ARD-Talkshow „Anne Will“ - Der Streit wollte kein Ende nehmen

Hat die Ampel die Lösungen für aktuelle Krisen? Skandale sowie miserable Umfrage- und Wahlergebnisse lassen Zweifel daran aufkommen. Bei „Anne Will“ sorgte die Frage am Sonntagabend für Zoff.

Anne Will und ihre Gäste diskutierten am Sonntagabend über die Bremer Bürgerschaftswahl / Screenshot
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Lukas Koperek ist Journalist und lebt in Mannheim und Berlin.

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Gestern Abend sind bei Anne Will die Fetzen geflogen. In der Talksendung im Ersten ging es um die Bremer Bürgerschaftswahl und die Frage, was die Ergebnisse über die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Bundesregierung aussagen. Eine hitzige Debatte war also programmiert, vor allem angesichts der Gäste. Mit Ricarda Lang, der Co-Bundesvorsitzenden der Grünen, und Lars Klingbeil, dem Co-Bundesvorsitzenden der SPD, waren zwei der drei Regierungsparteien vertreten. Die Stimmung innerhalb der Ampel-Koalition ist derzeit eigentlich schon angespannt genug, um für Reibung zu sorgen, doch Will wollte es wissen und hatte zusätzlich zwei Oppositionelle eingeladen: Mario Czaja, den Generalsekretär der CDU, und Amira Mohamed Ali, die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Der fünfte Gast, der stellvertretende Welt-Chefredakteur Robin Alexander, war in dieser Kombination wohl als ausgleichende Kraft gedacht, um Anne Will bei der Moderation zu unterstützen.

Zwei Drittel der Deutschen sind unzufrieden mit der Regierung

Denn das Aufeinandertreffen im ARD-Studio war nur das jüngste politische Scharmützel der vergangenen Tage und Wochen. Das geplante Heizungsgesetz der Ampel stößt inzwischen nicht nur auf scharfe Kritik bei der Opposition, sondern auch bei der FDP-Fraktion, die angekündigt hat, die Abstimmung zu boykottieren, sollte der Entwurf nicht mehr geändert werden. Die Zustimmungswerte der Regierung sind unverändert schlecht: Mehr als zwei Drittel der Deutschen sind laut ARD-Deutschlandtrend unzufrieden mit der Regierung. Viele Bürger wünschen sich gar das Ende der Koalition. Wie die jüngste INSA-Umfrage zeigt, würde Rot-Grün-Gelb heute keine Mehrheit mehr erzielen. Seit der Bundestagswahl hat die SPD mehr als fünf Punkte ihrer damaligen 25,7 Prozent eingebüßt. Die FDP, die immerhin solide 11,5 holte, schafft es heute in keiner Umfrage mehr über die Zehnprozentmarke, in Bremen könnte sie ersten Hochrechnungen zufolge gar an der Fünfprozenthürde scheitern und aus dem Landtag fliegen. Die Grünen liegen mit 15 Prozent in Umfragewerte stabil, gelten aber mit einem Minus von über fünf Prozent als die Verlierer der Bremer Bürgerschaftswahl.

So gesehen sind die Ergebnisse von Bremen schwer zu deuten. Sie können einerseits als Stimmungstest für die Politik auf Bundesebene gesehen werden, beißen sich aber andererseits mit den Umfragewerten. Dass die negative Presse, die zuletzt wieder einmal das grün geführte Bundeswirtschaftsministerium mit der Trauzeugen-Affäre um Patrick Graichen machte, sich zumindest teilweise auf die Wahl ausgewirkt hat, steht aber außer Frage.

Die Politik der Bundesregierung stärkt die Rechtspopulisten

Entsprechend bescheiden äußerte sich daher Ricarda Lang zur Wahlschlappe in Bremen – und entsprechend groß war die Angriffsfläche für Mario Czaja. Dass der CDU-Politiker es auf die Grünen abgesehen hat, ist erst vergangene Woche wieder deutlich geworden: „Spätestens seit dieser Woche ist die Affäre Graichen eine Affäre Habeck“, schimpfte er unter Applaus im Bundestag in Richtung des Wirtschaftsministers; am nächsten Tag stellte er eine Online-Kampagne unter dem Hashtag #fairheizen vor, die sich gegen das Heizungsgesetz der Ampel richtet.

„Ich glaube, dass die Diskussionen um das Heizungsgesetz hier in Berlin auch dazu beigetragen haben, dass es vor allem ein Abstrafen Richtung Grünen war“, sagte Czaja zur Wahl in Bremen. „Ich sehe mit Sorge, dass diese Politik der Bundesregierung auch dazu führt, dass die Ränder gestärkt werden.“

 

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Damit legte Czaja gleich zu Beginn der Sendung den Finger in eine Wunde. Während nämlich die Grünen und auch die SPD den Christdemokraten vorwerfen, mit ihrer Kritik an der Regierungspolitik populistische Narrative zu bedienen, zeigen sowohl Umfrage-Ergebnisse als auch die Wählerwanderschaft in Bremen: Rechtspopulistische Kräfte profitieren von der Unzufriedenheit der Bürger mit der Regierung. Auf Bundesebene ist es die AfD, die in Umfragen inzwischen die Grünen überholt hat und in Thüringen mit circa 28 Prozent sogar stärkste Kraft wäre, in Bremen sind es die „Bürger in Wut“, die mit 9,5 Prozent aus dem Wählermilieu der ausgeschlossenen AfD schöpfen.

„Als CDU würde ich bei dem Thema kleine Brötchen backen!“

Lars Klingbeil verlor schon nach Czajas erstem Redebeitrag die Geduld: „Sie haben mit einer Aggressivität über den Fall Graichen geredet, von Clan-Strukturen und krimineller Vereinigung, wo ich sagen würde: Als CDU würde ich bei dem Thema kleine Brötchen backen!“ Der Sozialdemokrat spielte damit auf die zahlreichen Fälle von Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb der CDU an – etwa die sogenannte Masken-Affäre, die 2021 bekanntgeworden ist, den Lobbyismus-Skandal um den Unionspolitiker Philipp Amthor im Jahr 2020 oder 2019 die Berater-Affäre um Ursula von der Leyen.

Dass jetzt die Grünen zum wiederholten Mal prominent in der Kritik stehen, nutzt die Union nicht nur, um über ihre eigenen zahlreichen Fälle von Korruption hinwegzutäuschen, sondern auch um Wähler zu mobilisieren, ohne wirkliche Inhalte zu bieten. Die Kritik der CDU am Heizungsgesetz mag durchaus begründet sein – ein originelles Klima- und Umweltschutz-Profil lässt die Partei aber nach wie vor vermissen. Wenn es den Christdemokraten so leicht gemacht wird wie derzeit, mit einem Ausbremsen der Regierungsarbeit die eigene Konzeptlosigkeit zu verschleiern, nehmen sie den Ball gerne an.

Grüne sehen sich als Opfer

Nur machen sie es damit auch den Grünen leichter, zumindest auf gewisse Weise. Der Reflex, bei jeder Kritik in die Opferrolle zu schlüpfen, wirkte bei Ricarda Lang wieder stark: „Ich bin immer die Letze, die sagt: Wenn Kritik kommt, haben wir eine Kampagne, aber was macht die Union diese Woche am Donnerstag? Sie macht tatsächlich, offiziell eine Kampagne!“ Schon Robert Habeck hatte vergangene Woche in den „Tagesthemen“ von einer Kampagne gegen die Klimaschutzpläne seiner Regierung gesprochen. Die Lieblingstaktik der Grünen: Wenn jemand ihre Politik kritisiert, behaupten sie, man wolle den Klimaschutz und damit effektiv die Rettung der Menschheit verhindern – das ultimative Böse. Dem setzte Habeck im gleichen Interview noch die Krone auf, indem er die Forderungen, seinen Staatssekretär Graichen zu entlassen, zu einer Forderung nach Blutvergießen stilisierte: „Ich bin nicht bereit, Menschen zu opfern.“

Tatsächlich zeigt der Umgang der Grünen mit dem Fall Graichen: Sie können viel von Verantwortung sprechen – besonders gerne von der Verantwortung der Menschen gegenüber der Umwelt und nachfolgenden Generationen –, aber Verantwortung übernehmen können sie nicht. Wie auch Habeck und andere Grünenpolitiker wiederholte Lang die Formel, das Problem sei behoben worden, ohne eigentlich zu sehen, dass das Problem nicht die Personalie des Trauzeugen von Graichen ist.

Anne Will sprach es aus: „Den Fehler kann man auch darin sehen, dass jemand, der in so einem wichtigen Amt ist wie Herr Graichen, so wenig Problembewusstsein hat, dass es ihm hinterher erst auffällt, dass es nicht geht, seinen Trauzeugen in diesem Auswahlverfahren zum Topkandidaten zu machen.“ Dass es bei der Affäre Graichen um viel mehr als um eine unfaire Stellenvergabe geht, unterstrich dann auch Mario Czaja noch einmal. Er erinnerte daran, dass über 80 Unternehmerverbände die Chance gehabt hätten, Vorschläge und Stellungnahmen zum geplanten Heizungsgesetz an das Wirtschaftsministerium zu schicken, 800 Seiten Stellungnahmen insgesamt. Ins Gesetz schaffte es nicht einer der Vorschläge.

„Es gibt eine kleine Clique, die entscheidet“, so Czaja. „Die ist in ihrem Persönlichkeitskreis unterwegs, es sind weitestgehend Verwandte, und die entscheiden über so wichtige Fragen in unserem Land. Über unsere Wirtschaftskraft, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt.“ Das Problem sei, dass Graichen und sein Team nicht mehr die Souveränität und die Unabhängigkeit hätten, um solche Entscheidungen zu treffen.

Amira Mohamed Ali hielt eine Wutrede

Sogar die Linke Amira Mohamed Ali, die sonst eigentlich auf die Anschlussfähigkeit ihrer Partei zur SPD und den Grünen bedacht ist, überzog Lang und Klingbeil mit Kritik. Sie forderte den Rücktritt Graichens und attackierte die soziale Kälte, die sich im Heizungsgesetz der Regierung zeige. Die Grünen haben angekündigt, den teuren Einbau von Wärmepumpen und die anstehenden Sanierungen zu fördern – mit einer Kostenübernahme von bis zu 80 Prozent bei Haushalten mit einem Jahreseinkommen von unter 20.000 Euro.

Die Regelung könnte sich jedoch als Papiertiger erweisen: „Die wenigsten Haushalte mit einem Jahreseinkommen von unter 20.000 Euro haben ein Eigenheim. Das heißt, das betrifft extrem wenige Menschen.“ Menschen mit einem Durchschnittseinkommen und Wohneigentum würden dagegen mit hohen Kosten allein gelassen werden. Die größeren Umbauarbeiten in Mehrfamilienhäusern, so Mohamed Ali, würden schließlich auch dazu führen, „dass sich die Mieten immer weiter erhöhen“.

„Das ist natürlich nicht normal“

Lars Klingbeil versuchte immer wieder vergeblich, Mohamed Ali bei ihrer Wutrede ins Wort zu fallen. Dass es so viele unbeantwortete Fragen und undurchdachte Punkte in dem Gesetz gebe, führte er auf die „Gepflogenheiten des Parlaments“ zurück – es sei ganz normal, dass Gesetzesentwürfe im parlamentarischen Verfahren noch einmal überarbeitet würden. Hier erwies sich dann der Wert von Robin Alexander, der Klingbeil seinerseits unterbrach und dessen Aussage ins Verhältnis rückte: „Er hat jetzt drei Mal gesagt, das wäre normal, und das ist natürlich nicht normal.“

Denn: „Das Gesetz, über das wir reden, ist erst einmal von der Bundesregierung beschlossen worden, und dazu gab es Protokollerklärungen von der FDP, von den Ministern, dass sie auf eine Veränderung im Parlament setzen.“ Dass die eigenen Minister sich gezwungen sähen, auf die Veränderung durch das Parlament zu pochen, zeige, dass die Vorgänge innerhalb der Ampel-Koalition nicht der Norm entsprechen. Nachdem Klingbeil mehrere Male versucht hatte, dem Welt-Journalisten ins Wort zu fallen, gab er klein bei: „Ich hätte mir auch gewünscht, dass es ohne Protokollerklärungen der FDP-Minister funktioniert.“ Er musste zugeben: „Natürlich ist das ungewöhnlich.

Der Streit wollte kein Ende nehmen. Klingbeil attackierte Alexander; Lang Mohamed Ali; Will versuchte immer wieder, ihrer Rolle als Moderatorin gerecht zu werden und Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Als sie die Diskussion am Ende noch auf die Präsidentschaftswahl in der Türkei lenkte, deren Ergebnis noch immer unklar ist, wirkten auch ihre Gäste erleichtert. Der mögliche Wahlsieg des Oppositionsführers Kemal Kilicdaroglu und das Ende der Ära Erdogan sind eine Chance für Europa – darin waren sich wenigstens alle einig. Mehr oder weniger.

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