Krise der Volkssouveränität - Irgendwas mit Demokratie

Die Bertelsmann-Stiftung sieht in ihrem neuen „Transformationsindex“ weltweit die Demokratie in Gefahr. Ihr eigenes Demokratieverständnis hinterfragt die Stiftung dabei nicht. Hierzulande bedeutet „Demokratie“ nämlich nicht mehr, was es ursprünglich einmal hieß.

Bertelsmann-Repräsentantin Liz Mohn mit Bundeskanzler Scholz auf der Veranstaltung „Wie wir unsere Demokratie stärken“ / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Was auf dem Prüfstand steht, könnte möglicherweise Mängel aufweisen; im schlimmsten Fall sogar könnte es kaputt sein. Jeder, der schon einmal mit einer alten Rostlaube in der Werkstatt oder beim TÜV war, ahnt, welch immenser Schaden zuweilen tief hinter einem strahlend aufpolierten Chassis versteckt liegen kann. Für die Bertelsmann-Stiftung ist es nichts Geringeres als unsere Demokratie, die heuer auf Herz und Magen geprüft wird: „Im Jahr 2024 steht die Demokratie weltweit auf dem Prüfstand“, heißt es in einem Online-Dossier der Gütersloher Stiftung, die das laufende Jahr bewusst unter das Motto „Demokratie stärken“ gestellt hat: „Die Wahlen zum EU-Parlament sowie die Präsidentschaftswahlen in den USA sind zentrale Richtungsentscheidungen für die Zukunft der liberalen Demokratie.“

Und für die hat die 1977 gegründete Bertelsmann-Stiftung, die sich laut Selbstauskunft der Förderung von u.a. Bildung, Gesellschaft, Gesundheit und Wissenschaft verschrieben hat, von Anbeginn an ein auffälliges Faible gehabt: „Seit ihrer Gründung durch Reinhard Mohn hat die Bertelsmann-Stiftung daran mitgewirkt, die Demokratie zu fördern und lebendig zu halten.“ Das behaupten zumindest die heutigen Stiftungsvorstände Ralph Heck, Brigitte Mohn und Daniela Schwarzer. Andere haben das in der Vergangenheit immer wieder mal etwas anders wahrgenommen. Der Journalist Thomas Schuler etwa unterstellte der Stiftung bereits vor Jahren, dass sie von ihrem Selbstverständnis her in Teilen sogar „undemokratisch“ sei. Und Cicero-Autor Alexander Grau wiederum attestierte den Bertelsmännern einst, „Opium der Mächtigen“ zu sein. Laut Grau fröne die Stiftung einem „brachial-vulgären Modernismus“, der unter dem Deckmäntelchen eines zivilgesellschaftlichen Engagements die Gesellschaft auf Linie bringen wolle. Dienst an einer lebendigen Demokratie jedenfalls sieht anders aus.

Wer also das Engagement der Bertelsmann-Stiftung eher wie Philosoph Alexander Grau in Richtung Volksopiat verstehen möchte, der muss attestieren, dass es etwas wunderlich anmutet, wenn nun ausgerechnet diese Stiftung im stetigen Zweijahresrhythmus einen sogenannten „Transformationsindex“ herausgibt. Und das bereits seit 2006. Es handelt sich dabei laut Selbstauskunft nämlich um eine Studie, die aufzeigt, „ob und wie Entwicklungs- und Transformationsländer einen gesellschaftlichen Wandel in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft gestalten“. Für dieses durchaus interessante Vorhaben haben Wissenschaftler und Experten der Bertelsmann-Stiftung allein in diesem Jahr 16 Kriterien entwickelt, mit denen sie insgesamt 137 Staaten auf ihre Demokratiefähigkeit hin untersucht haben. Von „Politischer Teilhabe“ bis zur „Stabilität der demokratischen Institutionen“, von der „Geld- und Fiskalstabilität“ bis zur Fähigkeit zur „Konsensbildung“.

Wir sitzen nicht auf der berühmten Insel der Seligen

Von letzterer übrigens heißt es im gestern vorgestellten Index für das Jahr 2024, der in Sachen weltweiter Demokratieentwicklung zu einem mehr als düsteren Ergebnis kommt, dass weltweit antidemokratische Akteure an Einfluss gewönnen: „Es wird immer schwieriger, sie entweder einzubinden oder auszugrenzen. In der Hälfte aller Länder haben reformorientierte Kräfte wenig oder keinen Einfluss auf antidemokratische Akteure, die oft in der Regierung sitzen.“

Nun hat man in Anbetracht derart alarmierender Worte gewiss nicht an die eigene Stiftung gedacht. Und das aus nachvollziehbarem und gutem Grund: Weder zählt Deutschland zu den untersuchten Entwicklungs- und Schwellenländern, noch ist die Bertelsmann-Stiftung von ihrem Wesen her ein „antidemokratischer Akteur“ – auch wenn der deutsche Investigativjournalist Harald Schumann bereits vor fast 20 Jahren erstmals vor der „Bertelsmannisierung der Bürgergesellschaft“ gewarnt und die Gütersloher als eine „Macht ohne Mandat“ beschrieben hat, die, egal welche Partei in den zurückliegenden Jahren in Berlin den Kanzler gestellt hat, irgendwie immer mitregieren konnte.

 

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Nein, um es klar zu sagen: Wenn der Transformationsindex 2024 feststellt, dass die Demokratie weltweit unter Druck geraten ist, weil sich die Demokratiefähigkeit weltweit verschlechtert und sich 25 Länder, darunter u.a. die Türkei, Algerien oder Benin, zu „moderaten Autokratien“ gewandelt und 49 weitere Staaten, darunter Russland, sogar das Label „Hardliner-Autokratie“ verliehen bekommen haben, dann kann man nur froh sein, dass man im Westen des Alten Europas weiterhin freie Luft zu schnuppern bekommt. Die globale Lage nämlich ist in der Tat erschreckend: In 25 Ländern seien die Wahlen nicht mehr so frei abgehalten worden wie zuvor. 32 Staaten achteten die Versammlungsfreiheit nicht mehr wie ehedem, und 29 Länderregierungen beschnitten nun zunehmend Meinungs- und Pressefreiheit. 

Und doch, wir sitzen nicht auf der berühmten Insel der Seligen. Im Gegenteil: Bei jedem echten Demokraten sollten die Handy-Warnapps allmählich anspringen, wenn etwa selbst die renommierte New York Times schon davor warnt, dass die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei ihrem „Kampf gegen rechts“ möglicherweise nicht nur überzieht, sondern gleich das Kind mit dem Bade ausschüttet. Vor genau einer Woche nämlich war in einer der wichtigsten amerikanischen Tageszeitungen zu lesen, dass Faesers 13-Punkte-Plan gegen den Rechtsextremismus möglicherweise das demokratische wie rechtsstaatliche Gefüge in Deutschland durcheinanderwirbeln könnte. „Die Bemühungen, den Aufstieg der AfD einzudämmen, werden auf nationaler Ebene intensiviert. Doch die könnten unbeabsichtigt auch dazu führen, dass die demokratischen Funktionen in Deutschland geschwächt werden.“

In Deutschland scheint es zwei Demokratien zu geben

Wie genau das aussieht, das offenbart u.a. das immer wieder heiß diskutierte Demokratiefördergesetz. Unter dem Vorwand, die Demokratie stärken zu wollen – den hat das einst von Lisa Paus (Grüne) und Nancy Faeser eingebrachte Gesetz übrigens mit unzähligen Kampagnen gemeinsam, die dieser Tage vermutlich weniger auf das Konto der unter Druck geratenen Demokratie, dafür aber auf das großer Kommunikations- und Werbeagenturen einzahlen –, soll der in erster Lesung feststeckende Gesetzesentwurf künftig vor allem regierungsnahe NGOs und Vereine stützen. Es handelt sich somit um die öffentliche Förderung von in der Verfassung nicht vorgesehenen Organisationen, die sich laut Selbstauskunft zumeist zwar für die Stärkung von Demokratie und Vielfalt oder für die Prävention von Extremismus einsetzen, die aber bei Licht betrachtet oft nur den öffentlichen Debattenraum verstopfen. Was als Staatsstütze vermarktet wird, ist daher zumeist nur leicht durchschaubare Regierungsreklame. Bei den Bertelsmännern in Gütersloh dürfte man wohl längst vor Neid erblasst sein, wenn man sieht, mit welcher Impertinenz sich heutige Mitkonkurrenten an die immer lobby-löchrige Exekutive ranwanzen. Gegenüber der Amadeu Antonio Stiftung etwa erscheinen Mohns unterstellte Meinungsmachenschaften fast wie aus der Zeit gefallen.  

Dabei war Demokratie ihrem Ursprung nach ja eigentlich mal andersrum gedacht: Sie war der egalitäre Schutz vor den übergriffigen Eliten und galt somit der Zivilisierung von Macht sowie der Eindämmung einer damit einhergehenden Korruption. So verstanden kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es könnte in Deutschland derzeit gleich zwei Demokratien geben; Demokratien, die fein säuberlich voneinander geschieden und in zunehmendem Streit miteinander geraten sind. Da wäre zum einen jene Demokratie, die in den 146 Artikeln des am 23. Mai 1949 in der ersten Nummer des Bundesgesetzblatts veröffentlichten Deutschen Grundgesetzes ihren rechtlichen Rahmen gefunden hat. Und da ist Demokratie Nr. 2, die von immer mehr Sonntagsrednern ihr ganz spezielles Wasserzeichen aufgedrückt bekommen hat: Letztere ist die #Zusammenland-Demokratie oder die  #Miteinander für Demokratie-Demokratie. Kurz, die Demokratie, branded by Demokratiefördergesetz und Deutschlands führenden Agenturen. In Variante eins hat sich das „Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt“ eine gemeinsame Konstitution gegeben; in Variante zwei ist Demokratie ein werbewirksamer Dummy-Term, mit dem dieser Tage Kasse gemacht wird. Es ist ein billig zu habende Produktdemokratie, so wertvoll wie ein kleines Demokratieförderpaket.

Nun sollte man aber einwenden, dass ein derartiges Wortgeklimper wahrlich kein Spezifikum der Gegenwart ist. Bereits der renommierte Weimarer Verfassungsrechtler Hans Kelsen, zweifellos einer der überzeugtesten Demokraten in einer politisch fragilen Epoche, schrieb in seinem Werk „Vom Wesen und Wert der Demokratie“, dass schon alleine das Wort „Demokratie“ einer der „missbrauchtesten aller politischen Begriffe“ sei, der in der „Gedankenlosigkeit des vulgär-politischen Sprachgebrauches zu einer keinen bestimmten Sinn mehr beanspruchenden, konventionellen Phrase degradiert“ worden sei. Was sich liest wie ein Kommentar zu Faesers ambivalenten Fördervorhaben , ist ein Satz mit gut hundertjähriger Geschichte. Weil die Demokratie zum Schlagwort verkommen sei, so Kelsen schon damals, habe sie wie jedes Schlagwort ihren Sinn verloren.

Was also bedeutet es, wenn die Bertelsmann-Stiftung dieser Tage zusammen mit der Bundesregierung sowie im Einklang mit unzähligen weiteren Verbänden, Vereinen und Stiftungen die „Erosion der Demokratie stoppen“ möchte, wie sie gestern aus Anlass der Vorstellung ihres Transformationsindex verkünden ließ? Solange man zur Rettung eben dieser Demokratie nur in die weite Welt schaut – oder allenfalls bis zum nächsten potentiellen AfD-Wähler –, ist dies nur ein wohlfeiler Werbeslogan. Quadratisch. Praktisch. Und gewiss gut gemeint.

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