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(picture alliance) Helmut Holter – ein lupenreiner Sozialdemokrat?

Helmut Holter - Der Sozialdemokrat der Linkspartei

Helmut Holter gilt als „lupenreiner Sozialdemokrat“. Von einem Wechsel zur SPD will der Spitzenkandidat der Linken in Mecklenburg-Vorpommern dennoch nichts wissen. Aber mit den Sozis regieren möchte er nach den Landtagswahlen am 4. September schon.

Er residiert in einem der Türme des Schweriner Schlosses und hat einen hochherrschaftlichen Ausblick: Links das satte Grün der ehemaligen Gartenschau, rechts der See, mal blau und glatt, mal grau und aufgewühlt mit weißen Wellen. Aber Helmut Holter hat nicht die schöne Landschaft im Visier, sondern ein unscheinbares graues Haus vis à vis, den Sitz der Landesregierung. Dort hat er schon einmal acht Jahre zugebracht, als stellvertretender Ministerpräsident und Ressortchef für Arbeit und Bau der ersten rot-roten Regierung von Mecklenburg-Vorpommern. Und dort will er wieder hin. „Diesmal als Ministerpräsident.“

Wie bitte? Kann der Mann nicht rechnen? Oder redet er sich die Realität schön? Der sozialdemokratische Amtsinhaber Erwin Sellering und dessen Partei führen nach letzten Umfragen deutlich (34 Prozent) vor CDU (27 Prozent) und Linkspartei (20 Prozent). Trotzdem will (und darf) Holter seinem großen Ziel nicht abschwören. Schließlich ist er jetzt Spitzenkandidat und muss daran glauben – öffentlich jedenfalls: „Wir legen deutlich zu“, sagt er tapfer, „Anfang des Jahres hatten wir gerade mal 15 Prozent.“

Vor 13 Jahren führte Holter seine Partei, die damals noch PDS hieß, in die erste rot-rote Koalition und stieg damit zum ersten PDS-Minister auf. Der wundersame Aufstieg hat ihn bundesweit bekannt, aber nicht unbedingt beliebt gemacht. Betonkopf, Hardliner, Exot, Parteisoldat, Mann für alle Systeme, angepasster Karrierist oder DDR-Musterkind – das waren die Klischees, mit denen er bisweilen auch heute noch leben muss, weil kaum jemand versucht, seine keineswegs geradlinige, vielfach gebrochene DDR-Biografie genauer anzuschauen.

Holter, vier Wochen vor dem Aufstand am 17. Juni 1953 in dem mecklenburgischen Dorf Malliß geboren, ist ein DDR-Musterschüler: erst gute Noten in der Schule, dann Förderung des strebsamen Arbeiterkinds im Arbeiter- und Bauernstaat. Der Sohn eines Zimmermanns und einer Sprechstundenhilfe darf sogar zweimal in Moskau studieren. Mitte der siebziger Jahre wird er dort zum Diplomingenieur für Betontechnologie ausgebildet, reichlich zehn Jahre später (1987) besteht Holter in Moskau die Diplomprüfung in Gesellschaftswissenschaften mit Bravour.

Sein zweiter Aufenthalt beim „großen Bruder“ aber hat Holters Leben verändert. Damals lernt er Karina kennen. Die feurige Armenierin wird seine große Liebe und verbaut ihm damit zunächst die Karriere. Denn er ist schon verheiratet, und Ehebrecher passen nicht in die Moralvorstellungen der SED-Oberen, so verlogen sie auch sind. Holter aber hält an Karina fest, lässt sich scheiden, heiratet gegen alle Widerstände erneut und findet sich prompt als „Nullachtfuffzehn-Kader“ in der überbesetzten SED-Bezirksleitung von Neubrandenburg wieder. Nach der Wende stellt er sich darauf ein, künftig als Vertreter für Baustoffe und Plastikfenster über die Lande zu ziehen. Aus der SED aber tritt Holter nicht aus – schon aus Trotz nicht. Moskau sei für ihn „schicksalhaft“ gewesen, sagt er heute. Nicht nur der Liebe wegen. Gorbatschows Glasnost und Perestroika hätten ihn damals aus seinem alten Denkgefängnis befreit. „In mir wuchsen die Zweifel, ob die Diktatur des Proletariats der richtige Weg ist.“

Innerlich hatte er diesem heiligen Dogma schon abgeschworen, als die Mauer noch stand. Dass das Deutschland, in dem er jetzt lebt, demokratisch verfasst, ein Rechtsstaat und ökonomisch gesehen weit leistungsfähiger als die verschwundene DDR ist, gesteht der „Linke aus Überzeugung“ unumwunden ein. Dieses Bekenntnis beschert ihm immer wieder Krach mit den Altvorderen und Fundamentalisten seiner Partei. Dabei hat sich der „pragmatische Reformer“ (Holter über Holter) nur vorgenommen, die Linke als sozialistische Kraft links neben der SPD zu etablieren. Konkrete soziale Projekte und Programme für mehr wirtschaftliche Leistungskraft im immer noch leistungsschwachen Nordosten sind ihm deshalb wichtiger als eine fundamentale Opposition gegen das kapitalistische System. Harald Ringstorff, mit dem Holter acht Jahre lang die rot-rote Landesregierung anführte, hält ihn noch heute für einen „lupenreinen Sozialdemokraten“ – mit dem falschen Parteibuch, versteht sich.

Holter hält nichts von solchen „Komplimenten“. Als Sozialdemokrat wird er auch von seinen innerparteilichen Gegnern geschmäht. Trotzdem hat er es geschafft, Spitzenkandidat zu werden. Geholfen hat ihm dabei, dass er sich mit André Brie einen Wahlkampfprofi ins Team geholt hat, der nach seinem Ausscheiden aus dem Europaparlament nun selbst in Schwerin in die aktive Politik zurückkehren will.

Zusammen haben sie die „Linke-Braut“ für die SPD hübsch gemacht. Und doch ist sie in Gefahr, verschmäht zu werden. Das liegt nicht an Holter, er ist leidlich beliebt in Meck-Pomm. Und kommt gut an: nicht nur bei Unternehmern, die seine unkonventionelle Pragmatik schätzen, mit der er einst als Minister die Regierungsgeschäfte betrieb. Sondern auch bei den einfachen Leuten. Er will die Gesellschaft verändern. Deshalb möchte er lieber in der Regierung sitzen als in der Opposition. Aber seinen Überzeugungen und Visionen abschwören will er nicht. Deshalb würde es dem „lupenreinen Sozialdemokraten“ nicht mal im Traum einfallen, die Seiten zu wechseln.

Auch wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel nun Mitglieder der Linken zum Übertritt in seine Partei aufruft. Sein Herz schlage links, sagt er und verschweigt dabei nicht, wie unbestimmt dieses Gefühl mit den Jahren geworden ist. Aber deswegen wechseln? „Nein“, sagt Holter. „Das wäre für mich immer noch Verrat.“

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