Familienpolitik der Ampel - „Ideologie spielt eine erhebliche Rolle“

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) blickt mit großer Sorge auf die familienpolitischen Projekte der Ampelkoalition. Im Interview spricht sie über das Gesetz zur Verantwortungsgemeinschaft, das Selbstbestimmungsgesetz und den Paragraphen 218.

Bundesjustizminister Marco Buschmann / picture alliance
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) ist Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags. 

Frau Winkelmeier-Becker, Justizminister Marco Buschmann hat ein Gesetz zur Einführung einer sogenannten Verantwortungsgemeinschaft vorgelegt. Damit sollen Menschen Verbindungen jenseits der Ehe eingehen können. Was spricht dagegen?

Die Idee mag interessant klingen, tatsächlich wird der Justizminister allerdings dem selbst gesetzten Anspruch nicht gerecht, einen Rechtsrahmen für gegenseitige Verantwortungsübernahme zu schaffen. Wenn man Verantwortung jederzeit einseitig kündigen kann, sogar gerade dann, wenn der andere Hilfe und Verantwortung bräuchte, dann ist das ganze sinnlos. Bedenklich wird es vor allem, wenn deshalb auf andere bewährte Rechtsinstitute, die Sicherheit geben könnten, wie etwa die Ehe, verzichtet wird.

Also ist Ihre Sorge, dass die Institution der Ehe geschwächt wird?

Meine Sorge gilt weniger der Ehe als Institution, sondern ganz konkret den Menschen, die in die Irre geführt werden, wenn sich die Verantwortungsgemeinschaft wie der sogenannte „PACS“ in Frankreich als scheinbarer Ersatz für die Ehe etablieren sollte.

Worin besteht genau die Gefahr?

„Verantwortungsgemeinschaft“ mag für manchen moderner klingen als „Ehe“. Aber während die Ehe auch im Fall des Scheiterns für einen gewissen Schutz des schwächeren Partners und fairen Ausgleich sorgt, gibt es eine solche Absicherung in schwierigen Lebenslagen oder nach einer Trennung bei der Verantwortungsgemeinschaft nicht. Derjenige Partner, der sich im Vertrauen auf eine Solidargemeinschaft dann mehr um die Kinder oder gemeinsame Bedürfnisse gekümmert hat, dafür weniger um eigene Karriere und Einkommen, ist dann im Nachteil. Und das geht zumeist zulasten der Frauen.

Die Verantwortungsgemeinschaft soll aber doch das Leben von Menschen erleichtern, die sich nahe sind, aber nicht heiraten wollen?

Elisabeth Winkelmeier-Becker / dpa

Für viele alltägliche Beispiele, die in den Eckpunkten mühsam zusammengesammelt werden, ließen sich Lösungen weitaus einfacher in den bestehenden Gesetzen oft mit formlosen Vollmachten oder ausnahmsweise mit notariellen Vereinbarungen finden. Dafür gibt es so etwas wie Vertragsfreiheit. Wenn es etwa um Auskunftsrechte bei Patienten auf der Intensivstation geht, braucht es keine neue familienrechtliche Institution, um einen überzogenen Patientendatenschutz gegenüber offenbar nahestehenden Personen wieder auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen.

Was steckt Ihrer Meinung nach denn dann hinter dieser Idee der Ampel?

Aus meiner Sicht geht es um eine undurchdachte Idee, die sich die FDP in Oppositionszeiten auf die Fahnen geschrieben hat. Damals hat sie mit Unterschrift von Christian Lindner den Antrag gestellt, eine Verantwortungsgemeinschaft einzuführen. Die sollte beim Standesamt geschlossen und in ein besonderes Register eingetragen werden. Diese Idee hat es in den Koalitionsvertrag geschafft, und der Justizminister muss nun liefern. Die ursprünglichen Vorstellungen der FDP hat der Minister ja schon deutlich reduziert. Steuererleichterungen gibt es auch nicht mehr. Letztlich ist es ein unnötiges Projekt ohne erkennbaren Mehrwert.

Teilen Sie die Sorge, dass es durch die Verantwortungsgemeinschaft zu einer Legalisierung der Vielehe durch die Hintertür kommen könnte? Oder modern gesprochen: Das Phänomen der Polyamorie wird verrechtlicht?

Mir fällt jedenfalls auf, dass von der Regierung solche Beispiele überhaupt nicht genannt werden, ebenso wenig wie Konstellationen vereinbarter Elternschaft mit mehreren Personen, wie sie im aktuellen Entwurf zum Abstammungsrecht dargestellt werden. Dabei halte ich es für naheliegend, dass solche Beziehungen den Rahmen einer Verantwortungsgemeinschaft nutzen würden. Einen echten Nutzen hätte sie aber auch hier nicht. Mit jederzeitigem Kündigungsrecht bietet sie eben auch in diesen Fällen keine verlässliche Basis. Auch hier wären diejenigen die Leidtragenden, die für die Gemeinschaft eigene Interessen zurückgestellt haben und am Ende mit leeren Händen und ohne Absicherung dastehen.

Ein weiteres gesellschaftspolitisches Vorhaben der Ampel ist schon viel breiter und kontrovers diskutiert worden, und es scheint irgendwie auf Eis zu liegen. Kommt die Regierung beim sogenannten Selbstbestimmungsgesetz nicht weiter? Ist sie da klüger geworden?

Ich sehe nicht, dass die Regierung beim Selbstbestimmungsgesetz irgendwie klüger geworden wäre, und rechne damit, dass es bald aufgesetzt wird. Anscheinend gab es noch Beratungsbedarf in der Koalition, nachdem in der Anhörung kritisiert worden war, dass die Sicherheitsbehörden standardmäßig über den Geschlechts- und Namenswechsel informiert werden sollen.

Die Union hat sich immer kritisch geäußert, wie stehen Sie zu diesem Gesetz?

Ich kenne einige transsexuelle Personen und kann nachvollziehen, wenn sie schildern, dass die bisher erforderliche Bestätigung von zwei Gutachtern als Bedingung für die Anerkennung des empfundenen Geschlechts als übergriffig und unangemessen empfunden wurde. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzung zweier Gutachten nicht für verfassungswidrig gehalten hat, sind wir als Union deshalb auch offen dafür, stattdessen bei Erwachsenen auf umfassende und ergebnisoffene ärztliche Beratung als Voraussetzung für eine informierte und valide eigene Entscheidung zu setzen. Insgesamt wünsche ich mir einen unbefangeneren Umgang mit Transsexualität, für die sich niemand erklären oder rechtfertigen muss.

Wo setzt dann Ihre Kritik an?

Wir halten aber grundsätzlich an der Existenz und an dem Kriterium zweier biologischer Geschlechter fest, die sich an in der Regel kongruenten Geschlechtsmerkmalen, Hormonen und DNA zeigen, und halten es deshalb – entgegen einer oft sehr ideologisch geprägten Diskussion – nicht etwa für eine gleichsam willkürliche „Zuweisung“ des Geschlechts, wenn das Geschlecht eines neugeborenen Babys anhand seiner erkennbaren biologischen Geschlechtsmerkmale festgestellt wird. Das Selbstbestimmungsgesetz will biologische Fakten übergehen und geht davon aus, dass jeder sein Geschlecht durch schlichte Selbsterklärung und ohne jede Plausibilitätsprüfung ändern kann – hier aber liegen Gefahren und Risiken.

Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Gefahren, die Sie bei diesem Gesetz zum selbstbestimmten Geschlechterwechsel sehen?

Wenn jede qualifizierte objektive Beratung wegfällt, dann drohen Fehldiagnosen, Willkür und auch Missbrauch. Denn eine reine Selbstanalyse verbunden mit einer im Wesentlichen bestätigenden Reaktion des Umfelds kann leicht zu Fehleinschätzungen führen, etwa zu einer fälschlichen Annahme von Transsexualität bei tatsächlicher Homosexualität. Wir kennen Fälle aus anderen Ländern, in denen Betroffene beklagen, dass ihnen viel zu schnell zum Wechsel des Geschlechtseintrags und in der Konsequenz auch zu hormonellen und operativen Maßnahmen geraten wurde, mit irreversiblen Folgen. Und die das jetzt bereuen. Alles das reflektiert das Gesetz nicht. 

Unbefriedigend ist auch eine weitere Lücke des Gesetzes: Schutzräume und spezifische Regeln für Frauen, etwa für Umkleiden, für Treffs lesbischer Gruppen, bei Frauenquoten in Wirtschaft und Politik oder im Frauensport brauchen eine klare gesetzliche Grundlage, die der Gesetzentwurf bisher verweigert. Auch hier zeigt sich: Wenn Geschlecht zur beliebigen Kategorie wird, geht auch das vor allem zulasten von Frauen. Die größte Gefahr sehe ich aber bei Heranwachsenden.

 

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Das Gesetz sieht vor, dass schon Minderjährige einen Wechsel des Geschlechtseintrags vornehmen lassen können.

Aus meiner Sicht ist das sehr problematisch, da die Gefahr einer Fehlentscheidung und auch der Manipulation etwa in der Klasse, in der Peergroup oder in Social Media sehr groß ist. Darauf deutet etwa hin, wenn in einzelnen Klassen solche Fälle gehäuft vorkommen. Hinzu kommt ein Verfahrensrecht, das die sonstige Praxis auf den Kopf stellt: Bei Konflikten zwischen Eltern und Jugendlichen liegen Verantwortung und Letztentscheidung normalerweise bei den Eltern. Diese kann ihnen mit dem Sorgerecht nur entzogen werden, wenn eine erhebliche Kindeswohlgefährdung nachgewiesen wird. 

Anders ist es hier: Die Jugendlichen können auch gegen den Willen der Eltern selbst den Antrag stellen. Das Gericht folgt dem nur dann nicht, wenn es sonst zu einer nachgewiesenen Kindeswohlgefährdung käme. Das heißt: In aller Regel setzt sich das Kind hier gegen die Eltern durch, diese werden in ihrer Elternverantwortung übergangen. Buschmann tut auch hier so, als bliebe es bei der üblichen Kindeswohlprüfung, und verschweigt diesen grundlegenden Unterschied beim Prüfungsmaßstab. Das ist ein massiver Eingriff in Grundrechte und Verantwortung der Eltern.

Muss das Selbstbestimmungsgesetz, wenn es verabschiedet wird, vom nächsten Bundestag und einer kommenden Bundesregierung zurückgenommen werden?

Vor allem das Verfahren bei Jugendlichen sollte schnell zu der bisherigen Prüfung mit zwei ärztlichen Gutachten und grundsätzlicher Entscheidung der Eltern zurückkehren. Eine Beratungspflicht für Erwachsene und klare Regeln zum Schutz von Frauen müssten ergänzt werden. Im Übrigen sollte eine baldige Evaluation erfolgen.

Die Ampelkoalition hat sich zudem noch vorgenommen, eines der konfliktreichsten Themen der zurückliegenden 75 Jahre anzugehen: Sie plant, den Paragraphen 218 zu streichen und damit Abtreibung außerhalb des Strafrechts zu regeln. Wie beurteilen Sie das Thema?

Aus meiner Sicht ist die geltende Regelung zum Schwangerschaftsabbruch mit den Paragrafen 218 und 218a StGB nach wie vor richtig. Sie ist ein tragfähiger Kompromiss zwischen den prinzipiell widerstreitenden Rechtsgütern des Lebensschutzes des ungeborenen Kindes und der Selbstbestimmung der Frau. Im Mittelpunkt des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Schutzkonzepts steht die Pflichtberatung. Sie bringt das Lebensrecht des Kindes und außerdem medizinische Fakten sowie Unterstützungsangebote zur Sprache und hilft zusammen mit der dreitägigen Wartefrist, übereilte Entscheidungen zu vermeiden. Danach wird aber innerhalb der Zwölf-Wochen-Frist die Entscheidung der Schwangeren ohne jeden Druck zur äußeren Rechtfertigung und ohne jedes strafrechtliche Risiko akzeptiert.

Die Kritiker sprechen dennoch von Kriminalisierung?

Das Strafrecht verzichtet für diese Fälle ausdrücklich auf eine Kriminalisierung. Die Straffreiheit der Abtreibung nach einer freien Entscheidung der Mutter trägt dem Umstand Rechnung, dass keine Frau gegen ihren Willen zum Austragen eines Kindes gezwungen werden kann und soll. Diesen Kompromiss sollte man nicht leichtfertig aufgeben. Wir sehen in anderen Ländern, was passiert, wenn grundsätzliche, unversöhnliche Meinungen aufeinanderprallen und nicht der Kompromiss gesucht wird. Das hilft keinem, schon gar nicht den betroffenen Frauen.

Warum braucht es das Strafrecht, um Lebensschutz zu gewährleisten?

Wie gesagt: Der Schutz des Ungeborenen beruht im Wesentlichen auf der verpflichtenden Beratung und der Wartefrist. Auch wenn beides grundsätzlich einfach einzuhalten ist, wird beides von Frauen, die fest zum Abbruch entschlossen sind, zum Teil als Eingriff empfunden. Die Pflichtberatung muss aber durchgesetzt werden, weil es nach Schilderung der Beratungsstellen immer wieder Fälle gibt, in denen Schwangere nach vollständiger Information und ohne den Druck zum Abbruch etwa von Partner, Eltern oder Freunden sich letztlich doch für das Kind entscheiden.

Ohne die Pflichtberatung nehmen wir auch den Frauen diesen Schutzraum und das Recht, sich umfänglich zu informieren und dann wirklich frei zu entscheiden. Deshalb braucht es eine Norm, die die Einhaltung von Beratung und Wartefrist sichert, indem sie Verstöße hiergegen unter eine Sanktionsandrohung stellt; dafür braucht es weiterhin das Strafrecht.

Tatsächlich kommt das Strafrecht aber kaum zur Anwendung.

In der Debatte gibt es mehrere verfestigte, aber verfälschende negative Narrative. Dazu gehört das Narrativ von der angeblichen Kriminalisierung der Frauen. Tatsächlich ist es aber so, dass das Strafrecht ganz ausdrücklich vorsieht, dass Abbrüche nach Beratung und Wartefrist innerhalb der ersten zwölf Wochen nicht strafbar sind. Diese Fälle sind in §218 a StGB nämlich ausdrücklich aus dem Tatbestand des §218 StGB ausgenommen. Das Recht maßt sich unter den genannten Bedingungen gerade nicht an, die Entscheidung der Frau zu verurteilen. 

Das lässt sich mit Zahlen belegen: Jedes Jahr werden circa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, ohne strafrechtliches Risiko für die Schwangeren und ebenso wenig für die durchführenden Ärzte und Ärztinnen. Seit 2009 sind etwa 1,4 Millionen Schwangerschaftsabbrüche erfolgt. In diesen 14 Jahren gab es nur ein einziges Bewährungsurteil ohne jede vollstreckte Sanktion gegen eine ausländische Frau, die die Rechtslage offenbar nicht kannte. Das zeigt, dass der Kompromiss funktioniert.

Kritiker erklären, der Paragraf 218 sei aus der Zeit gefallen …

Die heutigen Paragrafen 218 und 218a StGB unterscheiden sich grundlegend von den Regelungen in der Weimarer Zeit oder gar in der Nazizeit, die noch auf ein einem völlig anderen Frauen-, Familien- und Gesellschaftsbild beruhten beziehungsweise rassistischen und bevölkerungspolitischen Zielen dienten, die heute völlig inakzeptabel, außerdem verfassungswidrig und überholt wären. Die heutigen Paragrafen 218 und 218a haben außer der Nummer mit diesen früheren Fassungen praktisch nichts mehr zu tun; sie schaffen zusammen mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz heute vielmehr eine kluge Balance der widerstreitenden Grundrechte.

Dennoch steht das Argument im Raum, das Strafrecht sei in diesem sensiblen Bereich falsch.

Das sehe ich anders: Das Strafrecht soll gar nicht wirken, indem Strafen verhängt werden, sondern, indem es die Einhaltung der Voraussetzungen Pflichtberatung, Wartefrist und Zwölf-Wochen-Frist bewirkt. Das funktioniert, und es ist anzunehmen, dass ohne dieses Zusammenwirken der Normen weniger Beratung stattfinden, weniger Information erfolgen und weniger Schutz geschaffen würde. Die Kritiker wenden sich oft grundsätzlich gegen den Schutz des ungeborenen Kindes und sprechen deshalb nicht von Embryo oder Fötus, sondern beispielsweise von „Schwangerschaftsgewebe“. 

Wer aber dem ungeborenen Kind keine Rechte zubilligt, der steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das ungeborene Kind ist von Anfang an Grundrechtsträger, dem müssen auch die gesetzlichen Regelungen Rechnung tragen. Die Verortung im Strafrecht steht in diesem Zusammenhang auch dafür, dass es beim Lebensrecht des Ungeborenen um das hohe Schutzgut menschlichen Lebens geht.

Zum Abschluss: Die gesellschaftspolitischen Themen schienen am Anfang der Kitt der unterschiedlichen Ampelparteien zu sein. Ist das noch so? Und wie geht es damit weiter?

Aus unserer Sicht sind es diese gesellschaftlichen Themen, bei denen die drei Parteien ziemlich nah beieinander sind. Aus meiner Sicht spielt dabei Ideologie eine erhebliche Rolle. Demgegenüber bemühen wir uns als Union um eine differenzierte und unideologische Sichtweise, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt: alle Menschen mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen, aber gleicher Menschenwürde und Grundrechten von Anfang an. Dabei liegt uns vor allem das Kindeswohl und der Schutz der Schwächeren am Herzen. Und damit kommen wir – nicht immer, aber oft – zu anderen Ergebnissen als die Ampel. Das ist der Unterschied.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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