Ampelregierung - Die Geisterfahrer

Die Bundesregierung wird immer mehr zur Belastung für dieses Land, dilettiert jedoch weiter fröhlich vor sich hin. Dabei sollten Kanzler und Kabinettsmitglieder laut Eidesformel eigentlich ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen“. Aber die Ampel-Parteien definieren das Volkswohl völlig unterschiedlich.

Bundeskanzler Olaf Scholz / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Mittlerweile entsteht der Eindruck, als ob die Ampel-Regierung nicht nur unfähig ist, Probleme zu lösen – sondern dass sie auch kein Interesse daran hat, dies überhaupt zu tun. Es kann passieren, was will: Man wurstelt weiter vor sich hin, die Bundesminister der unterschiedlichen Parteien werfen sich gegenseitig Steine in den Weg. Und der Bundeskanzler schaut dem ganzen Treiben einigermaßen unbeteiligt zu. Sein einstiger Führungsanspruch hat sich als reines Maulheldentum entpuppt; unmittelbare Folge eines selbsternannten „Fortschrittsbündnisses“, bei dem alle Beteiligten völlig unterschiedliche Vorstellungen von Fortschritt haben. Das Ergebnis dieses lähmenden Zusammenwirkens (von „Zusammenarbeit“ kann hier keine Rede sein) sind Minuswachstum und die Aussicht auf weitere wirtschaftliche Stagnation.

So richtig zu stören scheint das aber in der Ampel niemanden. Deren Vertreter nutzen den Auftritt in öffentlich-rechtlichen Talkshows, um sich selbst für ihre vermeintlichen Verdienste zu loben – wenn es doch sonst schon niemand tut. Ansonsten wird Kritik von außen wahlweise als „rechtspopulistisch“ abgetan, oder (nachdem diese Nummer endgültig nicht mehr zu ziehen scheint) auf äußere Faktoren verwiesen: Krieg, Russland, China und so weiter und so fort. Ganz so, als hätten andere Länder diese Nebenbedingungen nicht zu gewärtigen.

Botschaft ans Volk: Deutschland ist auf dem richtigen Weg, grünes Wirtschaftswunder, Freiheitsenergien, Verkehrswende, große Transformation etc. pp. Leider fällt der Glaube daran schwer, wenn der Bundeswirtschaftsminister gleichzeitig vor einer Deindustrialisierung warnt, sollte seine Idee eines Industriestrompreises nicht umgesetzt (und die deutsche Wirtschaft mithin noch mehr unter die Kuratel des Staates gestellt) werden. Es ist erbärmlich.

Auf Schlingerkurs ins Nirwana

Wenn sich die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang darüber beschwert, Ampel-Kritiker würden sich als Defätisten betätigten, sobald sie die Bundesrepublik als „kranken Mann Europas“ bezeichnen, müsste man ihr eigentlich zustimmen. Denn Deutschland – zumindest dessen Regierung – ist nicht wirklich krank, sondern nur in höchstem Maße geistig verwirrt und deshalb nicht mehr in der Lage, geradeaus zu laufen. Jeder kann das sehen, jeder kann es spüren (und sei’s im Portemonnaie). Trotzdem bleibt das Schiff auf Schlingerkurs ins Nirwana einer mit Beliebigkeitsfloskeln wie „erneuerbar“, „nachhaltig“ oder „regenerativ“ ausgeschmückten Zukunftsillusion.

Das Gegenteil von „gut“ ist eben „gut gemeint“: Diese Lebensweisheit hat noch nie gestimmt, weil man mit guten Absichten durchaus auch etwas Gutes erreichen kann. Was allerdings ein Mindestmaß an Kompetenz und Einsichtsfähigkeit voraussetzt, das zumindest an den Spitzen von zwei der drei Regierungsparteien nicht ansatzweise erkennbar ist (und von deren insgesamt vier Vorsitzenden immerhin einer ein abgeschlossenes Studium vorweisen kann).

Die Bildungsmisere macht eben auch vor der großen Politik nicht halt, und wo intellektuell-kognitive Defizite ihre Wirkung entfalten, wird für gewöhnlich mit umso größerer Inbrunst die eigene Ideologie vorangetrieben. Auch das ist kein neues Phänomen, weshalb ausgerechnet viele ehemalige DDR-Bürger fassungslos auf das aktuelle Geschehen blicken. Dass etliche von ihnen in ihrer Verzweiflung für die AfD stimmen wollen (oder demnächst vielleicht auch für die Wagenknecht-Partei), ist zwar nicht schön, aber durchaus nachvollziehbar angesichts einer Bundesregierung, die im grassierenden Rechts- beziehungsweise Linkspopulismus eine größere Gefahr sieht als in der von ihr selbst geschaffenen Ursache dafür: einer Politik nämlich, die sich mit rationalen Argumenten nicht erklären lässt. Was übrigens der eigentliche Grund für das fortgesetzte Schweigen des Olaf Scholz sein dürfte.

Politik der Verantwortungslosigkeit

Wir haben Engpässe in Sachen Energie? Die Lösung: alle verbliebenen Atomkraftwerke abschalten. Arbeitskräftemangel? Kein Problem: einfach die Arbeitsanreize mit dem neuen Bürgergeld weiter senken! Zu hohe Treibhausgas-Emissionen? Kohlekraftwerke wieder hochfahren! Grassierender Antisemitismus auf deutschen Straßen? Hat mit unkontrollierter Massenzuwanderung jedenfalls nicht das Geringste zu tun! Überhaupt, die Migrationskrise: ein paar kosmetische Eingriffe hier und da, eine neue Kommission – dann wird das schon! Wobei das Zuwanderungsthema für die meisten Menschen ohnehin gar nicht interessant ist (so zumindest die Einlassungen von SPD-Chefin Saskia Esken unmittelbar nach der 15-Prozent-Klatsche bei der jüngsten Hessen-Wahl). Immerhin reichen diese 15 Prozent noch aus, um dort eine Koalition mit der CDU eingehen zu können (weshalb Bundesinnenministerin Faeser als gescheiterte hessische SPD-Spitzenkandidatin derzeit fröhlich in Wiesbaden über Landespolitik verhandelt, weil in ihrem eigenen Ressort in Berlin ja ohnehin nichts anbrennt). Es ist eine Geisterfahrt der Verantwortungslosigkeit.

 

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Politik ist zugegebenermaßen ein schwieriges und kompliziertes Geschäft, bei dem stets die unterschiedlichsten Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Und es ist keineswegs so, als würde in der breiten Bevölkerung kein Verständnis dafür herrschen. Problematisch wird es allerdings, wenn Kontrafaktizität zum Leitmotiv des Regierungshandelns geworden ist – weshalb übrigens das „Selbstbestimmungsgesetz“ mit freier Wahl des biologischen Geschlechts eine ganz besondere Symbolwirkung entfaltet.

Dienstleistung für die Bevölkerung

Was in Berlin offenbar in Vergessenheit geraten ist: Bei aller Komplexität ist Politik zuvorderst eine Dienstleistung für die eigene Bevölkerung – Mandatsträger und Regierungen sind dazu da, das Leben ihrer Wählerinnen und Wähler durch entsprechende Rahmenbedingungen besser zu machen. Und nicht, um in verquasten Ideologien zu schwelgen und die Leute in den Wahnsinn zu treiben wie mit irren Heizungsgesetzen und sonstigem Firlefanz. Das sollte eigentlich auch Parteigranden mit gescheiterter Bildungsbiografie klar sein.

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ So lautet der Amtseid, den der Bundeskanzler und die Bundesminister laut Grundgesetz vor Amtsübernahme leisten (wobei auf die religiöse Beteuerung – Gott sei Dank! – verzichtet werden kann). Und noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik dürften mehr Zweifel daran bestanden haben, ob zumindest einzelne Kabinettsmitglieder angesichts ihres Tuns und Unterlassens dieser Eidesformel gerecht werden.

Aber um es ganz klar zu sagen: Eine Debatte darüber, wer hier aus welchen Gründen seinen Amtseid gebrochen haben könnte, ist komplett müßig, denn was den Nutzen „des deutschen Volkes“ am Ende gemehrt oder ihm geschadet hat, darüber können irgendwann Historiker befinden. Sonst bleibt eben auch das eine Frage der Perspektive.

Lieber keine Eidesformeln

Allerdings wäre es dann auch konsequent, künftig auf pathetische Eidesformeln zu verzichten. Denn sie wecken eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung, der insbesondere eine jüngere, aktivistisch geprägte Politikergeneration nicht entsprechen kann und dies auch nicht will. In einer „Gesellschaft der Singularitäten“ wirkt der Begriff vom „Wohle des Volkes“ eben wie ein kurioses Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Genau deswegen ist die Ampel so, wie sie eben ist. Manche nennen es „Fortschritt“.

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