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CDU-Land / SPD-Land

Volksparteien unter 30 Prozent? Diesem Bundestrend stemmen sich zwei Wahlkreise vehement entgegen: Im Duisburger Norden verzeichnet die SPD regelmäßig Ergebnisse jenseits der 60-Prozent-Marke. Und im Wahlkreis Cloppenburg-Vechta liegen Örtchen, in denen sich sogar 85 Prozent der Wähler für die hier herrschende CDU entscheiden.

Irgendwie scheint die Zeit stehen geblieben – im Duisburger Norden ebenso wie im Oldenburger Land. In „Rotland“, in der Stadt im Ruhrgebiet, wo die SPD bei der letzten Bundestagswahl mit 61,6 Prozent der Stimmen ihr bestes Wahlkreisergebnis bundesweit holte, erinnern Hochöfen, Kühltürme und Schornsteine an ein weitgehend vergangenes Stück Industriegeschichte. Im niedersächsischen „Schwarzland“ mit dem 64,4-Prozent-Rekord der CDU spiegeln Felder, Wiesen und propere Dörfer das althergebrachte Bild vom beschaulichen Leben auf dem Land wider. Tradition prägt die Region im Revier ebenso wie die Landkreise Cloppenburg und Vechta. Sind die Hochburgen der beiden Volksparteien von ihrer Struktur her auch verschieden, gemeinsam ist ihnen ein bodenständiger Menschenschlag, der in der Arbeits- und Lebenswelt seiner Heimat verwurzelt ist und das Vorbild der Eltern und Großeltern fortlebt – auch in der politischen Ausrichtung. Ortstermin in Walsum, wo im vergangenen Jahr die letzte Duisburger Zeche ihre Fördertürme stoppte: In den Straßen, in denen die Menschen überwiegend in zwei- bis dreigeschossigen Mietshäusern leben, dominiert Grau. Es ist gefegt, die wenigen Gartenstücke sind penibel gepflegt. Doch auf den Fassaden sitzt der Industriestaub von Jahrzehnten. Johannes Pflug gewinnt hier seit 1998 den Bundestagswahlkreis direkt, wie schon die SPD-Abgeordneten vor ihm. Im Stimmbezirk Walsum fährt seine Partei die meisten Stimmen ein. 69 Prozent waren es 2005. Pflug nennt die Themen, die seinen Wählern auf den Nägeln brennen: Wie sicher sind unsere Arbeitsplätze? Werden wir aufgefangen, wenn der Betrieb schließt? Wie verlässlich sind Krankenversorgung und Rente? Die Sorgen kommen nicht von ungefähr. Die Arbeitslosenquote in Duisburg lag im Mai bei 13 Prozent – weit über dem bundesweiten Wert von acht Prozent. Allein bei Thyssen sind 20000 Beschäftigte in Kurzarbeit. Rund 2500 Arbeitsplätze werden noch abgebaut. Vor 40 Jahren zählte Duisburg zu den Städten der alten Bundesrepublik mit dem höchsten Pro-Kopf-Steuereinkommen. Heute haben lediglich 150000 der 500000 Einwohner einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Szenenwechsel: Der Weg nach Lüsche führt durch idyllische Alleen, vorbei an stattlichen Höfen aus rotem Backstein und durch Dörfer, die an einem normalen Werktag vormittags menschenleer sind. Hier ist das Straßenbild von Einfamilienhäusern geprägt, auf deren Grundfläche in mancher deutschen Großstadt ein Doppelhaus stünde, und der Besucher aus Berlin empfindet einen Hauch von Urlaubsidylle. Im Gasthaus Evers gleich gegenüber der katholischen Kirche von Lüsche machten 85,6 Prozent der Wahlberechtigten 2005 ihr Kreuz bei den Christdemokraten. Franz-Josef Holzenkamp ist die Nummer eins der CDU hier im Wahlkreis Cloppenburg-Vechta. Bürgerlich seien die Menschen in diesem Landstrich, sagt der Bundestagsabgeordnete, der von Hause aus Landwirt ist. „Sie wollen, dass die Politik vernünftige Rahmenbedingungen setzt und ihnen ansonsten Gestaltungsfreiheit gibt.“ Noch bis in die achtziger Jahre hinein war dies das Armenhaus der Nation mit Arbeitslosenquoten von 35 Prozent. In diesem Mai kamen die Landkreise Cloppenburg auf 6,2 und Vechta auf 4,3 Prozent. Da die schlechten Böden der Landwirtschaft nur magere Erträge eingebracht hatten, wechselte man vom Ackerbau zur Viehwirtschaft. Daraus hat sich eine lukrative Agrarwirtschaft entwickelt. Überall stehen die flachen, lang gestreckten Stallungen mit ihren Belüftungsschornsteinen für die Massentierhaltung von Hühnern, Puten und Schweinen. Von den zehn größten Schlachthöfen Deutschlands stehen vier in Cloppenburg. 8,2 Millionen Schweine wurden allein 2008 dort geschlachtet, um anschließend zu Wurst und Schinken verarbeitet zu werden. 42 Prozent der Arbeitsplätze der Region stellt die Ernährungsproduktion, zu der auch eine große Kartoffelverarbeitung zu Pommes frites, Chips und Knödeln gehört. Ein Großteil der übrigen Arbeitsplätze hängt unmittelbar mit der Agrarindustrie zusammen. Das Arbeitsplatzangebot lockt. In den vergangenen 20 Jahren sind rund 40000 Menschen in den Landkreis Cloppenburg gezogen. Vechta verzeichnet jährlich einen Bevölkerungszuwachs von rund 1000 Personen. Und die Bewohner dieses Landstriches sind jung – 33 Prozent unter 25. Die Zahl der Geburten übersteigt die der Todesfälle, und mit statistisch 1,9 Kindern liegen die Frauen im Oldenburger Land über dem bundesweiten Schnitt von 1,2. Von einer solchen demografischen Entwicklung können die Duisburger nur träumen. Die Jungen machen bei ihnen nur 25 Prozent aus und verzeichnet werden mehr Todesfälle als Geburten. Bedienen beide Regionen die Klischees von der Arbeiter- und der Bürgerpartei, so gilt das auch mit Blick auf die in den Hochburgen lebenden Nationalitäten. Ins „Schwarzland“ kamen zwischen 1989 und 1994 rund 20000 deutschstämmige Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Ausländeranteil ist gering, in Cloppenburg etwa gibt es rund 7400 Menschen mit Migrationshintergrund, die Hälfte davon kommt aus der Europäischen Union. In „Rotland“ dagegen sind manche Stadtteile des Wahlkreises zur Hälfte von Ausländern, vor allem Türken, dominiert – in Bruckhausen machen sie 49 Prozent der Bevölkerung aus, in Marxloh 34 Prozent. Hier erinnert ein Bummel über die Weseler Straße an einem Samstagnachmittag an einen Spaziergang durch Istanbul: Junge Türken drängen sich in den über 40 Geschäften mit Hochzeitskleidern, Abendroben und Schmuck. Marxloh ist zum Ziel für heiratswillige Türken aus ganz Deutschland, Holland, Belgien und Frankreich geworden. Wer mag, kann in der bislang größten Moschee Deutschlands, gleich um die Ecke, den Bund fürs Leben schließen. Man führt hier keinen Kulturkampf, lebt zwar mehr neben- als miteinander, hat sich aber arrangiert. Aus Glaubensgründen würde hier im Revier ohnehin kaum jemand die Moschee ablehnen. Die Mehrheit der Menschen im Duisburger Norden ist zwar katholisch oder evangelisch. Eine dominante Rolle im Alltag spielt die Religion hier aber nicht mehr. Anders als im Oldenburger Land. Es ist historisch eine katholische Enklave des Bistums Münster im protestantisch dominierten Niedersachsen. Nach wie vor ist die Gegend geprägt von der katholischen Tradition. Das zeigt sich an beinahe jeder Weggabelung, wo sorgsam gepflegte und mit Blumen reich geschmückte Kruzifixe stehen. Das lässt sich aber auch an der weit verbreiteten Lebensführung festmachen. Nicht nur, dass die Familien zumeist mehrere Kinder haben. Der Anteil der Frauen-Erwerbstätigkeit liegt unter dem Landesschnitt. An diesem Punkt allerdings treffen sich „Schwarzland“ und „Rotland“ auch wieder: Viele Männer in Duisburg seien nach wie vor der Auffassung, dass sie ihre Frauen nicht „auf Arbeit“ schicken müssten, erzählen die Politiker über ihre Debatten um Kinderbetreuungsplätze. Hier wie dort werben die Parteipolitiker im direkten Kontakt mit den Wählern für sich und ihre Partei – und die Methoden sind die gleichen. Frühling-, Sommer-, Herbst- und Schützenfeste, Treffen der Kleingärtner oder Pferdezüchter, Sportturniere, Gemeindefeste – überall sind sie dabei und zwar mit Herzblut. Eine Portion Leidenschaft gehört dazu, Woche für Woche in Bierzelten vorbeizuschauen und Umzüge zu bestaunen. Für jeden Besuch vor Ort braucht es zudem eine gute Portion Leidensfähigkeit. Denn nicht selten werden die Parteivertreter hier verantwortlich gemacht für „die da oben in Berlin“. „Wenn der Eindruck entsteht, dass sich die soziale Balance verschiebt, reagieren unsere Wähler ausgesprochen sensibel“, erinnert Ralf Jäger, Vorsitzender der SPD Duisburg, an schmerzhafte Debatten um die Agenda 2010. Mittlerweile habe man Vertrauen zurückgewinnen können, auch bei den Gewerkschaften. Doch müsse man auch die Politik der Großen Koalition immer und immer wieder erklären. Damit er das tun kann, will Johannes Pflug nicht ständig am Wochenende zu irgendwelchen Konferenzen oder Parteitagen nach Berlin reisen. „Da fehlt mir wertvolle Zeit, um unsere Politik vor Ort zu verkaufen.“ In der CDU-Hochburg sorgte unlängst die Papst-Kritik der Bundeskanzlerin für gehörigen Unmut. Man habe sich gewaltig geärgert, heißt es. Auch mit der Wirtschaftspolitik, mit dem Fall Opel hätten viele CDU-Anhänger ihre Probleme. Ob die Menschen deswegen am 27. September der Wahl fernbleiben? „Dummes Zeug“, antwortet spontan Albert Focke, Landrat von Vechta. Und sein Amtskollege von Cloppenburg, Hans Eveslage, sagt zu dem Thema: „Wir machen hier vor Ort gute Politik. Das wissen die Menschen zu schätzen.“ In „Rotland“ und „Schwarzland“, so scheint es, ist egal, wer gerade in Berlin das Sagen hat. Um Ruhrpott-Legende Adi Preißler zu zitieren: „Entscheidend ist auf’m Platz.“ Foto: Picture Alliance

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