Diskriminierungsbericht vorgestellt - Ferda Ataman will noch mehr Beratungsstellen

Heute hat die neue Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman ihren ersten Jahresbericht vorgestellt. Dieser zeigt einen Rückgang an Diskriminierungsvorfällen. Dennoch will Ataman das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ausweiten und mehr staatliche Förderprogramme schaffen.

Perpetuum mobile der Diskriminierung: Ferda Ataman / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Vier Jahre lang hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nur eine kommissarische Leitung. Vor etwa vier Wochen dann wurde die Publizistin Ferda Ataman für fünf Jahre zur neuen Leiterin der Behörde ernannt. Dass dies nicht unumstritten war, lag an der Publizistin selbst, die in der Vergangenheit auch durch „deutschenfeindliche“ Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht hatte. Eine Antidiskriminierungsbeauftragte, die selbst diskriminiert: Das wollte nicht jedem einleuchten. Gewählt wurde sie vom Deutschen Bundestag am Ende dennoch. 

Und heute hatte sie mit der Vorstellung des Jahresberichts 2021 ihrer Behörde ihren ersten großen Auftritt. In einer Pressekonferenz wies sie allerdings gleich zu Beginn darauf hin, dass sie mit ihm im Grunde nichts zu tun habe. Der beziehe sich ja auf das vergangene Jahr, und sie selbst sei noch gar nicht so lange im Amt. 

Als Distanzierung von der Arbeit ihres kommissarischen Vorgängers konnte man das aber nicht verstehen. Mit besorgter Miene trug sie aus ihrer Sicht „alarmierende“ Zahlen vor. Die meisten Merkmalsbereiche befänden sich auf „Höchststand“, in manchen gebe es sogar ein deutliches Wachstum. Dass die Zahl der Beratungsfälle dennoch von 6383 im Jahr 2020 auf 5617 im Jahr 2021 gesunken ist, verdanke sich allein einem deutlichen Rückgang von Beratungsfragen im Zusammenhang mit der Coronakrise. 

„Zivilrechtliche Basis für Anstand“

Die gesetzliche Grundlage für die Behörde findet sich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus dem Jahr 2006. Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte binden nämlich zunächst nur den Staat im Verhältnis zu dessen Bürgern – und nicht die Bürger untereinander.  

Erst mit dem AAG sei daher, so Ataman, eine „zivilrechtliche Basis für Anstand“ geschaffen worden. Seitdem können Bürger gesetzlichen Schutz in Anspruch nehmen, wenn sie sich am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche diskriminiert fühlen. Laut aktuellem Jahresbericht entfallen dabei 37 Prozent der Beratungsfälle auf das Kriterium ethnische Herkunft, 32 Prozent auf das Merkmal Behinderung, 20 Prozent auf das Merkmal Geschlecht und nur ganze vier Prozent auf das Merkmal geschlechtliche Identität. 

 

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Für Ataman ist das alles aber bloß die „Spitze des Eisbergs“. Der Bericht könne gar nicht alle Fälle von Diskriminierung erfassen. Das wahre Ausmaß schätzt sie auf mehrere Dutzend Millionen. Das habe auch damit zu tun, dass ein ganz wesentlicher Gesellschaftsbereich von dem Gesetz gar nicht erfasst werde: das Handeln des Staates, also Diskriminierungen durch die Polizei, bei der Notenvergabe in der Schule oder beim Bezug von Sozialleistungen. Allein dieser gesetzlich nicht erfasste Bereich macht mehr als ein Drittel aller durch die Antidiskriminierungsstelle erfassten Vorkommnisse aus. 

Ein Meer von Diskriminierungen

Einen plastischen Eindruck von der Art der staatlich bearbeiteten Diskriminierungen vermittelt dabei der Jahresbericht 2020. In ihm finden sich neben gravierenderen auch folgende Beispiele: 

„Franziska S. geht mit ihren zwei Kindern in den Baumarkt. Die Kinder, sieben und neun Jahre alt, können aufgrund der Schutzverordnungen nicht in die Schule. Am Eingang des Baumarkts wird die Mutter darauf hingewiesen, dass sie nur ohne ihre Kinder in das Geschäft dürfe, da es sich bei ihnen um ‚besondere Pandemie-Treiber‘ handele.“ 

„Meike H. erwartet ein Paket. Als der Paketzusteller mit der Lieferung vor ihrer Haustür steht, weigert er sich jedoch plötzlich, ihr das Paket auszuhändigen. Als die deutsch-asiatische Frau auf die Aushändigung besteht, schubst der Zusteller sie mit den Worten ‚Sching Schong‘ von sich weg und nimmt das Paket wieder mit.“ 

Und in der Tat: Wenn jeder unsensible oder dusselige Baumarktmitarbeiter künftig einen staatlich finanzierten Beratungsvorgang auslösen und die offiziellen Statistiken anreichern kann, dürfte Deutschland tatsächlich in einem Meer von Diskriminierungen versinken. In früheren Zeiten haben sich gestandene Bürger in solchen Fällen mit einer etwas robusteren verbalen Antwort beholfen. 

Das Beratungssystem immer weiter ausbauen

Ataman hat sich für die Zukunft ein ambitioniertes, aber wohl realistisches Programm vorgenommen. Zunächst will sie sich einmischen, wenn künftig das AAG reformiert wird. Dabei geht es ihr nicht nur um die Einbeziehung staatlichen Handelns in das Gesetz, sondern auch um die Verlängerung der Beschwerdefristen von acht Wochen auf zwölf Monate sowie um die Einführung eines Verbandsklagerechts. Die Beratung in ihrer Behörde, so Ataman, habe nämlich noch gar keine Rechtsfolgen. Dafür müssten die Betroffenen ihre Interessen bisher selbst und auf eigene Kosten vor Gericht vertreten. Das soll sich nun ändern. 

Wird der materielle Geltungsbereich des Gesetzes ausgeweitet und so das offizielle Fallaufkommen weiter gesteigert, braucht es natürlich auch besser ausgestattete und vor allem weitere Anlaufstellen für die Betroffenen. Ataman kündigte folgerichtig an, sich über entsprechende Förderprogramme mit den Ländern zeitnah verständigen zu wollen. 

Welche Folgen das für die Jahresberichte der Zukunft haben wird, ist nicht schwer zu erahnen: Die Statistik über Diskriminierungsvorkommnisse wird deutlich steigen und mit ihr die Argumente, das Beratungssystem immer weiter auszubauen. Fast wie bei einem Perpetuum mobile. 

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