Ampel, Migration, Silvesternacht - „Das muss endlich auf den Tisch“

Seit einem guten Jahr wird Deutschland von einer Ampelkoalition regiert. Im Interview zieht der bayerische Innenminister Joachim Herrmann eine Zwischenbilanz, erklärt die niedrige Kriminalitätsrate in Bayern und fordert mehr Unterstützung der Bundesregierung bei Abschiebungen.

Recht und Ordnung im Blick: der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, CSU / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Joachim Herrmann, CSU, ist Abgeordneter des Bayerischen Landtages und Innenminister des Freistaats. Sein Wahlkreis ist Erlangen-Stadt. 

Herr Herrmann, wie lautet Ihre Bilanz nach einem guten Jahr rot-grün-gelbe Bundesregierung aus Sicht des bayerischen Innenministers? 

Was die Innen- und Sicherheitspolitik anbetrifft, ist das Spektrum innerhalb dieser Ampelkoalition – um es vorsichtig auszudrücken – sehr breit. Nicht nur, aber auch in diesen Themenbereichen scheinen die Schwierigkeiten offensichtlich eher zu wachsen, anstatt dass man sich auf eine gemeinsame konkrete Linie verständigt. Das führt dazu, dass die Auseinandersetzungen innerhalb der Ampelkoalition größer werden. Ich kann aber auch bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser keine klare Linie erkennen. Man spürt hier, wie in anderen Themenbereichen dieser Regierung auch, dass sehr viel Zeit für den Versuch aufgewendet wird, sich irgendwie zu profilieren, ohne sich aber mit den wirklichen Sachthemen und Problemen auseinanderzusetzen. 

Mit welchen Folgen? 

Die SPD verstrickt sich zum Beispiel in Widersprüche, weil man es mal dem einen, mal dem anderen Koalitionspartner recht machen will. Das ist nicht leicht, wenn es sich bei den Koalitionspartnern um die Grünen und die FDP handelt. Etwa beim Thema Migrationspolitik. Erst heißt es, der Zuzug solle begrenzt werden, drei oder vier Tage später erklären Annalena Baerbock und Nancy Faeser dann aber ihr neues zusätzliches Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan. Nicht nur für Ortskräfte, sondern Afghanen insgesamt. Ein Aufnahmeprogramm, ohne dass es dazu eine gesetzliche Verpflichtung oder irgendeinen dahingehenden Beschluss gäbe.  

Gibt es weitere Beispiele? 

Ja. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal wurde im Sommer 2021 verkündet, es gebe einen Neustart im Katastrophenschutz. Alle Beteiligten waren beeindruckt und warteten gespannt, was passiert. Und dann wird wenige Wochen später ein Haushaltsentwurf vorgelegt, der vorsieht, die Mittel für den Katastrophenschutz um bis zu 30 Prozent zu kürzen. Und so könnte man weitere Beispiele nennen, wo die Politik der Ampelkoalition einfach in sich nicht schlüssig ist. Es gibt keine klare Linie für das Land, für die Sicherheit, für die Verbrechensbekämpfung, für den Katastrophenschutz.  

Sehen Sie diese unklare Linie auch in anderen Bereichen der Ampelpolitik? 

Es lohnt sich zwar nicht mehr, sich über die Linie der ehemaligen Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht Gedanken zu machen. Aber da war es natürlich besonders eklatant. Man hatte vielfach den Eindruck, dass dort eine Amtsinhaberin zugange war, die von ihrem Zuständigkeitsbereich eigentlich wenig Ahnung hatte. Als Minister geht es erstmal darum, die Fähigkeiten, die Kompetenzen, die Zuständigkeiten des eigenen Ressorts und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kennen und richtig beurteilen zu können. Dann darum, die Herausforderungen zu sehen, eine saubere Lageanalyse zu haben und daraus zu folgern, was jetzt getan werden muss oder was getan werden kann. 

Wir befinden uns mit dem Ukraine-Krieg allerdings auch in einer besonderen Situation. 

Ich will gar nicht bestreiten, dass diese Regierung durch den unerwarteten Ukraine-Krieg vor besondere Herausforderungen gestellt wird. Aber es ist eben offenkundig, dass die Probleme nicht nur hier liegen, sondern auch darin, dass Teile dieser Regierung in etlichen Positionen ziemlich überfordert sind. Und wir erleben eben in manchen Bereichen auch, dass die Politik schon  stark auch von sehr grundsätzlichen ideologischen Überzeugungen geprägt ist. 

Das wird dann vielfach kaschiert, zum Beispiel durch Forderungen, das Waffenrecht zu verschärfen – ob jetzt anlässlich der Reichsbürger-Razzia oder der Silvesternacht. Die Grünen hatten ja bereits in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl angekündigt, den privaten Waffenbesitz insgesamt so weit wie möglich zu reduzieren. Da werden also Ereignisse vorgeschoben, um dem verantwortungsvollen Jäger und dem normalen Sportschützen das Leben immer schwerer zu machen, ohne dass dadurch ein echter Sicherheitsgewinn erkennbar wäre. 

Was halten Sie von Boris Pistorius als neuem Bundesverteidigungsminister?

Boris Pistorius schätze ich als streitbaren und kompetenten Kollegen aus vielen Innenministerkonferenzen. Als neuer Verteidigungsminister muss er jetzt schnellstens liefern. Wir brauchen einen starken Verteidigungsminister, der anpackt und sich mit Erfolg für die Truppe einsetzt. 

Themawechsel: Migration. Wo sehen Sie da die größten Probleme derzeit? 

Sagen wir so: Wir haben im vergangenen Jahr eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft für die ukrainischen Flüchtlinge erlebt, für Menschen, die vor diesem schrecklichen Krieg fliehen mussten und denen dann hier geholfen wurde. Das war sagenhaft. Unter den Ukraine-Flüchtlingen ist der Anteil an Frauen und Kindern überdurchschnittlich hoch. Und gut die Hälfte aller Angekommenen wurde privat untergebracht und ist es auch nach wie vor. Im Sommer wurde gewarnt, dass dies nicht lange gutgehen werde, dass die Leute dem überdrüssig werden. Die Wahrheit ist: Die Hilfsbereitschaft ist immer noch vorhanden. In dem Bereich gibt es zudem kaum Konflikte.

Andererseits?

Gleichzeitig ist aber die Zahl der Asylbewerber wieder deutlich angestiegen. Während der Flüchtlingskrise 2015/16 hatten wir im Maximum etwa um die 150.000 Flüchtlinge, die in Bayern in staatlichen oder kommunalen Unterkünften untergebracht waren. Diese Zahl ist bis zum Ende des Jahres 2020 auf etwa 80.000 zurückgegangen. Und seitdem steigt die Zahl wieder an. Ende 2022 waren es 169.000 Menschen, die in staatlichen und kommunalen Unterkünften oder Wohnungen in Bayern untergebracht waren. Das ist natürlich eine enorme Belastung für die Kommunen. Und das hört man jetzt auch überall. Das beschäftigt die Bürgermeister und Landräte. Und das ist natürlich nicht nur in Bayern so. Ich höre aus nahezu allen Ländern, egal, wie sie regiert werden, dass man am Limit angekommen ist. 

Und die Politik in Berlin? 

Während die Kommunen nicht mehr wissen, wie sie die Leute unterbringen sollen, tut die Bundesregierung nichts, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ich sage Ihnen ganz klar: Ja, natürlich stehen wir zum Asylrecht. Aber hier muss jetzt endlich konsequent gehandelt werden, um den Zustrom nach Deutschland zu bremsen. 

Stattdessen werden immer noch neue Anreize gesetzt, indem beispielsweise die Sozialleistungen für Flüchtlinge weiter erhöht werden, indem so ein Programm wie „1000 Afghanen pro Monat“ in die Welt gesetzt wird; indem wir lauthals ankündigen, Italien zu helfen und Flüchtlinge aus Italien zu übernehmen, obwohl das Land – wenn man sich die Zahlen konkret anschaut – überhaupt nicht überlastet ist, was die konkreten Asylanträge anbetrifft. Es gibt also überhaupt keinen Anlass, dass wir den Italienern Flüchtlinge abnehmen. Aber es wird einfach so gemacht. Man kann den Sinn, die Konzeption hier nicht erkennen. 

Nochmal: Wir müssen zum Asylrecht stehen. Aber dass wir ständig mehr tun, als eigentlich notwendig ist, obwohl wir ohnehin schon eine große humanitäre Leistung mit den ukrainischen Flüchtlingen erbringen, das ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Und das sage nicht nur ich. Das hört man auch an der kommunalen Basis, und zwar parteiübergreifend. Auch von Bürgermeistern und Landräten von der SPD und den Grünen. 
 

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Die Diskussionen, die wir darüber jetzt führen, haben wir vor sieben Jahren schon geführt, während der Flüchtlingskrise 2015/16. Außerdem heißt es zwar immer wieder, dass die Menschen aus der Ukraine nach Kriegsende zurückkehren werden. Aber es weiß ja überhaupt niemand, wann dieser Krieg endet. Was, wenn wir mit den Ukraine-Flüchtlingen das Gleiche erleben wie damals mit den türkischen Gastarbeitern? Dass die Leute bleiben – und dann entsprechend auch Wohnraum und Arbeitsplätze brauchen?

Wie Sie sagen, ist erstens die Not dieser Menschen offenkundig. Und zweitens sind es Europäer, weshalb die kulturellen Unterschiede wesentlich kleiner sind als bei Menschen, die von einem anderen Kontinent zu uns kommen. Wir haben bei den Ukrainern ein sehr hohes Bildungsniveau. Von der Schule her, von der beruflichen Ausbildung her. Nach den aktuellsten Zahlen sind von den in Bayern angekommenen Ukrainerinnen und Ukrainern bereits 12.200 in einem Beschäftigungsverhältnis. Und ich bin sicher, dass diese Zahl noch weiter steigen wird. 

Wir sind überdies in einer Situation, dass wir qualifizierte Mitarbeiter brauchen. Wir brauchen mehr Zuwanderung aufgrund der demografischen Veränderungen, also Zuwanderung für den Arbeitsmarkt. Das wird ja gleichzeitig von der Wirtschaft, vom Handwerk genauso wie von der Industrie gefordert. Insofern können wir, glaube ich, einen Großteil der ukrainischen Flüchtlinge im Erwachsenenalter auch in den Arbeitsmarkt integrieren, während ihre Kinder in die Schule gehen können. 

Und die Asylbewerber aus anderen Teilen der Welt? 

Die Erstaufnahme ist in Bayern immerhin nicht mehr so das Problem, weil die Menschen anders als 2015/2016 nicht mehr in Massen über die österreichische Grenze kommen. Aber in der Gesamtzahl sind es jetzt wieder wesentlich mehr. Das sagte ich bereits. Und dagegen tut die Bundesregierung eben zu wenig.

Die Zahl der Abschiebungen ist aber seit Jahren gering. 

Natürlich hatten wir bei der Rückführung zuletzt große Probleme, etwa aufgrund der Corona-Pandemie, wo ja alles international stillgelegt wurde. Jetzt geht da wieder einiges voran, aber viel zu wenig, das stimmt. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag etwa festgelegt, eine große „Rückführungsoffensive“ zu starten für Menschen, die nicht hier bleiben dürfen. Da ist bisher aber absolut nichts passiert. 

Ja, mit Herrn Stamp wurde eine Art „Rückführungsbeauftragter“ ernannt. Gleichzeitig heißt es dann aber vom Land Berlin zum Beispiel, dass im Winter keine Abschiebungen durchgeführt werden. Das ist völlig absurd. Da wird nicht einmal beachtet, dass es eine südliche Halbkugel gibt; dass, während bei uns Winter ist, in der anderen Hälfte der Welt Sommer ist. Letztendlich wird versucht, durch Vorwände Abschiebungen zu verhindern. Da sind wir wieder bei der Ideologie. Da sind wir wieder bei den Grünen, bei den Linken. 

Aber was ist denn mit Bayern? Abschiebungen sind Ländersache, und der Freistaat hat vergangenes Jahr auch nur rund 2000 Menschen in ihre Heimat abgeschoben. 

Wir handeln im Rahmen des Möglichen. Aber wir brauchen bei vielen Dingen im Ausland die Unterstützung des Bundes, zum Beispiel, wenn wir jemanden nach Afrika abschieben wollen. Da muss von Seiten der Bundesregierung Druck ausgeübt werden, schon deshalb, weil es eine Reihe insbesondere afrikanischer Länder gibt, deren Begeisterung, die eigenen Leute wieder zurückzunehmen, sich sehr in Grenzen hält. Oder nehmen wir das Beispiel Irak: Menschen, die in den vergangenen Jahren in den Irak abgeschoben wurden, kamen zu einem Drittel bis zur Hälfte aus Bayern. Ähnlich war es bei Menschen aus Afghanistan, bevor das Land von den Taliban übernommen wurde. Wir tun, was wir können. Aber wenn der Bund nicht richtig unterstützt, kommen wir auch nicht weiter.

Was würden Sie sich denn ganz konkret wünschen vom Bund? 

Das Entscheidende, was der Bund beitragen muss, ist, Gespräche mit den Herkunftsländern zu führen. Denn die müssen mitmachen. Ich kann nicht einfach jemanden in den Flieger setzen und nach Lagos schicken. Abschiebungen funktionieren nur mit internationaler Zusammenarbeit. Da ist die Bundesregierung gefordert, da sind die deutschen Botschaften vor Ort gefordert. 

Die Debatte über Migration wurde jüngst nochmal befeuert durch die Vorkommnisse in der Berliner Silvesternacht, zumindest, was das Migrationsthema Integration betrifft. Wie bewerten Sie denn diese Vorgänge? 

Es gibt Probleme bei der Integration, die dann immer mal wieder bei herausragenden Ereignissen sichtbar werden, wie jüngst in der Silvesternacht. Das Problem in Berlin ist, dass es sich dort um einen Dauerzustand handelt. Bayern ist schon seit Jahren das Land mit der niedrigsten Kriminalität, Berlin das mit der höchsten. Nun kann man einen Stadtstaat nicht einfach mit einem Flächenland vergleichen, aber Sie können die Millionenstädte gegenüberstellen. In Relation zur Bevölkerung ist die Kriminalitätsbelastung je 100.000 Einwohner in Berlin fast zweieinhalb Mal so hoch wie in München. Mit Migration alleine lässt sich das aber nicht erklären. München hat einen Ausländeranteil von rund 25 Prozent, Berlin einen Ausländeranteil von um die 20 Prozent. Die Ausländerquote ist in München also höher als in Berlin …

… was viele Menschen nicht wissen. 

Aber die Kriminalität ist in München weniger als halb so hoch wie in Berlin. Und deshalb sage ich nicht so oberflächlich: „Da sind die Ausländer dran schuld.“ Was wir erleben, ist, dass offenkundig die Integration in Berlin nicht funktioniert und dass dort der Rechtsstaat nicht wirklich durchgesetzt wird. Das funktioniert in Bayern wesentlich besser. Ich behaupte nicht, dass bei uns alles nur super ist, aber wir arbeiten konsequent daran. 

Nehmen Sie den Arbeitsmarkt: Wir haben in Bayern die niedrigste Arbeitslosenquote; auch unter Ausländern. Und wir haben die niedrigste Kriminalität. Das sind wichtige Merkmale einer erfolgreichen Integrationspolitik. Die Menschen werden in den Arbeitsmarkt integriert und sie respektieren unsere Rechtsordnung, während die Arbeitslosigkeit in Berlin wesentlich höher ist und die Kriminalitätsrate auch. Daraus entstehen dann solche Eskalationen. Vor solchen Zusammenhängen werden aber die Augen verschlossen. Man will das nicht wahrhaben. Dabei ist die Silvesternacht nur ein Ergebnis einer jahrelangen Fehlentwicklung, vor der man immer den Kopf in den Sand gesteckt hat. Das muss endlich auf den Tisch. Mit Klartext. 

Der große Masterplan von Teilen der Grünen und der SPD in Berlin war allerdings, nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht ein bundesweites Böllerverbot zu fordern. Gerade so, als erledigten sich die Probleme damit von selbst. Was halten Sie denn von solchen Spirenzchen? 

Das sind reine Ablenkungsmanöver, damit man sich mit den tiefgreifenden Fragen nicht beschäftigen muss. Die Silvesternacht ist ja kein Einzelfall. Wir kennen solche Ausschreitungen auch vom 1. Mai. Und das nächste Mal nehmen die Täter dann halt keine Böller, sondern Baseballschläger. Mit einem Böllerverbot löst man das eigentliche Problem nicht. 

Apropos Probleme lösen: Bayern stand jüngst in der Kritik, weil Sie sehr konsequent gegen die Klimakleber der „Letzten Generation“ durchgegriffen haben. Für wie gefährlich halten Sie diese Leute – auch mit Blick auf die Angriffe auf Polizisten in Lützerath – denn? 

Aus unserer Sicht geht es darum, dass sich Aktivisten an Recht und Gesetz halten, an die Spielregeln.  Jeder darf in unserem freiheitlichen Land demonstrieren, jeder darf für seine Meinung eintreten, jeder darf andere kritisieren. Man darf für mehr Klimaschutz demonstrieren, man darf natürlich auch gegen Braunkohleabbau demonstrieren. Was man nicht darf, ist, konkret Straftaten zu begehen, weder irgendetwas zu besetzen, noch irgendetwas zu zerstören, noch andere Menschen in ihrer Freiheit zu behindern und so weiter. Wenn jemand gegen geltendes Recht verstößt, dann muss er zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Linie setzen wir in Bayern auch konsequent um.

Bayerisches Innenministerium
am Münchner Odeonsplatz / dpa

Die Kritik richtete sich vor allem gegen den sogenannten „Präventivgewahrsam“, der die bayerischen Behörden ermächtigt, Aktivisten für bis zu vier Wochen einzusperren, um Straftaten zu verhindern. 

Ja, da muss man sicherlich immer darauf schauen, dass man die Verhältnismäßigkeit wahrt. Und ich habe dann auch sehr deutlich gesagt, dass ein längerfristiger Gewahrsam hier die absolute Ausnahme bleiben muss. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich schon auch wichtig, dass Menschen sehen, dass die Ankündigung weiterer Blockadeaktionen nicht folgenlos bleibt, sondern für jeden Einzelfall mögliche Maßnahmen geprüft werden, bei längerfristigen Gewahrsamnahmen immer auch von einem Richter. Außerdem ist wichtig, dass diejenigen, die Straftaten begangen haben, dann von der Justiz zu Geldstrafen oder je nach Schwere auch zu Freiheitsstrafen verurteilt werden. 

Im vergangenen Jahr, Sie schnitten das bereits an, gab es die große Reichsbürger-Razzia, die – vorsichtig formuliert – durchaus als Showdown inszeniert wurde; so nach dem Motto: Wir zeigen denen jetzt mal, wo der Hammer hängt. Wie haben Sie dieses mediale Tohuwabohu denn wahrgenommen? 

Man darf diese Reichsbürger und ihre Gefährlichkeit nicht unterschätzen. Wir haben das ja vor ein paar Jahren auch schon mal in Bayern erlebt bei der geplanten Entwaffnung eines Reichsbürgers, als ein Polizist erschossen wurde. Insgesamt war die jüngste Großrazzia gegen diese Szene schon ein großer Erfolg. Auch, wenn man bedenkt, dass eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Richterin involviert war. Das ist natürlich völlig inakzeptabel. Und da muss der Staat auch konsequent durchgreifen. 

Was mich persönlich, sagen wir mal, erstaunt hat, war: Wenn diese Reichsbürger so gefährlich sind, dass Spezialkräfte von der GSG 9 dabei waren, weil man befürchtet hat, dass diese Reichsbürger auch Waffen einsetzen könnten; dass dann gleichzeitig an einigen Einsatzorten so viele Fernsehkameras vor Ort waren. Das halte ich für unangebracht und auch gefährlich. Außerdem kommt das eben etwas seltsam rüber, wirkt wie ein Showeffekt für die Kameras. Das wird der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht – und man liefert unnötig Anlass für Kritik. Was die Bayerische Polizei anbelangt, lege ich Wert darauf, dass so etwas nicht vorkommt.

Laut einem Bericht vom Dezember 2021 soll es in Bayern ungefähr 4600 Personen geben, die sich der sogenannten Reichsbürger-Szene zurechnen lassen. Wie gefährlich ist diese Szene denn in Bayern? 

Nicht jeder, den wir dieser Szene zuordnen, ist gewaltbereit. Aber wir haben aus den Fällen in der Vergangenheit gelernt, dass es eben auch gewaltbereite Leute gibt, die nicht nur daherfaseln von wegen Kaiserreich und dass man unseren Rechtsstaat beseitigen sollte. Deshalb muss man diese Szene ernstnehmen, auch wenn nur eine Minderheit gewaltbereit ist. Entsprechend handeln wir auch: Besonders wichtig ist, solchen Leuten die Waffenerlaubnis zu entziehen und sie zu entwaffnen. Das ist dringend notwendig. Und wenn wir erkennen, dass so jemand im öffentlichen Dienst ist, dann muss er auch sofort aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. 

Wird Markus Söder – entgegen seiner jüngsten Behauptung – in drei Jahren Kanzlerkandidat der Union sein? 

Ich glaube, dass Markus Söder im Herbst ein starkes Ergebnis bei der Landtagswahl erhält und bayerischer Ministerpräsident bleibt. 

Und Sie bleiben dann auch bayerischer Innenminister?

Er hat mich gebeten, wieder mit an Bord zu sein. Alles Weitere wird sich nach der Wahl zeigen. 

Das Gespräch führte Ben Krischke. 

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