verbleib ihrer Partei in der Ampel ausgesprochen. Eine Parteiführung, die dies als Erfolg und Bestätigung ihrer Arbeit wertet, redet sich die Stimmung an der Basis aber schöner, als sie ist.

Ampel-Koalitionäre Lindner, Habeck und Scholz / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Nach Rosa Luxemburg ist Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Auf den ersten Blick scheint die Kommunistin von damals mit den FDP-Mitgliedern von heute nur schwer vereinbar. Bei genauerer Betrachtung passt dieses Zitat aber gut zur jüngsten, wenn auch nicht bindenden Umfrage unter selbigen, ob die FDP in der Ampel verbleiben soll. So steht es doch gerade einer FDP gut zu Gesicht, wenn sie es schafft, Liberale mit unterschiedlichen Blickwinkeln unter einem Dach zu vereinen. Schließlich ist das „Jeder nach seiner Fasson“ eine Grundüberzeugung des Liberalismus. Da darf man durchaus unterschiedlicher Meinung sein, auch bei Grundsatzfragen. 

Vor diesem Hintergrund könnte man das Ergebnis der jüngsten parteiinternen Umfrage theoretisch sogar als Erfolg für die FDP-Führungsebene werten, die schon vorher angekündigt hatte, in der Ampel bleiben zu wollen, unabhängig vom Ergebnis. Dieses liegt seit dem Neujahrstag nun vor: 47,76 Prozent der Mitglieder stimmten für einen Austritt der FDP aus der Ampel. 52,24 Prozent also für einen Verbleib. Gleichzeitig haben etwa zwei Drittel der Mitglieder nicht abgestimmt. Demokratietheoretisch haben sich die FDP-Mitglieder also für eine weitere Zusammenarbeit mit SPD und Grünen in der Bundesregierung entschieden. 

Ein kleines Gedankenspiel

Mit Blick auf die Ampel, die den Schuss immer noch nicht gehört zu haben scheint, müsste man aber schon sehr töricht sein, den Ausgang dieser parteiinternen Abstimmung als Erfolg für die FDP-Führungsebene oder gar als Bestätigung der bisherigen Arbeit der Ampel aus FDP-Kreisen zu werten. Stellen wir uns, weil die FDP ja die Partei der Unternehmer sein will, Folgendes vor: Sie arbeiten in einem fusionierten Unternehmen, das ein Zusammenschluss von drei Firmen ist. Weil es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den durch den Zusammenschluss entstandenen drei Unternehmensbereichen kommt, initiiert jener Teil des Betriebsrates, der Ihrer Abteilung angehört, eine Abstimmung über die Frage, ob das Unternehmen zukunftsfähig ist. 

In der Folge bleiben zwei Drittel Ihrer Belegschaft der Abstimmung fern, und knapp ein Sechstel stimmt zwar ab, aber gegen eine Fortführung, weil sie erstens der Meinung sind, dass die Konzernstrategie in der Summe falsch ist, und weil sie zweitens zudem fürchten, dass am Ende ausgerechnet Ihre Abteilung dicht gemacht wird (ergo: die FDP aus dem Bundestag fliegt), während die anderen Abteilungen nur verkleinert werden (ergo: SPD und Grüne weniger Stimmen bekommen). Würden Sie als Bereichsleiter anschließend eine freudige Rundmail an alle Kollegen schreiben, wonach es erst einmal weitergehen wird wie bisher, weil sich ein Sechstel der Belegschaft Ihres Bereichs (Hurra!) für ein solches Weiter-so ausgesprochen hat? Wohl kaum.  

Vier Szenarien

Aber wie das eben so ist in Unternehmen und in Parteien ebenso, sind die Interessen der Führungsetagen nicht immer deckungsgleich mit jenen der Belegschaft beziehungsweise im Falle der FDP der Basis. Was den möglichen Austritt der FDP aus der Bundesregierung betrifft, gab es im Prinzip vier mögliche Szenarien, über die es als FDP-Mitglied vor dieser internen Abstimmung nachzudenken galt: 

Szenario 1: Die FDP beendet zeitnah die Zusammenarbeit mit der SPD und den Grünen. In der Folge kommt es zu Neuwahlen, und die FDP wird trotzdem abgestraft, weil die Ampel-Wut sich längst auch gegen sie richtet. 

Szenario 2: Die FDP beendet zeitnah die Zusammenarbeit mit der SPD und den Grünen. In der Folge kommt es zu Neuwahlen, aber die FDP wird vom Wähler nicht abgestraft für zwei Jahre Ampel-Irrsinn, sondern an der Wahlurne belohnt für ihren mutigen Schritt raus aus dieser Koalition, die eine übergroße Mehrheit der Wähler längst ablehnt.

Szenario 3: Die FDP bleibt in der Ampel-Regierung und hat damit immerhin noch zwei Jahre Zeit, das Ruder gemeinsam mit SPD und den Grünen derart herumzureißen, dass die Ampel tatsächlich zur Fortschrittskoalition wird und die Wähler das in zwei Jahren an der Wahlurne würdigen werden; völlig egal, wie die Umfragen aktuell ausfallen. 

Szenario 4: Die FDP bleibt in der Ampel-Regierung, fährt gemeinsam mit der SPD und den Grünen das Land endgültig gegen die Wand und fliegt bei der nächsten regulären Bundestagswahl obendrein noch aus dem Bundestag. Tritt Szenario 4 ein, könnte dies sogar ein längerfristiges Ende der FDP als Bundestagspartei bedeuten. Schon deshalb, weil die Freien Wähler im Aufwind sind und ebenfalls nach Berlin wollen, während die Wagenknecht-Partei als Konkurrenz bald noch dazukommt. 

Mit einer gewissen Erleichterung

Welches Szenario das wahrscheinlichste ist, darüber ließe sich nun lange diskutieren, weil niemand mit Sicherheit sagen kann, wohin die Reise mit der FDP (ob als Teil der Ampel oder nicht mehr Teil der Ampel) führen wird respektive würde. Ebenso gestritten werden darf über die Frage, wie man das Stummbleiben von zwei Dritteln der FDP-Mitglieder deuten soll. Dahingehend, dass diese eher für den Status quo sind und deshalb nicht an einer solchen Abstimmung teilgenommen haben? Oder dahingehend, dass ein großer Teil der FDP-Mitglieder mittlerweile derart fremdelt mit der eigenen Partei, dass das eifrige Fernbleiben als Resignation gedeutet werden muss? Oder sowohl als auch?
 

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So oder so: Als Erfolg kann die FDP diese Abstimmung also nicht werten. Erstens, weil es überhaupt zu dieser Abstimmung gekommen ist. Zweitens, weil die aktuellen Umfragen, die dann auch jene abbilden, die zur potentiellen FDP-Wählerschaft gehören, aber kein Parteibuch haben, alles andere als rosig aussehen; und besonders unrosig für die FDP. Und drittens, weil das Ergebnis ist, wie es ist: Wenn knapp die Hälfte all jener, die abgestimmt haben, für das Ende der Ampel votierten (wohlwissend, dass dies durchaus mit Risiken für die FDP bei möglichen Neuwahlen einhergehen würde), ist das schon ein ziemliches Brett für Christian Lindner und Co. 

Keine kluge Einlassung

Der Parteichef selbst dürfte den Ausgang dieser Abstimmung dennoch mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis genommen haben. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung dürfte vor allem hängenbleiben, dass eine Mehrheit der Mitglieder für einen Verbleib der FDP in der Ampel gestimmt hat, ungeachtet des konkreten Abstimmungsverhaltens. Vielleicht deshalb, weil bei einigen FDP-Unterstützern immer noch die Meinung vorherrscht, dass die Situation ohne die FDP in der Regierung noch viel schlimmer wäre. Oder weil man der Nachfolgepartei der Merkel-Union, der CDU unter Friedrich Merz, auch nicht zutraut, besser zu regieren. Oder weil man schlicht der Meinung ist, dass es angesichts multlipler Krisen – für die ehrlicherweise nicht nur die Ampel verantwortlich ist – wahnwitzig wäre, jetzt Neuwahlen vom Zaun zu brechen. 

Klug war Lindners Einlassung auf dem Nachrichtendienst X als Reaktion auf das Ergebnis der parteiinternen Umfrage dennoch nicht. Lindner postete, er werte das Ergebnis als „Ausdruck der Verantwortung für Deutschland“. Und das lässt sich im Umkehrschluss eben auch so interpretieren, dass Lindner der Meinung ist, dass jene, die ihre FDP raus haben wollen aus der Ampel (und dafür gute Gründe haben, die man ja nicht zwangsläufig teilen muss), „verantwortungslos“ sind. Es sieht bei der FDP nun also folgendermaßen aus: Diese Abstimmung markiert sicher nicht das Ende parteiinterner Debatten über den Sinn und Unsinn des Ampel-Engagements der Liberalen, sondern ist primär vor allem ein klares Zeichen dafür, dass es ordentlich brodelt innerhalb der FDP. Ausgang: ungewiss. 
 

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