Bayern - Missgunst Richtung Süden

Die These, Bayern rücke nach rechts, hält der Realität nicht stand: CSU und Freien Wählern gelingt es erfolgreich, die AfD einzuhegen. Auch sonst hat Bayern-Bashing Hochkonjunktur. Darauf kann man eigentlich nur mit einem Karl-Valentin-Zitat reagieren.

So schlecht kann’s nicht laufen: Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach im VR-Holodeck des Landeskriminalamts / dpa
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Sigmund Gottlieb war von 1995 bis 2017 Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens.

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Es ist mir ziemlich egal, ob die Christsozialen bei der Landtagswahl am 8. Oktober 37 oder 40 Prozent der Stimmen einfahren. Ein schlechtes Ergebnis, also 40 minus x Prozent der Stimmen, wäre für Markus Söder und seine Regierungspartei zwar ein Drama, für den Freistaat und seine Menschen jedoch kein Problem: Eine alte neue Koalition der CSU mit den Freien Wählern wird klar über 50 Prozent liegen und damit viele Wunschträumer extra Bavariam eines Besseren belehren. Es bleibt, wie es ist. 

Wäre da nicht der Fall Aiwanger. Weiß Gott keine Angelegenheit, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte – im Gegenteil. Mich kotzt das Flugblatt an. Die Sprache ist entsetzlich, die Gedanken dahinter unerträglich. Der Wille des Chefs der Freien Wähler, diese übelriechende Geschichte aufzuklären, ist schwach. Zweifel bleiben. So empfindet die Mehrheit der Menschen in Bayern. „In dubio pro reo“, denken sie dennoch – und nicht „Kreuzigt ihn!“ 

Jedenfalls noch nicht. Mal sehen, was noch kommt, sagen sie. Das Volk hat ein feines Gespür. 

Es macht mich daher zornig, wenn ich wahrnehme, wie man uns von interessierter Seite in Politik und Publizistik glauben machen will, der Freistaat befände sich auf einem unkalkulierbaren Weg nach rechts außen. An dieser Stelle müssen wir wirklich aufpassen, dass diesem ausgemachten Unsinn nicht auch noch Flügel wachsen! 

Die Freien Wähler sind eine demokratische Partei

Wie wäre es, wenn wir es ausnahmsweise einmal mit Fakten statt mit Vorurteilen versuchen? Merke: Wenn mehr als die Hälfte der Bayern für die CSU oder die Freien Wähler stimmen, dann bringen sie zum Ausdruck, dass sie sich von der seit fünf Jahren regierenden Koalition dieser beiden Parteien gut vertreten fühlen. Merke außerdem: Der Fall Aiwanger und die Entscheidung des Ministerpräsidenten, ihn – vorerst jedenfalls – im Amt zu halten, ist alles andere als ein Rechtsruck, sondern die klare Entscheidung Söders für die Fortsetzung eines gut funktionierenden Regierungsbündnisses wenige Wochen vor der Landtagswahl. 

Merke schließlich: Die Freien Wähler – Vorsitzender hin, Vorsitzender her – sind eine demokratische Partei. Dies haben sie nachhaltig unter Beweis gestellt, als sie vor Jahren die Nase von der CSU voll hatten und ihr den Rücken kehrten: Bürgermeister, Landräte, unabhängig denkende Frauen und Männer, geschnitzt aus dem Holz der Christsozialen, ausgestattet mit einem besonderen unideologischen Dickschädel. Diesen Leuten rechtsextreme Verirrungen zu unterstellen ist genauso absurd, wie Putin für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. 

Im Gegenteil: CSU und Freien Wählern ist es bis heute gelungen, die Flughöhe der AfD von derzeit 22 Prozent in ganz Deutschland im Freistaat deutlich niedriger zu halten. Da es nicht ins sorgsam gepflegte Vorurteil passt, redet eben auch keiner darüber. Dass auch dieser Wert alles andere als ein Grund zur Freude ist, hat keiner so klar und deutlich ausgesprochen wie Franz Josef Strauß: Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Die gibt es längst. Sie in Grenzen zu halten, gelingt in Bayern – wie man sieht – besser als in anderen Regionen der Republik. Dass Bayern nach rechts rücke, ist somit in das Reich des Absurden zu verbannen – und nichts weiter als ein schlechter Witz. 

Dabei arbeitet sich der „Freundeskreis Bayern“ noch aus anderen Perspektiven am „liebgehassten“ Objekt ab. Mit einer ziemlich verstörenden Mischung aus Häme und Ignoranz zeigt die Missgunst in diesen Tagen verstärkt in Richtung Süden. Die Bayern hätten zwar ziemlich viel Erfolg, heißt es da in einem Anflug verklemmter Bewunderung. Irgendwie sei der wohl auch verdient, ja, wie sonst könnten sich die Dax-Giganten BMW oder Allianz oder Münchner Rück hier angesiedelt haben; die werden sich schon was dabei gedacht haben. Und die Tech-Giganten auch, wenn sie sich Bayern als Standort für Europa aussuchen. 

Sind alle Bayern Zipfelschwinger?

Aber, und da kommt schon wieder der erhobene Zeigefinger: Das kann doch auf keinen Fall auch in Zukunft gutgehen! Das wird alles nicht so bleiben wie es ist. Denn Bayern – das sei noch immer zu viel CSU, das seien neuerdings auch zu viele Freie Wähler. Und die SPD mit ihren schlappen neun Prozent bekomme unter dieser konservativen Übermacht einfach keine Luft zum Atmen, nicht wahr? 

Es sind aber nicht nur die politischen Kräfteverhältnisse im Freistaat, die mit fortschreitender Wirklichkeitsverweigerung beobachtet werden. Es ist das ganze Land, das nach Auffassung dieser Fremdbetrachter zum Psychiater müsste. Warum? Darauf muss man erst einmal kommen: Weil, so hören wir, der Erfolg die Leute träge macht, weil es bald nicht mehr schneit und die Touristen nicht mehr Skilaufen können. Weil die Bayern frauenfeindlich sind und „lauter Zipfelschwinger“, wie der Spiegel jüngst schrieb. Weil, wenn man ganz oben steht, die Angst vor dem Abstieg ein ständiger Begleiter ist. Und weil die zwei Millionen Menschen, die seit der Wende nach Bayern eingewandert sind, wohl eine optische Täuschung sein müssen. 

Bayern-Bashing hat also Hochkonjunktur. Dessen Protagonisten arbeiten mit Fake-News und sind diesmal ziemlich gnadenlos. Karl Valentin pflegte in solchen Fällen zu sagen: „Net amol ignoriern“. Wahrscheinlich ist das wirklich die einzige Methode, wenn es ernst wird im Land und das Lächeln aus den Gesichtern schwindet. 

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