Energiekrise - „Freude gehört zur Daseinsvorsorge“

Die im EU-Plan geforderte Gas-Einsparung von 20 Prozent stellt Deutschlands Städte vor massive Herausforderungen. Im Interview warnt Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU), Präsident des Deutschen Städtetages, dass die Stadtwerke in eine existenzielle Schieflage geraten könnten – und erklärt, warum die Städte nicht auf Weihnachtsmärkte verzichten sollten.

Dieses Jahr wird der Weihnachtsmarkt in Münster wohl nicht ganz so hell beleuchtet sein wie sonst / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Markus Lewe (CDU), 1965 in Münster geboren, ist studierter Verwaltungswirt und seit 2009 Oberbürgermeister der Stadt Münster. Von Januar 2018 bis Juni 2019 war er Präsident des Deutschen Städtetages. Seit Juni 2019 hatte er das Amt des Vizepräsidenten des Deutschen Städtetages inne. Im November 2021 ist er erneut zum Präsidenten des Deutschen Städtetages gewählt worden.

Herr Lewe, die Energiekrise schlägt zu: Wie dunkel wird es im Winter in Deutschlands Städten sein?

Die Städte werden nicht dunkel sein, aber sie werden weniger beleuchtet sein. Wir sind auch für die Sicherheit verantwortlich, deswegen müssen Laternen brennen. Aber mehr noch wird es auch nötig und sinnvoll sein, nicht auch das gesellschaftliche Leben mit lahmzulegen. In Münster werden wir in der Adventszeit etwa Weihnachtsmärkte veranstalten. So können wir gerade auch in Krisenzeiten den Zusammenhalt stärken. Die Weihnachtsmärkte werden dieses Jahr vielleicht nicht ganz so hell sein wie sonst, aber sie werden den Leuten Freude bereiten. Auch das gehört zur Daseinsvorsorge.

Und doch fordert die geforderte Gas-Einsparung von 20 Prozent die Städte massiv. Wie kann das gelingen?

Das ist eine große Herausforderung, der sich die Städte stellen. Jede Kommune kann das am besten selbst vor Ort analysieren, wie sie Energie einsparen kann. Wir suchen nach smarten und intelligenten Lösungen. Eine Menge an unnötiger Beleuchtung kann tatsächlich ausgeknipst werden. In Münster nutzen wir adaptive Lampen, die nur bei Bewegung angehen. Es gibt eine ganze Reihe von jeweils unterschiedlichen Maßnahmen. Dazu gehört das Senken von Schwimmbad-Temperaturen, dazu gehören auch Homeoffice-Modelle für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Stadtverwaltung. Auch Treppenhäuser und Flure werden weniger oder gar nicht beheizt. Es muss nicht in allen Räumen 20 Grad warm sein, es reichen auch mal 18 Grad.

Markus Lewe / Presseamt/Stadt Münster

Aber die Ängste bei den Menschen sind groß. Ist die Daseinsvorsorge in den Städten gesichert oder gibt es Gefährdungen?

Die Versorgung ist gesichert, aber natürlich sind Gefährdungen immer da. Wir müssen uns vor Augen führen, dass das, was wir gerade erleben, auch ein Bestandteil der russischen Kriegsführung ist. Wir sind das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg direkt von einem Krieg und seinen Folgen betroffen. Dieses Bewusstsein muss in weiten Teilen der Öffentlichkeit noch größer werden. Wir werden alles tun, um etwa das Schließen von Schulen und Kindergärten zu verhindern, aber mit absoluter Sicherheit können wir natürlich nichts ausschließen. Es wird in diesem Winter wegen der Energiekrise zu Einschränkungen kommen. Ohne Beendigung des Krieges werden wir auch dauerhaft mit solchen Themen zu tun haben.

Die Ampel-Regierung in Berlin streitet über die Gas-Umlage und Entlastungspakete. Was muss aus Sicht der Kommunen passieren?

Zum einen darf die Ampel nicht so viel streiten. Tanktarife, Tempolimit, 9-Euro-Ticket, hier wird viel diskutiert. Jetzt muss die Bundesregierung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger schnell Maßnahmen beschließen. Das zweite ist: Es muss ein vertrauensvoller Kommunikationsraum geschaffen werden, in dem auch die kommunalen Spitzenverbände ihren Platz haben müssen. Wir sind diejenigen, die vor Ort genau erfahren, wo der Schuh drückt. Wir sind auch diejenigen, die Maßnahmen vor Ort kommunizieren müssen.

 

 

Redet die Ampel bisher nicht genug mit den Kommunen?

In der Tat halte ich die Kommunikation zwischen Bund und Kommunen, gerade auch im Vergleich zur Corona-Krise, für ausbaufähig.

Was fordern die Städte von Bund?

Die Städte gehen beim Energiesparen mit gutem Beispiel voran, aber wir müssen auch die Versorgung sicherstellen. Wir brauchen einen Rettungsschirm von Bund und Ländern für die Stadtwerke, damit diese nicht insolvent gehen können. Oft sind die Stadtwerke für Wasser, Abwasser, Müllentsorgung und Nahverkehr zuständig. Deswegen dürfen sie auf keinen Fall in eine existenzielle Schieflage kommen. Notwendig ist deswegen auch eine Korrektur der Gasumlage. Sie muss auch bei Festpreisverträgen und Fernwärme erhoben werden können.

Sie haben das 9-Euro-Ticket angesprochen. Würde ein Nachfolgemodell, etwa als 49-Euro-Ticket, den Nahverkehr schwächen oder stärken?

Das Ziel war ja, Menschen vom motorisierten Individualverkehr auf den Schienen-Personennahverkehr zu bringen. Da spielt natürlich der Preis eine wichtige Rolle. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das 9-Euro-Ticket für die drei Monate der öffentlichen Hand Milliarden Euro gekostet hat. Und dieses Geld ist jetzt erstmal weg, es fehlt im System des öffentlichen Personennahverkehrs.

Aber das 9-Euro-Ticket war beliebt, das zeigen erste Auswertungen.

Natürlich hatte das 9-Euro-Ticket positive Effekte, viele wünschen sich ein einfacheres und günstigeres Tarifsystem. Aber es gibt auch Leute, die sagen, ich habe es probiert, aber die Züge waren zu voll, zu unbequem und zu unpünktlich. Das bedeutet, der Preis ist nicht alles, wir müssen vor allen Dingen in Qualität, in Sicherheit und Infrastruktur investieren. Die Sorge, die wir als Städtetag haben, ist, dass dieses Verständnis verloren geht. Wir brauchen über den Zeitraum von diesen drei Monaten hinaus eine nachhaltige Finanzierung für die kommunalen Verkehrsunternehmen. Denn sonst bleibt der Eindruck von Freibier auf dem Schützenfest. Wir geben ganz viel Geld aus, aber am Ende haben wir möglicherweise sogar weniger Leistung auf der Schiene als vorher.
 

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Lingen ist ja nicht weit von Ihrer Stadt Münster entfernt. Sind Sie für einen Weiterbetrieb, also einen sogenannten Streckbetrieb der deutschen Atomkraftwerke, um den Bedarf der Kommunen auch zu sichern?

Ich bin für eine umfassende Reflexion der Frage, was wir dazu beitragen können, um in diesen schwierigen Zeiten die Daseinsvorsorge in unserem Land aufrecht zu halten. Es wird ja gerade ein Stresstest durchgeführt, und dessen Ergebnisse werden ja noch mal interessante Hinweise dazu geben.

Inflation, Energiekrise, Kriegsangst – die Stimmung in der Gesellschaft könnte sich weiter anspannen. Es gibt Ankündigungen für Demos. Wird es in den Städten einen heißen Herbst des Unmuts geben?

Ich warne davor, so einen heißen Herbst zu beschwören oder herbeizureden. Wenn man sich Umfragen anschaut, dann ist die Stimmung noch erstaunlich ruhig. Wir sollten solche Aktivitäten auch nicht antizipieren, sondern wir müssen den Menschen deutlich sagen: Es ist eine schwierige Lage, danach müssen wir uns verhalten. Wir müssen für Vertrauen sorgen. Bund, Länder und Kommunen müssen die Menschen mitnehmen. Dass das funktionieren kann, haben wir in der Corona-Zeit erlebt.

In der Corona-Zeit gab es ja durchaus deutlichen Unmut.

Man muss angemessen handeln und nicht übertreiben – und etwa Weihnachtsmärkte verbieten. Die Maßnahmen, die beschlossen werden, müssen als gerecht und fair empfunden werden. Das ist mit Blick auf die Gasumlage in der jetzigen Form nicht der Fall. Es ist Vorsicht geboten: Was trägt zum Zusammenhalt bei und wie kriegen wir die Balance? Geht nicht auch ein Weihnachtsmarkt mit besinnlicher Beleuchtung? Also ist es nicht gerade auch sinnvoll, im Winter die Leute dazu zu bewegen, aus ihren Wohnungen rauszugehen und Gemeinschaft zu erfahren? Es darf keine statischen Maßnahmen geben, die gegen die Herzen der Menschen laufen.

Und raten Sie vom Duschen ab und empfehlen den Waschlappen wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann?

Ich glaube, dass viele Menschen in Deutschland ziemlich schlau sind und selber wissen, wie sie sich angesichts hoher Preise und großer Energieknappheit waschen wollen.

Das Interview führte Volker Resing.

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