In Deutschland wird Denunziation zum demokratischen Akt erhoben / dpa

Denunziation - Petzerland Deutschland

Deutschland fehlt noch immer ein freisinniges Bürgertum, das die demokratische Selbstbestimmung mit Freude annimmt. Stattdessen herrscht der Untertanengeist. Und Sicherheit gibt: die Meldestelle.

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Vielleicht erhellt folgende kleine Geschichte in der großen Geschichte die Geschichte Deutschlands: Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Reiches 1813 geisterte durch das verunsicherte Europa die Idee, der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein Königreich Helvetien aufzuzwingen. Der nationalistische Romantiker Ernst Moritz Arndt schrieb im Vorfeld des Wiener Kongresses: „Wahrlich, es ist höchste Zeit, dass die Schweiz einen Herrn bekommt.“ 

Doch die Schweiz blieb die Schweiz und konstituierte sich am 12. September 1848 als freisinnige Republik: als Demokratie – ohne Herrn – mitten im Fürsten- und Monarcheneuropa. Deutschland dagegen behielt nach der Niederlage der freisinnig-liberalen Revolutionäre 1848 in der Frankfurter Paulskirche seine Herren. 150 Jahre lang. Der nächste Demokratieversuch, die Weimarer Republik, scheiterte nach knapp 15 Jahren. Was folgte, war Adolf Hitler. Von den Herren zum Führer. Zwei extrem unterschiedliche Geschichtsverläufe – die Lebensläufe zweier Nationen. 

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Christa Wallau | Di., 24. Oktober 2023 - 11:24

vom deutschen Untertanengeist, über den Sie hier zu Recht herziehen.
Woraus erwächst er?
Die Antworten würden ein Buch füllen.
Daher möchte ich nur einen Faktor nennen, der hier eine Rolle spielt: FEIGHEIT aus mangelndem Vertrauen auf das eigene Urteil u. FEIGHEIT, für Entscheidungen gerade zu stehen.

Die Aufklärung - obwohl auch von deutschen Denkern geprägt - hat bei uns nicht den Typus d. selbstbestimmten Menschen hervorgebracht, wie er z. B. in Frankreich o. den USA existiert.
"Habe den MUT, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" - Diesen Kernsatz der Aufklärung haben bis heute (!) viel zu wenige Deutsche verinnerlicht. Deshalb sind sie so anfällig für alle Angstkampagnen.
"Angst essen Seele auf" (Fassbinder). Richtig. Aber auch den Verstand!
Mit dem Schüren von Angst (vor Klimawandel, Putin, Nazis, Corona usw. u. selbst der simplen Angst vor gesellschaftl. Ausgrenzung) können bei uns die dämlichsten Menschen politisch Karriere machen u. ein ganzes Volk zum Narren halten.

Liebe Frau Wallau, ich stimme Ihnen (wie so oft) zu, was uns in Deutschland von der Aufklärung fehlt. Allerdings habe ich Schwierigkeiten, wenn es um den Vergleich mit anderen Ländern geht.

Die deutsche Geschichte hat sich im freiwilligen Nationalsozialismus und (weniger schlimm) auch im aufgezwungenen Sowjet-Sozialismus Schmutzflecken bekommen, die nie mehr entfernt werden können. Deutschland muss immer damit leben, dass diese Zeiten nicht vergessen sind, wenn über uns gesprochen wird.

Aber das heißt leider nicht, dass die Aufklärung in Frankreich, in Großbritannien, in Polen oder in den USA in vollem Umfang politisch wirksam geworden wäre. Aus der französischen Revolution erwuchs auch der französische Nationalismus und der französische Imperialismus, aus der amerikanischen Revolution die Ausrottung der indigenen Völker und der Imperialismus gegenüber den anderen Staaten Amerikas.

Die Aufklärung hat bis heute nirgendwo in der Welt vollkommen gesiegt - sie ist nach wie vor ein Projekt.

Ist es FEIGHEIT aus mangelndem Vertrauen oder dient er der Selbsterhaltungs?

Mut macht nicht satt, unterhält nicht die Familie, schützt nicht vor sozialer Ausgrenzung und daraus nachgewiesenen Krankheiten.

Viele, Beispiele sind bekannt, haben Mut bewiesen bis sie vor der diffamierenden
täglichen wochenlangen Berichterstattungen der Mainstreammedien aus reinen Selbsterhaltugszweck kapituliert haben.

Diese mit Lügen behafteten Berichterstattungen werden von den Machthabern forciert in Kenntnis der Tatsache, dass die Gewaltenteilung für sie nicht existiert und sie nicht befürchten müssen aufgrund ihres grundgesetzwidrigen Handelns
zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Wirklicher Mut fordert um diesen durchhalten zu können einen hohen finanziellen Rückhalt.
Nicht nur Angst essen Seele auf, auch Hass. Ein Beispiel kennen wir aus dem Forum!

Urban Will | Di., 24. Oktober 2023 - 11:35

Eigeninteresse, das muss man immer im Hinterkopf haben. Was sie als Befreier von der Nazi – Diktatur nicht abwerten soll.
Aber das ist ja nicht das Hauptthema dieses schönen Artikels.
Der deutsche Petzertum. Wie eine nicht welkende, aber immer wieder aufblühende „Blume“, wohl duftend und verführerisch kommt es in diesem seltsamen Deutschland immer wieder zur vollen Pracht. Zuletzt bei Corona, wo neu aufgekommene „Blockwarte“ munter Menschenansammlungen in verbotenem Ausmaß zu melden sich ergötzten.
Schön, wenn man einen großen Garten und einen leicht überwindbaren Zaun hat, dann lädt man ein und die Leute kommen über ganz neue Wege. Was für eine verrückte Zeit.
Links – Grün, die Vertreter der neuen Petzer – Kultur, sie hatten es noch nie wirklich mit der Demokratie. Für sie ist und bleibt sie eine Monstranz, vor sich hergetragen und gehuldigt zu passenden Anlässen, dann wieder weggeschlossen.
Es ist noch lange kein Ende dieser Kultur in Sicht, aber es rumort kräftig im deutschen Gedärm

Ronald Lehmann | Di., 24. Oktober 2023 - 11:50

Eigenständige von der Masse nicht kontrollierbare Systeme, die für die Perfektion von
ORWELL-Filtern benötigt werden, um KONTROLLE (!!!!!!) für die herrschende (die wirkliche Macht/Puppenspieler/Schachspieler) in Perfektion zu erreichen

Jürgen Rachow | Di., 24. Oktober 2023 - 12:15

...der Ungeist, der hinter den denunziatorischen Meldestellen steckt, weniger etwas mit antiwestlicher Gesinnung zu tun sondern im Gegenteil, es ist eher der an den Ostküstenuniversitäten akademisierte Hexenverbrennungswahn der amerikanischen Pilgerväter, der hier über den großen Teich geschwappt ist.

Stefan Jarzombek | Di., 24. Oktober 2023 - 12:21

... im ganzen Land, ist und bleibt der Denunziant.

Gerhard Hellriegel | Di., 24. Oktober 2023 - 12:25

Einverstanden, Herr Meyer.
Nur das: vielleicht war die Ablehnung des Nato-Doppelbeschlusses ein Fehler. Aber es war klar: eine Konfrontation der Großmächte beginnt in Deutschland. Selbst wenn sie dann erschrocken einhalten, für D ist es zu spät. Und es ging um die Fähigkeit zum Erstschlag, der Moskau direkt, Washington aber nicht erreichen konnte. Es war nicht einfach Paranoia, heute wissen wir, wie nah wir mehrfach an der Apokalypse waren. Die Schweiz konnte sich da bessere Chancen ausrechnen. Zugegeben, bin Partei, war dabei.

Gerhard Lenz | Di., 24. Oktober 2023 - 12:52

lebt heute lieber im kunterbunten Berlin. Weil ihm ausgerechnet dort erspart bleibt, was Herr Meyer so lautstark beklagt?

Denn es genügt ein Blick über die Grenze: Die Schweiz, angesichts von EU-Ferne oder Volksabstimmungen gerne am rechten Rand als Musterland gepriesen, macht es auch nicht besser.

Wenn eine Partei, die Abschottung, nationalistischen Egoismus und Misstrauen auf ihre Fahnen geschrieben hat, bei Wahlen stärkste Partei wird, ist das sicher kein Beweis für verbreitete Freisinnigkeit.

Sicher: Die SVP mag in Nuancen gemäßigter sein als die rechtsextreme AfD. Und angesichts festgezurrter Regierungsprinzipien erscheint es unmöglich, dass die SVP irgendwann mal alleine regiert und noch unwahrscheinlicher, dass sie die Idee von "illiberaler Demokratie" oder "Viertem Reich" umsetzt, die mancher in der AfD im Sinn hat.

Dennoch: Die zunehmende Präferenz für eine rechtspopulistische Partei zeigt, dass "Freisinnige" selbst im Musterland Schweiz einen immer schwereren Stand haben.

Gerhard Fiedler | Di., 24. Oktober 2023 - 13:40

Frank A. Meyer, wie man ihn kennt und schätzt, hat mit diesm Beitrag den Charakter Deutschlands zutreffend beschrieben. Napoleon und H. Heine sahen es ähnlich. Unterwürfigkeit und Gehorsam gepaart mit Besserwisserei gehen uns nie verloren. Und wehe, wer da nicht mitspielt. Mit Ihren letzten beiden Sätzen, lieber Herr Meyer, „Jede zukunftsorientierte Politik Deutschlands muss von seiner festen Zugehörigkeit zum Westen ausgehen.“ und „Ohne die Vereinigten Staaten geht es nicht.“ bringen Sie es wieder einmal zum Ausdruck. Das feige Verhalten unseres Bundeskanzlers zum Terrorakt auf Deutschlands Energieversorgung (Nord-Stream) tut dies ebenso. Deutliche Worte und Reaktionen unseres Bundeskanzlers an die Adressen USA, Norwegen, Ukraine und das Beifall klatschende Polen? Fehlanzeige! Ist das nicht beschämend? Aus meiner DDR-Zeit mit seiner "Deutsch-Sowjetischen Freundschaft" kenne ich noch den Satz: "Deutschland klatscht immer Beifall, wenn es beschissen wird". Wie zutreffend!

Henri Lassalle | Di., 24. Oktober 2023 - 14:14

sich zu unterwerfen, ist keine typische deutsche Erscheinung, vielleicht ausprägter als in Frankreich oder den USA. Aber auch dort gibt den Begriff des "joiner and sound-fellower". Noelle-Neumann, die verblichene Fürstin der Befragungen, sagte treffend: "Die Furcht sich zu isolieren ist wichtiger als das eigene Urteil". So ist es. Seziell in Deutschland kann man immer wieder auf Furcht stossen, was andere von einem denken könnten. Solche Ängste stützten u.a. das Nazi-Regime: DIe Furcht Nachteile zu erleiden oder gar seine Stelle zu verlieren, wenn man sich nicht staatskonform verhielt oder äusserte, oder nicht so, wie es erwartet wurde.

Wolfgang Borchardt | Di., 24. Oktober 2023 - 14:15

den Blockwart, in der DDR den "Hausvertrauensmann" der im wesentlichen die Besucher der Mieter im Hausbuch zu vermerken und auch "offenes Ohr" hatte. Besondere Meldestellen brauchte die DDR nicht, weil sie ausreichend Personal hatte, um auch ohne über jeden Bürger gut informiert zu sein. Dass die Meldestellen jetzt für erforderlich gelten, könnte am Personlmangel liegen. Im Kaiserreich gab es schon den Schupo/Schutzpolizisten. In der DDR waren es "Abschnittsbevollmächigte". Sie waren immer vor Ort. Die fehlten jetzt lange Zeit, nämlich seit dem Ende der DDR. Es ist sicher ein Verdienst, das erkannt und den "Kontaktbereichsbeamten" erschaffen zu haben.

Abschnittsbevollmächtigte? Lediglich der Blockwart, bzw. die charakterliche "Mentalitätsvoraussetzung" zur Ausübung seiner Tätigkeit waren mir bis dato bekannt;) Bei uns im Westen fiel diese Aufgabe so gesehen der einen bestimmten Nachbarin oder dem oft schon in Rente befindlichen Nachbarn zu, die/der mit dem Kissen auf dem Fensterbrett um die Ellbogen/Unterarme zu schonen zu jeder Tages-und Nachtzeit seine Umgebung im feste Blick hatte und die Lebensgeschichten im Detail, zumindest die aller Mitmieter, besser kannte als diese selbst;) Auch aufgrund von rege geführtem Klatsch und Tratsch blieb nichts von Interesse verborgen. Diese Art Spezies verfügte meiner Erinnerung nach über die Sehschärfe eines Adlers sowie Ohren und Radar von Fledermäusen;-). Heutzutage und im Besitz einer ordentlichen Rechtsschutzversicherung gehen oder gingen mir derart verfasste Klagen/Beschuldigungen aufgrund irgendwelcher Melder von Horch & Guck gepflegt dorsal vorbei😎. MfG

Reinhard Benditte | Di., 24. Oktober 2023 - 15:39

Es wäre für die Deutschen von Vorteil, sich an die drei Siebe des Sokrates zu halten:
Das erste Sieb ist die Wahrheit: Ist das, was man erzählt wahr ? Wenn man nicht weiß, ob es wirklich wahr ist, geht es dann durch das zweite Sieb der Güte: Ist das, was man sagen will, etwas Gutes?“ Wenn das nicht gut, sondern etwas Schlechtes ist, geht es dann durch das dritte Sieb der Nützlichkeit: ist das, was man sagen will, nützlich für den Empfänger?
Also“, sagte lächelnd der Weise Sokrates, „wenn es weder wahr, noch gut, noch nützlich ist, so lass es ruhig begraben sein und belaste dich und mich nicht damit.“ - Verfasser unbekannt.

Norbert Heyer | Di., 24. Oktober 2023 - 17:18

Ein Volk der Untertanen - man erkennt es eindeutig daran, dass man sich in knapp 150 Jahren mehrfach häutete: Monarchie, Weimarer Republik, braune Diktatur, rote Diktatur und -noch- Demokratie. Bei diesen Sprüngen zwischen allen Staatsformen kann kein anderes Land der Erde mithalten. Was zeigt uns das? Der Deutsche beschäftigt sich nicht mit Politik und ihren Folgen, er wählt in der Mehrheit die, die gerade „dran“ sind. Wenn dann nach der Wiedervereinigung eine waschechte Kommunistin Kanzlerin wird und 16 Jahre nach Gutdünken wüten kann, braucht man sich über den Jetzt-Zustand nicht zu wundern. Fazit: Der gemeine Deutsche braucht eine Obrigkeit, die ihm sagt, was er zu tun hat, die ihn zwangsimpft, welche Parteien man nicht wählt, das Einwanderung gut ist und wo die nächste Meldestelle ist, wo er seine Landsleute denunzieren kann. So möchte er leben, gut behütet und geleitet, bis er mal wieder merkt, wie sehr man ihn getäuscht hat. Selbstdenken ist nun einmal leider nicht seine
Stärke

Albert Schultheis | Di., 24. Oktober 2023 - 18:07

Das Denunziantentum - das Blockwartswesen, die Stasi-Spitzel und ihre Wiederauflage durch die Stasi-Hyäne Kahäne, die De-Legitimierung des Staates Faesers und Haldenwangs, die absurden Meldestellen des Familienministeriums - wir wären nicht Deutschland ohne das Denunziantentum! Dennoch gab es ein Goldenes Zeitalter über 40 Jahre, das der Bonner BRD des Rechts- und Sozialstaats, in dem das Denunziantentum verkümmert war, ja fast keine Rolle mehr spielte. Aus heutiger Sicht eine bereits sehr ferne, untergegangene vergleichsweise glückliche, dennoch zerbrechliche Welt. Das Denunziantentum hatte nur während dem Kalten Krieg 1.0 in der DDR 1.0 überwintert!

Ingo frank | Di., 24. Oktober 2023 - 18:45

Oder der Geist des Untertanen aus Manns Roman: dumm & Gottesfürchtig aber Staatstreu.
Und das das bei diesem unterirdisch gewordenen Bildungssystem, das jegliche Leistungsorientierung ablegt, dürfte niemanden in diesem Land verwundern. Ihr macht sie dumm u n d arm eure Untertanen.
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Peter Sommerhalder | Mi., 25. Oktober 2023 - 08:48

Die Schweiz kann da aber locker mithalten mit Deutschland. Kein bisschen besser ist es in der Schweiz, jedenfalls in der deutschsprachigen Schweiz…