Deutsche Wirtschaft - Geplatzte Wohlstandsträume - Teil 2

Steigende Preise, fehlendes Gas: Deutschland steht vor einem wirtschaftlichen Schock, sein altes Geschäftsmodell scheint gescheitert zu sein. Die neuen Krisen treffen die Unternehmen zudem in einer Zeit des politisch gewollten Umbruchs, der „großen Transformation“.

Soll mit staatlicher Hilfe auf „grünen Stahl“ umstellen: Thyssenkrupp-Stahlwerk in Duisburg-Marxloh / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Teil 1 lesen Sie hier.

Die wachsende Unruhe auf den Weltmärkten, das wackelnde Geschäftsmodell des Globalisierungsgewinners Deutschland, trifft die Unternehmen in einer ohnehin herausfordernden Zeit. Einer Zeit des politisch gewollten Umbruchs, der „großen Transformation“. Europa und Deutschland wollen ihre Volkswirtschaften radikal umbauen. Im Namen der Klimaneutralität sollen fossile Energieträger, also Erdöl, Kohle und später auch Gas, durch erneuerbare ersetzt werden. Der Weg dorthin ist steinig, unsicher und teuer. Und so wie ihn Brüssel und Berlin derzeit angehen, führt er zu mehr staatlich gelenkter Wirtschaft und weniger unternehmerischer Freiheit.

Ein Beispiel: Im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf versprach SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty, die kriselnde Stahlsparte von Thyssenkrupp mittels Teilverstaatlichung zu retten. Das Land solle 25 Prozent der Aktien erwerben, um der Thyssenkrupp Steel Europe AG beim Umstieg auf „grünen Stahl“ zu helfen. Die Idee ist: Statt im Kohle-Hochofen soll der Stahl künftig mit Wasserstoff hergestellt werden. Technisch funktioniert das, nur es ist deutlich teurer. Weshalb sich Manager im Konkurrenzkampf mit Billigstahlanbietern aus weniger klimafreundlichen Ländern besser behaupten, wenn sie vom staatlichen Großaktionär Nordrhein-Westfalen abhängig sind, blieb schleierhaft.

Nur dieses Mal in grün

Oder das Verbrennerverbot, das im EU-Parlament beschlossen wurde. Ab 2035 sollen in Europa keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden dürfen, selbst wenn sie statt mit Benzin oder Diesel mit klimaneutralem synthetischen Kraftstoff fahren. Noch haben die Mitgliedstaaten dem Vorhaben nicht zugestimmt. Doch der Parlamentsbeschluss zeigt, wohin die Reise geht. So wie in der deutschen Energiepolitik – wo Ausstiege beschlossen werden, bevor der Umstieg gelungen ist – maßen sich Politiker an zu entscheiden, welche Technologie die richtige und welche die falsche ist. Die Idee, solche Entscheidungen dem Wettbewerb zu überlassen, ist aus der Mode gekommen. Unter dem Banner des Klimaschutzes bewegt sich Europa erneut in Richtung Planwirtschaft – diesmal nicht mit rotem, sondern mit grünem Anstrich.

Das ist gefährlich. Denn Wettbewerb ist Grundlage für Innovation. Und ohne Innovationen wird weder der Klimawandel zu bewältigen sein noch wird Deutschland seinen seit Ludwig Erhards Zeiten aufgebauten „Wohlstand für alle“ halten können. Es genügt nicht, die Industrien der Vergangenheit retten zu wollen. Es müssen die Technologien der Zukunft geschaffen werden. Eine davon, und das aus mehreren Gründen, ist die Robotik.

Abschottung ist keine Lösung

Es ist kein Zufall, dass es mit dem Fall Kuka ein Roboterhersteller war, der zu einem industriepolitischen Weckruf wurde. Das Hightech-Unternehmen aus Augsburg entwickelt Industrieroboter, die in Fabrikhallen Aufgaben übernehmen, die im vordigitalen Zeitalter keine Maschine hätte erfüllen können. Sie setzen Windschutzscheiben millimetergenau in Karosserien ein, lackieren vollautomatisiert oder legen präzise Schweißnähte an. In einem Land mit hohem Lohnniveau und einer immer älter werdenden Bevölkerung ist die Automatisierung der Industrieproduktion wichtig, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Als der chinesische Konzern Midea das deutsche Unternehmen Kuka im Jahr 2016 übernahm, war der Schrecken groß. Der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wollte dafür sorgen, dass sich „der Fall Kuka“ nicht mehr wiederholen kann. Es gelte, deutsche Hightech-Firmen vor Übernahmen aus dem Ausland zu schützen. Zumal ein umgekehrter Fall nicht möglich wäre. China erlaubt es westlichen Investoren nicht, eigene Schlüsseltechnologie-Unternehmen zu kaufen.

Doch in der Industrie selbst stieß Altmaiers Schutzversprechen nicht gerade auf Gegenliebe. Ein nationaler Abschottungskurs passt nicht zum Ziel des freien Welthandels. Und wer soll bestimmen, welche Industrien geschützt werden und welche nicht? Wettbewerbsfähige Innovationen entstehen weder in Parlamenten noch an Kabinettstischen oder auf Parteitagen. 

Die neue Bundesregierung scheint einen anderen Weg einzuschlagen. Zumindest beschrieb ihn Olaf Scholz in seiner Tokioter Rede so. Der Bundeskanzler warnte in Japan ausdrücklich vor weniger wirtschaftlicher Offenheit und weniger internationaler Vernetzung: „Die Deglobalisierung funktioniert nicht. Sie ist keine Option, erst recht nicht für offene, freie Handelsnationen wie Deutschland und Japan“, sagte er. Stattdessen brauche man eine andere, „eine klügere Globalisierung mit starken Regeln und Institutionen, die unsere Zusammenarbeit lenken und Transparenz schaffen“.

Neue Chance für den Freihandel?

Starke Regeln im globalen Handel? Die setzt momentan vor allem China. Während Peking im Jahr 2020 das größte Handelsabkommen der Welt mit Ländern in Asien abgeschlossen hat, kommt die EU „mit dem Thema Außenhandel seit Jahren nicht voran“, klagt die Ifo-Forscherin Lisandra Flach. Das gescheiterte TTIP-Abkommen noch einmal in Angriff zu nehmen, wäre daher ökonomisch sehr hilfreich, „auch als Signal“. Nur das Problem sei: „US-Präsident Joe Biden verfolgt, wie sein Vorgänger Donald Trump, eine eher protektionistische Agenda.“

Ihr Chef, der Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest, schlägt in dieselbe Kerbe. In einem Beitrag für die Zeitschrift et – Energiewirtschaftliche Tagesfragen beschäftigt er sich grundsätzlich mit den Folgen des Ukrainekriegs „für unser Wirtschaftsmodell“. Er schreibt darin: „Freihandels- und Investitionsabkommen mit den USA, lateinamerikanischen Staaten und anderen Regionen der Welt sollten dringend ausgebaut werden.“ Gleichzeitig sei es notwendig, wirtschaftliche Abhängigkeiten mit größerem Tiefgang zu analysieren und bei größeren und einseitigen Abhängigkeiten Maßnahmen zu ergreifen. „In der Regel wird die Lösung nicht darin bestehen, die Produktion wichtiger Güter nach Deutschland oder Europa zu verlagern“, widerspricht Fuest gängigen Forderungen der Deglobalisierungsverfechter, „sondern Lieferquellen zu diversifizieren.“

Abkommen mit Südamerika auf Eis

Aber woher sollen die Rohstoffe künftig kommen, wenn Russland als Lieferant ausfällt und China zurückgedrängt werden soll? Außenwirtschaftsexpertin Flach nennt die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay als Beispiel. „Das sind Zulieferer von wichtigen Rohstoffen.“ Das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt (Mercado Común del Sur = Mercosur) ist fertig verhandelt, liegt aber seit knapp drei Jahren auf Eis.

In Deutschland bremsen vor allem die Grünen, denen die Regenwaldrodungen in Brasilien missfallen. In den Koalitionsverhandlungen einigte man sich auf einen Kompromiss: Grundsätzlich will die deutsche Regierung zwar, dass das Mercosur-Abkommen ratifiziert wird. Zuvor müssten die Partnerländer aber „Verpflichtungen zum Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz“ eingehen sowie „Zusatzvereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen“ abgeschlossen werden. So steht es im Koalitionsvertrag des Ampelbündnisses. Doch diese Kompromisslösung stammt aus der Zeit vor der „Zeitenwende“. Nun wächst die Ungeduld, vor allem bei der FDP. Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der Liberalen im Bundestag, fordert, das Mercosur-Freihandelsabkommen nicht auf die lange Bank zu schieben: „In der angespannten geopolitischen Lage können wir es uns gerade beim Thema Freihandel nicht leisten, unsere Partnerländer hinzuhalten.“

Aufwachen!

Krieg, Inflation, Energiemangel und drohender Rückbau der Globalisierung: Das deutsche Wohlfühlmodell ist von vielen Seiten unter Druck geraten. Noch wirkt es so, als wollten die politischen Entscheidungsträger das Problem so lösen, wie es in der Bundesrepublik oft gemacht wurde: mit mehr Geld. Ob Neun-Euro-Ticket, Tankrabatt oder Staatshilfen für energieintensive Unternehmen – die Ampelkoalition verbreitet das trügerische Versprechen, Vater Staat könne zur Not allen unter die Arme greifen. Doch das kann nicht ewig gut gehen. Was der Staat großzügig verteilt, muss er irgendwoher einsammeln. Es sind die Steuerzahlungen heutiger und die Schuldendienste künftiger Generationen. 

Was bitter notwendig ist, sich bisher aber weder Bundeskanzler Olaf Scholz noch Wirtschaftsminister Robert Habeck getraut haben: den Bürgern und Wählern klarzumachen, wie ernst die Lage ist. Milliardeninvestitionen in die Bundeswehr, einen ausufernden Sozialstaat und die immer teurer werdende, aber ineffiziente Energiewende kann sich Deutschland auf Dauer nicht leisten. Zumal dann nicht, wenn das für steigende Steueraufkommen sorgende Wirtschaftswachstum ausbleibt.

In den zurückliegenden fetten Jahren haben es die wechselnden Regierungen unter Kanzlerin Angela Merkel versäumt, grundlegende Probleme zu lösen. Das rächt sich nun, während die mageren Jahre heraufziehen. Deutschlands Infrastruktur ist marode und veraltet. Das Renten-, Gesundheits- und Sozialsystem steht vor dem Kollaps. Denn die Bevölkerung wird immer älter, aber an eine einschneidende Reform der staatlichen Altersversorgung traut sich kein Politiker heran, der wiedergewählt werden möchte.

Eine Folge davon ist: Die Jüngeren, gut Ausgebildeten wandern aus – in Länder, in denen ihnen am Monatsende mehr Netto vom Brutto bleibt und sie kein Rentensystem am Laufen halten müssen, das für ihren eigenen Lebensabend nicht ausreichen wird. Auch bei der Einwanderungs- und Bildungspolitik ist Deutschland weit davon entfernt, für das zu sorgen, was die Basis seines Wohlstands ist: gut qualifizierte Fachkräfte. Dabei ist das die wichtigste aller Ressourcen. Rohstoffe aus Russland lassen sich ersetzen, Ingenieure und Informatiker nicht.

So zynisch es klingt: Vielleicht braucht das Land diesen Schock, den es gerade zu erleben beginnt. Um aufzuwachen aus dem süßen Traum vom ewigen Wohlstand. 

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige