Ampel-Kommission will Paragraph 218 abschaffen - Vatikan gegen Anti-Vatikan

Eine Regierungskommission hält die geltende Abtreibungsregelung für verfassungswidrig. Mit dieser Zuspitzung wird die schwierige Debatte um den Paragrafen 218 und den Lebensschutz schon von Anfang an verdorben. Ob der Papst da helfen kann?

Ein Thema, das polarisiert: Zwei Kinder bei einer Anti-Abtreibungsdemonstration /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Man könnte fast von einer göttlichen Fügung sprechen. Doch die politische Öffentlichkeit in Deutschland hat von dem Zufall fast nichts mitbekommen, der sich heute ereignet hat. Auf der einen Seite wurden Einzelheiten aus einem Abschlussbericht einer Regierungskommission vorab publiziert, der eine weitgehende Abschaffung des Paragrafen 218 fordert und Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche legalisieren will. Nahezu zeitgleich veröffentlichte der Vatikan ein Dokument, welches sich unter anderem mit demselben Themenbereich beschäftigt und in die gegenteilige Richtung weist.

Dass die Erklärung des Papstes anders ausfallen würde als von der Berliner Regierung gewünscht, konnte man erwarten. Doch es ist noch schärfer als gedacht, beide Argumentationslinien scheinen geradezu aufeinander zuzurasen. Die Erklärung des Papstes trägt den Titel „Dignitas infinita“ (Unendliche Würde) und enthält eine ausführliche Darlegung von Verstößen gegen die Menschenwürde. Dazu zählen auch Abtreibung und Leihmutterschaft, beides Themen, mit denen sich auch die Regierungsexperten beschäftigen sollten. Das Oberhaupt der Katholischen Kirche stellt nun anders als seine Vorgänger den, wenn man so will, modernen Begriff der Menschenrechte ins Zentrum. Das ist in der Form neu – und, man könnte sagen, eine eher säkulare Begründung aus kirchlichem Mund.

Papst argumentiert mit Menschenrechten

„Deshalb muss auch in unserer Zeit mit aller Kraft und Klarheit festgestellt werden, dass diese Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen Menschenrechts verbunden ist“, schreibt Kardinal Víctor Manuel Fernández im Auftrag von Papst Franziskus. Das verblüffende ist nun, dass die Ampel-Experten offenbar die deutsche Abtreibungsregelung genau gegenteilig als im Grund rechtswidrig angreifen wollen.

In den ersten Auszügen, die durch den Spiegel bekannt wurden, heißt es in dem Expertenbericht, es sei „nicht haltbar“, dass der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland „grundsätzlich rechtswidrig“ sei. Und mehr noch meint die deutsche Kommission, die derzeitigen Regelungen im Strafgesetzbuch, also der Paragraf 218, hielten einer „verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung“ nicht stand.

Damit begibt sich die Regierungskommission in Deutschland auf völlig neues Terrain. Hier werden nicht mehr vor allem Argumente ausgetauscht und abgewogen. Vielmehr verkünden offenbar die Expertinnen und Experten nun gleichsam als Anti-Vatikan, dass die deutsche Gesetzeslage nicht nur irgendwie schlecht ist, sondern nicht weniger als rechtswidrig ist und zugleich das deutsche Verfassungsgericht sich offenbar seit Jahrzehnten irrt.

Ist die Rechtslage verfassungswidrig?

Während Justizminister Marco Buschmann bei der Einrichtung der Kommission noch eine Grundlage für eine „notwendige breite politische Diskussion“ schaffen wollte, liefert nun der Abschlussbericht offenbar ein scharfes Urteil, welches ehrliche und abgewogene Debatten fast unmöglich macht. Wie soll man argumentieren, wenn die geltende Rechtslage als „verfassungswidrig" bezeichnet wird?

Am Montag will die Kommission ihren kompletten Abschlussbericht vorstellen. Am morgigen Mittwoch debattiert der Deutsche Bundestag schon ein Thema, das inhaltlich  in der Nähe liegt. Es geht um sogenannte Gehsteig-Belästigung von Frauen, die abtreiben wollen. Möglicherweise entwickelt sich eine erste Grundsatz-Auseinandersetzung daraus. Ob die Ampel-Regierung das Vorhaben einer Abschaffung des Paragrafen 218 realisiert, ist noch offen. Tatsächlich gibt es wohl auch bei Grünen und Liberalen einige kritische Stimmen.

 

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Die Debatten um Abtreibung und Lebensschutz des ungeborenen Kindes gehören zu den schwierigsten Auseinandersetzungen und kompliziertest juristischen Güterabwägungen, die unser Rechtssystem kennt. Sie sind mit der Emanzipationsbewegung verknüpft und auch mit den Entwicklungen der vorgeburtlichen Medizin. Überall toben Kulturkämpfe um diese Thematik, besonders in Amerika ist die Abtreibungsfrage zu einer ideologisierten Kampfmittel geworden.

CDU will in Karlsruhe klagen

In Deutschland gibt es einen relativen Rechtsfrieden, seitd Mitte der 1990er Jahre ein Kompromiss gefunden wurde. Dieser sieht unter anderem vor, dass Abtreibung generell verboten ist, aber in den ersten zwölf Wochen straffrei bleibt, wenn die schwangere Frau sich einer Pflichtberatung unterzogen hat. Dies wird von Kritikern als diskriminierend empfunden. Dass die Ampel den Kompromiss nun möglicherweise aufkündigen will, wird vor allem von der Union scharf kritisiert. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thomas Frei, hält es für „grundüberflüssig“, sich jetzt mit dem Thema zu beschäftigen. Sollte sich die Koalition die Vorschläge der Kommission zu eigen machen, „würden wir in Karlsruhe dagegen klagen“, kündigte der CDU-Politiker an.

Nach geltender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehen sich das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und das Lebensrecht der Frau gegenüber, wenn eine Abtreibung vorgenommen werden soll. Der Kompromiss soll aber eben auch der Erkenntnis Rechnung tragen, dass eine Frau nicht gegen ihren Willen ein Kind austragen kann. Gerade damit werde ihre Würde gewahrt, so die Argumentation derer, die den Kompromiss getragen haben.

Caritas gegen Kommissionsvorschlag

Für die Katholische Kirche war diese Regelung von 1995, die nach Pflichtberatung eine Abtreibung erlaubt, nicht unterstützungsfähig. Doch gab es viele Katholikinnen und Katholiken, die damals einen anderen Weg gehen wollten. Sie gründeten Donum vitae, einen Verein, der aus christlicher Haltung heraus die Pflichtberatung durchführt. Heute hat sich das Blatt gewendet und viele katholische Vertreter wären froh, wenn sich der Kompromiss halten ließe.

Die Caritas kritisierte die Empfehlungen als „lebensfremd“. Die Kommission schlage nun offenkundig vor, das Beratungskonzept durch eine zweistufige Fristenlösung zu ersetzen, erklärte Caritas-Präsidentin Eva Maria-Welskop-Deffaa. Ähnlich äußerte sich der Familienbund der Katholiken. Die derzeitige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sei nicht verfassungswidrig, sondern entspreche der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1993.

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