Bundesparteitag - Die Grünen sind eine Hochrisikopartei

Wegen angeblicher Sicherheitsbedenken sträuben sich die Grünen nach wie vor gegen eine echte Laufzeitverlängerung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke. Energiemangel und hohe Strompreise sind ihnen offenbar egal. Das macht klar, worin die eigentliche Gefahr besteht: einer industriefeindlichen, überideologisierten Lehrerzimmerpartei die Verantwortung für die Energieversorgung unseres Landes zu übertragen.

Grüne Starrköpfigkeit: Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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„Nach drei digitalen Parteitagen wollen wir uns endlich wieder physisch treffen“, kündigten die Grünen ihre am Freitag gestartete Bundesdelegiertenkonferenz an. Politische Beobachter rieben sich schon heimlich die Hände. Denn beim physischen Aufeinandertreffen auf Grünen-Parteitagen fliegen traditionell gerne mal die Fetzen. Die bis zur Belanglosigkeit durchchoreographierten Zusammentreffen anderer machtbewusster Parteien, bei denen die perfekte Bühnenausleuchtung den Mangel an inhaltlicher Substanz und interner Debattenfreude überstrahlen soll, war den einstigen Ökopazifisten eigentlich fremd. In den Anfangsjahren stritten sich auf den Grünen-Parteitagen vollbärtige Wollpulliträger mit Lilalatzhosenträgerinnen so heftig, dass sich die Stricknadeln bogen. Als Waffe wurden sie zum Glück nie eingesetzt. Dafür allerdings Stinkbomben und Farbbeutel.

Diese Zeiten sind zwar vorbei. Das instagramtaugliche Baerbock-Habeck-Duo legte bei seinen bisherigen Parteitagsshows großen Wert auf strahlende Bilder der Harmonie und Geschlossenheit. Die Wahlkampfbotschaft war: Mit uns kann man lockerflockig, gut gelaunt die Welt retten. Doch nun sind die Grünen an der Regierung. Und die gute Laune ist verflogen. Denn die Schattenseiten ihrer radikal-utopischen Ideen zeigen sich wegen ausbleibender russischer Gaslieferungen noch schneller, als von den schärfsten Kritikern befürchtet. Robert Habeck, der als erster Klimaminister der Bundesrepublik den ökologischen Umbau der Industrie voranbringen wollte, muss nun deren Abbau zusehen.

Schwimmende Schwerölkraftwerke

Um das Schlimmste zu verhindern, holt der Grünen-Minister bereits abgeschaltete Braunkohlekraftwerke wieder ans Netz und will schwimmende Schwerölkraftwerke chartern. Das stößt natürlich bei Klimaschützern nicht gerade auf Begeisterung. Gleichzeitig gilt aber der vom Koalitionspartner FDP geforderte Ausweg, den deutschen Atomausstieg auf die Zeit nach der Energiekrise zu verschieben, in Habecks Partei nach wie vor als großes Tabu. Auch wenn er sich wohl kaum trauen wird, den Grünen mit einer Joschka-Fischer-mäßigen Rede und unter dem Schutz der Klima-Ikone Greta Thunberg die Atomangst auszutreiben, wird der Konflikt um Kernkraft und Kohle auf dem Parteitag eine wichtige Rolle spielen. Denn er berührt das Grunddilemma der Partei: Was tun, wenn die eigenen Ideen an der Realität scheitern?

 

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Robert Habeck, der sich auf der Suche nach einem Atomkompromiss in einem argumentativen Gestrüpp zwischen Stresstest, Streckbetrieb und Einsatzreserve verheddert hat, weiß, dass ihm der Laden auseinanderfliegen könnte, wenn er diejenigen zu sehr herausfordert, die den fast vollendeten Atomausstieg als persönlichen Triumph eines jahrzehntelangen Kampfes sehen. Und die, so hört man es aus der Partei, versammeln sich derzeit hinter Annalena Baerbock, die sich als weltgewandte Außenministerin nicht mit den Nöten der mittelständischen Industrie befassen muss.

Anti-Atom-Märchen

Kompliziert ist die Lage zudem, weil es neben dem Spitzenduo noch ein anderes gibt: Ricarda Lang und Omid Nouripour führen die Grünen als Parteivorsitzende, weil Baerbock und Habeck als Minister nicht gleichzeitig Parteichefs bleiben durften. Mit den realen Machtverhältnissen hat dieser eher folkloristische Brauch – ein Überbleibsel aus der Zeit der strickenden, bärtigen Männer – zwar nicht viel zu tun. Dennoch lässt aufhorchen, wie klar sich Grünen-Chef Nouripour am Freitagmorgen vor der Kamera des ARD-Morgenmagazins gegen eine echte AKW-Laufzeitverlängerung gestemmt hat. In der leeren Parteitagshalle, die Bühne im Hintergrund schon fertig aufgebaut, wiederholte er die alte Mär vom bösen Atomstrom, der die Netze verstopfe und den guten Windstrom blockiere, und warnte vor der „Hochrisikotechnologie“. Im lapidar routinierten Tonfall verstieg sich der Vorsitzende einer maßgeblichen Regierungspartei zu folgender Behauptung: „Jeder Tag, an dem ein AKW läuft, ist ein Tag, an dem man teilweise die Luft anhalten muss, damit es nicht zu verheerenden Katastrophen kommt.“

Man hat sich an diese abgedroschene Phrasen gewöhnt. Es sind Glaubensbekenntnisse, die altgediente Grünen-Politiker auch dann noch herunterbeten können, wenn man sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt. Aber spätestens jetzt, am Vorabend des wirtschaftlichen Niedergangs einer einst auf ihre technologische Weltspitze stolzen Nation, sollte man ihnen diese Behauptungen nicht mehr durchgehen lassen.

Falls Herr Nouripour Recht hat und die drei letzten deutschen Atomkraftwerke wirklich so gefährlich sind, dass wir jeden Tag nur noch durch Luftanhalten gerade so an einer Katastrophe vorbeischliddern, dann sollte man sie sofort stilllegen. Irrt er jedoch – und das bezeugen nicht nur branchenfreundliche Fachleute, sondern auch die von Grünen geführten Nuklearsicherheitsbehörden –, wird klar, worin die eigentliche Gefahr besteht: einer industriefeindlichen, überideologisierten Lehrerzimmerpartei die Verantwortung für die Energieversorgung unseres Landes zu übertragen.

Gefährliche Rücksichtslosigkeit

Dass die letzten deutschen Kernkraftwerke, die zu den sichersten und zuverlässigsten der Welt zählen, spätestens im kommenden Frühjahr abgestellt werden sollen, ist der eisern vertretene Standpunkt vieler Grüner. Sie beharren darauf mit einer Rücksichtslosigkeit und Realitätsverweigerung, die für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands eine ernsthafte Gefahr darstellt. Denn Energie wird nicht nur im kommenden Winter knapp und teuer, mindestens der Winter darauf bleibt herausfordernd. Vor diesem Bundesparteitag wird daher deutlich: Die Grünen sind eine Hochrisikopartei.

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