Wahl von AKK und Gelbe-Westen-Bewegung - Frankreich ist eine Warnung

Mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Parteivorsitzenden hat die CDU auf Kontinuität gesetzt. Sie hat damit die Chance verspielt, verloren gegangenes Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Wohin diese Entwicklung führen kann, sehen wir gerade in Frankreich. Von Alexander Grau

Neue Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer: Schönwetterergebnis angesichts dunkler Wolken / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Nun ist es passiert. Die CDU hat in Gestalt von AKK ein Weiter-so gewählt. Das ist ein Schönwetterergebnis angesichts dunkler Wolken am Horizont. Es beweist, dass man in der Union – allerdings nicht nur dort, wie man gerechterweise sagen muss – die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat. Offensichtlich glauben noch viel zu viele politische Funktionsträger, dass die aktuellen gesellschaftlichen Spannungen nur eine vorübergehende Irritation sind, die von selbst wieder verschwinden wird. Ein Blick über den Rhein könnte sie belehren, dass das eine reichlich optimistische Einschätzung ist.

Denn was in diesen Tagen in Frankreich geschieht, ist mehr als eine Staatskrise. Es ist eine Systemkrise. Und eine Gesellschaftskrise dazu. Offensichtlich haben sich große Teile der französischen Gesellschaft so weit voneinander entfernt, dass eine sinnvolle und gemäßigte Kommunikation kaum noch möglich ist. 

Frankreichs Gesellschaft ist gespalten 

Dabei stehen sich zumindest zwei Lager gegenüber: Auf der einen Seite steht das liberale, kosmopolitische Bürgertum, insbesondere aus Paris. Aus seinem Milieu rekrutieren sich die Ministerialbürokratie, die höhere Verwaltung und die Leitungsebene der Banken und Konzerne. Flankiert wird diese Funktionselite durch die „Bobos“, „die bourgeois-bohème“, die linken Lebensstil und Nonkonformismus lässig mit Wohlstand und Erfolg paaren. In Deutschland würde man vom neulinken Bürgertum sprechen.

Auf der anderen Seite finden sich die Reste der ehemaligen Arbeiterschaft, das Kleinbürgertum und die Landwirte. Es sind jene Gruppen, die der in diesen Tagen so gefragte französische Geograph Christophe Guilluy in einem schon 2014 erschienenen Essay „france périphérique“ genannt hat: das periphere Frankreich.

Bourgeoisie trifft auf Kleinbürgertum 

Dieses periphere Frankreich steht geographisch und sozial am Rand, obwohl es Basis, Herz und Rückgrat der französischen Gesellschaft bildet. Es wohnt in Dörfern und kleineren bis mittleren Städten, ist fast ausschließlich autochthon und traditionellen Werten und Lebens- und Berufswelten verhaftet. Dieses periphere Frankreich ist in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr von dem zentralen Frankreich abgeschnitten worden. Und das nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell. Denn im Milieu der Führungseliten und Bobos denkt man nicht lokal, sondern global und streitet für Flexibilität, Offenheit und Internationalität, weshalb man sich im Zweifelsfall dem Migranten näher fühlt als dem peripheren Frankreich – auch wenn das natürlich eine kitschige Illusion ist und man ein Banlieue nie besuchen würde.

Nun ist Frankreich nicht Deutschland, und die aktuellen Probleme bei unseren Nachbarn haben auch spezifisch französische Ursachen. Doch Bobos gibt es auch hierzulande, nur hocken sie nicht ausschließlich in einem Berliner Szenebezirk, sondern auch in Köln und Hamburg, in Stuttgart, München oder in irgendeiner Universitätskleinstadt. Und auch die ökonomischen Gegensätze zwischen traditionellem Kleinbürgertum und neuer Bourgeoisie sind vergleichbar, auch wenn sie im wohlhabenden Deutschland (noch) nicht die entsprechende Schärfe haben.

Der Erfolg der AfD, ein Unfall der Geschichte?

Wenn die Wahl von AKK zur neuen CDU-Parteivorsitzenden etwas symbolisiert, dann die Hoffnung der politischen Funktionärsebene, dass es in Deutschland schon nicht so kommen wird wie in Frankreich. Und dass der Brexit, die Wahl von Trump, der Sieg von Lega und Cinque Stelle, die Erfolge von FPÖ und AfD politische Betriebsunfälle sind, die man getrost ignorieren kann. Wenn man sich da mal nicht täuscht.

Die westlichen Gesellschaften, auch die deutsche, sind von tiefgreifenden sozialen Verwerfungen gekennzeichnet, die nicht allein auf Fragen der Wohlstandssicherung zurückzuführen sind. Vielmehr handelt es sich um einen grundlegenden und nicht ungefährlichen Kulturkonflikt zwischen dem traditionellen Kleinbürgertum und den Funktionseliten. Denn der soziale Friede nach dem Zweiten Weltkrieg gründete auch darin, dass Kleinbürgertum und Funktionseliten im Wesentlichen vergleichbare konservative Werte hatten. Dieser bürgerliche Konsens ist zerbrochen. Wie nie zuvor im Nachkriegseuropa haben sich die Funktionseliten in ihrem Denken, Fühlen und Handeln von der gesellschaftlichen Basis entfernt. Die westlichen Gesellschaften drohen zu zerfallen. Wer dazu mehr lesen möchte, schaue in das neue Buch des besagten Christophe Guilluys. Es trägt den programmatischen Titel: „No society. La fin de la classe moyenne occidentale“.

Statt sich auf diese Szenerien personell und programmatisch einzustellen, hat die CDU – „das letzte Einhorn Europas“ wie die neue Parteivorsitzende unfreiwillig treffend feststellte – trotzig und weltfremd auf Kontinuität gesetzt. Wahrscheinlich hat sie damit die letzte Chance vertan, die drohende Entwicklung aktiv zu gestalten. Frankreich ist eine Warnung.

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