Bedrohung der Demokratie - Digitalisierung ist gefährlicher als Rechtspopulismus

Man könnte meinen, es gäbe kein größeres Problem für die Demokratie als populistische Parteien. Das Problem ist viel größer: Eine auf Beratung und Besinnung ausgerichtete Staatsform trifft auf einen rasend beschleunigten Informationsfluss.

Demokratie ist nicht gleich Demokratie: In der Republik Venedig bedeutete sie etwas anderes als heute / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die Demokratie ist in Gefahr. Wieder einmal. Diesmal, weil die AfD in Thüringen einen Landrat und in Sachsen-Anhalt einen Bürgermeister stellt. Und weil sie in Umfragen – nicht nur in Ostdeutschland – von Rekordwert zu Rekordwert eilt.
Was genau daran demokratiegefährdend sein soll, wenn Bürger ihr demokratisches Recht für sich in Anspruch nehmen, leuchtet zwar nicht unmittelbar ein. Dies gilt umso mehr, als Demokratie, wie jeder Markt, nach den Prinzipien von Angebot und Nachfrage funktioniert und die AfD anzubieten scheint, was viele Wähler nachfragen. Aber vermutlich ist das zu simpel gedacht und übersieht politische Prinzipien.

Klar ist allerdings, dass die Demokratien westlichen Typs einem erheblichen Veränderungsdruck unterliegen. Und das hat zunächst wenig mit den Wahrergebnissen der AfD, des Rassemblement National, der Fratelli d’Italia, den Sverigedemokraterna oder anderen vergleichbaren Parteien zu tun. Wer so argumentiert, argumentiert unseriös und verwechselt Ursache und Wirkung.

Populistische Parteien allein stürzen keine Demokratie in die Krise. Man könnte sogar argumentieren, dass sie Zeichen einer funktionierenden Demokratie sind, wenn die bisherigen Parteien alt und bequem geworden sind. Allerding können Populisten auch Symptome dafür sein, dass das demokratische System an sich Reformbedarf hat.

Nicht „demokratische Werte“, sondern Checks and Balances

Denn Demokratie ist nicht gleich Demokratie. Die Menschheit kennt viele unterschiedliche Formen der Demokratie. Und jede hatte in ihrer Zeit ihre Berechtigung: die attischen Demokratien der klassischen Zeit, die Adelsrepublik Roms vor ihrer Krise, die ähnlich gelagerten Republiken der italienischen Stadtstaaten im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Motivation dieser teilweise sehr unterschiedlichen Demokratien waren dabei keine „demokratischen Werte“, sondern stets Checks and Balances, also eine Verteilung der Macht auf verschiedene Gruppen und Institutionen, so dass nie eine gesellschaftliche Gruppe allein allen anderen ihren Willen diktieren konnte – wie etwa in einer Monarchie.

Die klassischen Mechanismen der Checks and Balances aristokratischer Stadtrepubliken konnten in den entstehenden Nationalstaaten der Neuzeit nicht funktionieren. Also schuf man – erstmals bezeichnenderweise in den USA ab 1776 – repräsentative Demokratien, in die man zahlreiche Korrekturmechanismen einbaute, um allzu radikale, überstürzte oder einseitige Beschlüsse wenn nicht zu verhindern, so doch abzumildern.

 

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Also gibt es Bundesstaaten, zwei Parlamentskammern, den Supreme Court und eine ganze Reihe weiterer Institutionen, die die Möglichkeiten des Präsidenten und der Mehrheit des Repräsentantenhauses einschränken und das erzwingen, was Politologen gerne eine deliberative Demokratie nennen – also eine Demokratie, die öffentliche Beratungen erzwingt und es unmöglich macht, Entscheidungen übers Knie zu brechen.

Genau dieses deliberative Moment empfinden Bürger jedoch mitunter als unbefriedigend. Zum einen, weil es ewig dauern kann, bis tatsächlich mal ein Entschluss gefällt wird und auch noch das letzte Gericht alle Klagen und Revisionsklagen abgearbeitet hat. Zum anderen, weil diese Entschlüsse häufig verwässert sind, womit dann keiner richtig zufrieden ist.

Eine gewaltige Druckkammer politischer Erwartungen

Diese Entschleunigung demokratischer Entscheidungen war zwar mitunter ineffizient, fiel jedoch in einer sich analog informierenden Gesellschaft weniger ins Gewicht.

Die Digitalisierung änderte alles: die Geschwindigkeit der Kommunikation, die Art der Kommunikation, die Schlagzahl der Neuigkeiten und Ereignisse – alles gerät in eines unglaublichen Beschleunigungsschub. Nachrichten, Ereignisse und Skandale jagen in Zehntelsekunden um die Welt, zeitgleich sitzen Milliarden Nutzer an ihren Smartphones und kommentieren, liken und teilen und erzeugen so eine gewaltige Druckkammer politischer Erwartungen, die mit den Möglichkeiten traditioneller Demokratien des 18. Jahrhunderts unmöglich zu kontrollieren ist.

Das ist die Chance für Institutionenverächter wie Donald Trump oder die Letzte Generation. Sie nutzen den Druck im Kessel, um die demokratischen Verfahren zu diskreditieren und politische Entscheidungen jenseits der eingespielten demokratischen Beratungen zu erzwingen. Hier droht die eigentliche Gefahr für die Demokratie und nicht durch Parteien, die die deliberativen Regeln im Prinzip anzuerkennen scheinen.

Nicht auszuschließen, dass die Idee der Demokratie wieder einmal vor einer Häutung steht, da ihre Mechanismen aus der Zeit der Flugblätter und Zeitschriften im Zeitalter von Twitter nicht dauerhaft funktionieren. Vor dem Kurzschluss, aus der Not eine Tugend zu machen und einfach eine unmittelbare, plebiszitäre Digitaldemokratie einzuführen, kann man allerdings nicht genug warnen.

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