Kann die Ampel-Krise zum Regierungswechsel führen? - Exit-Optionen für Olaf Scholz

Eine Große Koalition steht in Berlin nicht vor der Tür. Aber die Drohung mit ihr ist für Kanzler Olaf Scholz (SPD) wie für Oppositionsführer Friedrich Merz ganz nützlich. Der CDU-Chef kann sich bei den guten neuen Umfragezahlen für die Union allerdings eigentlich nur Neuwahlen wünschen. 

Brieffreunde - und vielleicht bald mehr? Olaf Scholz und Friedrich Merz / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Echte Regierungskrisen werden nicht im Spiegel oder in Bild ausgerufen – und schon gar nicht von bayerischen Ministerpräsidenten. Echte, also wirklich ernste Regierungskrisen spielen sich im Bundestag ab. Nur auf dem Parkett des Hohen Hauses kann man in der deutschen Demokratie wirklich den Kanzler stürzen. Das weiß auch Olaf Scholz. Deswegen ist sein Ampel-Bündnis derzeit zwar in wahrlich schwerer See unterwegs, doch in konkreter Gefahr ist es eben noch nicht. Denn im Parlament wackelt seine Kanzlermehrheit eben (noch) nicht. 

Der gerade wiedergewählte CSU-Chef Markus Söder war jüngst eigens aus München nach Berlin gereist, um zu verkünden, dass die Union bereit sei, mit der SPD ein Notbündnis einzugehen, wenn denn der Bundeskanzler Liberale und Grüne aus der Regierung schmeißen würde. Doch indem er es aussprach, wurde alles Berliner Blasengeblubber über eine bevorstehende Große Koalition für Deutschland noch mehr zu Schaum, denn nie und nimmer würde sich Olaf Scholz auch noch gerade von Söder zur schwarz-roten Rochade auffordern lassen. 

Scholz-Regierung leidet an Koordinierungsproblemen

Zunächst sind die Überlegungen zu einer Großen Koalition nicht abwegig, sozusagen theoretisch. Denn die Scholz-Regierung leidet an Koordinierungsproblemen und bisweilen auch an Chaos. Kaum ein größeres Vorhaben geht ohne Rempler und Schlangenlinien durchs Ziel (oder noch nicht mal das). Nicht zuletzt Olaf Scholz selbst hatte in seiner Regierungserklärung mit seinem Angebot eines Deutschlandpaktes die CDU/CSU-Opposition zur Mitarbeit aufgerufen und so Spekulationen Nahrung gegeben, sich eben ein Mehr an Nähe zu wünschen. CDU-Chef Merz hatte das aufgegriffen.  

Inzwischen ist angesichts der drängenden Migrationskrise die Konkretisierung der möglichen Zusammenarbeit gefunden. Gemeinsam könnte, sollte oder müsste die irreguläre Zuwanderung eingedämmt werden. Doch schon hier endet abrupt der Weg hin zu einem neuen Regierungsbündnis. Nicht nur die Vorstellungen divergieren, auch die Machtperspektiven unterscheiden sich naturgegeben. Schließlich sind noch die Bundesländer dabei, also keine reine Berliner Bühne. 

Drohgebärde in Richtung der Grünen

Trotz eines Treffens und der lieblichen Briefe, die Merz und Scholz sich jetzt hin und her schreiben, der Schriftverkehr kündet nicht wirklich von einer wachsenden Nähe. Nicht nur, dass das neue Polit-Traumpaar noch nicht zum „Du“ gefunden hat, es verbindet sie auch nicht wirklich ein gemeinsames politisches Ziel. Vielleicht sind sie sich noch einig darin, dass nun sichtbar der Flüchtlingsstrom begrenzt werden muss, damit bei der Europawahl im kommenden Jahr die AfD nicht weiter Nahrung für ihre Kampagne erhält. Aber bei diesem allgemeinen Anliegen hört es schon auf. Vor allem für Scholz gibt es kaum strategische Argumente, nun den Partner zu wechseln. Und das hat eben auch mit der Verfassung zu tun, nicht nur mit aktuellen Umfragen oder Stimmungen. 

Konkret ist das vermeintliche Werben von Scholz um Merz vor allem eine Drohgebärde in Richtung der Grünen, die bei einer Großen Koalition ihre Macht verlören; und ein Warnschuss in Richtung des linken Parteiflügels der SPD, der der Bündnisse mit der CDU mehr als überdrüssig ist. Scholz kann mit dem verkündeten (weniger mit einem realisierten) Deutschlandpakt für Disziplin in den eigenen Reihen sorgen.  

Und dann kommt der Bundestag ins Spiel. Für die nun vom Kabinett beschlossenen Maßnahmen zur verstärkten Abschiebung von Migranten braucht der Kanzler im Parlament nur seine eigene Mehrheit von SPD, Grünen und FDP. Es geht nicht um eine Verfassungsänderung wie beim Sondervermögen, also benötigt er die Union formal gar nicht. Nur wenn er sich also hier nicht durchsetzen kann, dann gibt es wirklich eine Regierungskrise.  

Szenarien für ein Ende der Ampel

Welche Szenarien wären dann aber für ein Ende der Ampel und den Start einer Großen Koalition, erstmals unter sozialdemokratischer Führung, denkbar? Es gibt grob gesagt drei Varianten, die Scholz zur Auswahl hätte, aber in Wahrheit würden alle drei sein Scheitern offenbaren und seine Kanzlerschaft zunächst nur zu einer Übergangsregierung machen. Deswegen werden alle Varianten nur als Notlösungen, als Katastrophenszenarien erst wirklich relevant. 

Die formal einfachste Handlungsoption ist für Scholz, dass er die grünen (und liberalen) Minister einfach entlässt. Dazu hat er die Kompetenz, er muss dazu nur den Bundespräsidenten bitten, dies zu vollziehen. Dies könnte er zum Beispiel tun, wenn etwa bei einer Abstimmung über das Abschiebegesetz keine Ampel-Mehrheit zustande kommt und also das Vertrauen zu seinen Partnern nicht mehr gegeben ist. (Mit oder ohne Vertrauensfrage.) Tatsächlich würde er aber damit den Koalitionsvertrag aufkündigen, und seine Ampel-Regierung wäre am Ende. Er könnte dann ein Bündnis mit CDU/CSU eingehen, denn zusammen mit der SPD hätten sie auch die für die Kanzlermehrheit nötigen Stimmen im Parlament. Doch macht die Union dann wirklich mit? 

Große Koalition ist derzeit unrealistisch

Tatsächlich wäre dies ein Sonderfall, den es so noch nicht gegeben hat. Denn bislang war ein Regierungswechsel bei laufender Wahlperiode immer mit einem Kanzlerwechsel verbunden. So orientierte sich 1982 die FDP zu einem neuen Koalitionspartner um und wählte in einem konstruktiven Misstrauensvotum inmitten der Legislaturperiode zusammen mit den Unionsfraktionen den CDU-Chef Helmut Kohl zum Kanzler (übrigens ohne dass dieser jemals Kanzlerkandidat gewesen wäre). Zuvor hatte Kanzler Helmut Schmidt die FDP-Minister nach eben beschriebenem Verfahren entlassen. Kanzler Kohl setzte sie dann wieder ein. 

Ob also in diesem wilden Gedankenspiel Scholz in einem Bündnis mit CDU/CSU dann zunächst (geheime?) Koalitionsverhandlungen führen oder einfach Unions-Minister einsetzen würde, ist alles der Phantasie politischer Träumerei überlassen. Theoretisch könnte er sich dann noch mal zum Kanzler wählen lassen, obwohl er es schon ist, oder dies eben sein lassen. Laut Verfassung ist und bleibt er Kanzler, bis ein anderer zum Kanzler gewählt wird. Was ja in diesem Fall originellerweise er selbst wäre. Also, wie gesagt, etwas wild das alles. 

 

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Das zweite Szenario wäre vielleicht etwas plausibler. Kanzler Scholz setzt Gesetze wie das Abschiebegesetz mit Stimmen der Union durch, weil nicht alle Koalitionsabgeordnete dafür stimmen. Dies wäre dann aber formal eben doch eine Regierungskrise und könnte dazu führen, dass etwa die Grünen aus eigenen Stücken das Regierungsbündnis aufkündigen. Derzeit machen die Grünen allerdings einen so unsortierten Eindruck, dass sie sich wahrscheinlich noch nicht einmal darauf einigen könnten. Scholz würde dann so etwas wie eine De-facto-Minderheitsregierung anführen - unter Duldung der Union. Und es würde sich die Frage stellen, welchen Preis Friedrich Merz dafür ausrufen würde.   

Die dritte Variante ist eine, die den ordnungsliebenden Verfassungsvätern und -müttern wohl am naheliegendsten erschienen wäre. Olaf Scholz stellt die Vertrauensfrage, er scheitert, die Kanzlermehrheit kommt nicht zustande, weil Teile von SPD und Grünen die neue Migrationspolitik nicht mittragen wollen. Darauf kommt der Bundespräsident ins Spiel, er löst das Parlament auf und setzt Neuwahlen an. Um in der Übergangsphase handlungsfähig zu sein, würden Scholz und Merz einige Gesetze zur Migration in einer Kurzzeit-Großen-Koalition vereinbaren und durchs Parlament bringen. Doch diese dritte Variante, die als einfachste erscheint, ist für Scholz eben auch die gefährlichste, geradezu die toxischste. Denn schnelle Neuwahlen würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende seiner Kanzlerschaft besiegeln. 

Schnelle Neuwahlen: Attraktive Perspektive für Merz

Regierungskrisen bahnen sich natürlich immer schon an. Und da sind dann eben doch Berichterstattung und Umfragen ein guter Indikator. Schon seit Monaten hat die Scholz-Regierung in Erhebungen beim Wahlvolk keine eigene Mehrheit mehr. Aktuell liegen die drei Ampel-Parteien laut Allensbach bei zusammen nur 35 Prozent (SPD 17, Grüne 13, FDP 5). Die Union allein kommt auf 34 Prozent. So abgeschlagen war die Kanzler-SPD noch nie und so stark war die Union schon lange nicht mehr. Deswegen ist eben auch jede Große Koalition, die noch bis zur regulären Bundestagswahl 2025 Olaf Scholz und seiner SPD Zeit zur Regenerierung gäbe, für CDU/CSU nur Teufelszug.  

Allein schnelle Neuwahlen können für Friedrich Merz derzeit eine attraktive Perspektive sein, die ihn kurzfristig zu engerer Zusammenarbeit mit Scholz bewegen könnte. Er wird sich dem Deutschlandpakt formal nicht verweigern, aber auch nur, um eben den Ampelparteien die schmerzhaften Instrumente zu zeigen, die eine Demokratie so bereit hält: Wahlen!   

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