AfDnee-Kampagne - Reue von rechts

Für die Landtagswahl in Hessen hat der Frankfurter Verein Demokult e.V. eine Kampagne gestartet, die Protestwähler davor warnen soll, die AfD zu wählen. Das Projekt ist ein Paradebeispiel für einen falschen Umgang mit der Partei. 

Demonstranten gegen den Wahlkampfauftakt der AfD-Hessen / dpa
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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„Ich wollte eigentlich nur mal jemanden, der auf den Tisch haut. Jetzt zahlen die Reichen weniger Steuern und ich immer noch zu viel“, sagt Karl Poschardt, Kraftfahrer, im November 2023. Und Jasmin Kulhe, „gezwungenermaßen Hausfrau“, sagt im Juni 2026: „Ich war sauer auf CDU und die Ampel. Jetzt gibt es keinen Krippenplatz für meine Kleine.“ Diese Aussagen entstammen keinen Telefongesprächen mit Menschen aus der Zukunft oder aus einer parallelen Realität. Nein, die folgenden Sätze sind Teil der Netzkampagne „AfDnee“ anlässlich der kommenden Landtagswahl in Hessen. Scheinbar gewöhnliche Bürger mit ernster Miene, abgebildet auf schwarz-weißen Fotografien, bedauern ihre Entscheidung, nur aus Protest AfD gewählt zu haben. Es ist also eine Art Reue von rechts.

Die Initiatoren der Kampagne verweisen auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, in der es heißt, dass zwar gut die Hälfte der AfD-Wähler Tendenzen hin zu einer rechtsextremen Gesinnung besäßen, die anderen 50 Prozent aber eher dem Lager der Protest- und Wechselwähler zuzuordnen seien. Und genau diese Zielgruppe möchte man nun mit der Kampagne erreichen. Man hat eine klare Botschaft gewählt: Die AfD, so der Subtext von AfDnee, vertritt nicht die Interessen dieser besonderen Wählergruppe. 

Hinter dem Projekt steht der „Verein für demokratische Bildung und Kultur – Demokult e.V.“ aus Frankfurt am Main. Der Zusammenschluss wurde 2018 gegründet. Geschäftsführer ist Philipp Jacks, der zudem auch Regionsgeschäftsführer beim DGB Hessen-Thüringen ist. Ziele des Vereins sind nach Eigenangabe die Stärkung der demokratischen Kultur sowie die Verbesserung des politischen und demokratischen Verständnisses. Auf der Webseite der AfDnee-Kampagne heißt es weiterhin, dass an der Finanzierung des Projekts unter anderem Einzelpersonen, Unternehmen, kirchliche Einrichtungen sowie auch Gewerkschaften und Sozialverbände beteiligt seien. 

Unnötiger Umweg über die AfD

Das erklärt vermutlich auch die inhaltliche Fokussierung auf sozialpolitische Themen. Doch anstatt derlei wichtige Politikfelder direkt zu adressieren, wählt man lieber den Umweg über die AfD. Ein logischer Kurzschluss: Denn wenn zu wenige Kitaplätze vorhanden oder die Steuern für Geringverdienender zu hoch sein sollten, dann ist das zunächst natürlich nicht die Schuld der AfD – einer Partei also, die weder in Hessen noch in anderen Bundesländern je in Regierungsverantwortung gestanden hat. 

Schon deshalb wirkt AfDnee wie eine Kapitulationen vor der eigenen Machtlosigkeit. Ganz so, als würde es keinen Sinn mehr haben, die in der Verantwortung stehende Regierung zu kritisieren oder sich für die gewünschte Wende in Sachen Infrastruktur und Sozialpolitik einzusetzen. Stattdessen also wird so getan, als bestünde das einzige Problem des Bundeslandes in der reinen Existenz einer Partei wie der AfD. Wenn es diese nicht mehr gäbe, so der logische Fehlschluss, dann würden ganz plötzlich und wie von Zauberhand alle sozialpolitischen Konflikte und gesellschaftlichen Defizite gelöst sein. 

Die Furcht vor dem AfD-Gespenst

Dabei sollte die Furcht vor dem AfD-Gespenst Bürger und Verbände nicht davon abhalten, Kritik an den Regierenden zu üben. Im Gegenteil. Denn während man sich in einem „Was wäre wenn“-Szenario verliert, eskalieren zeitgleich die realen Konflikte in Sachen Migration, Energiepolitik, Rentenpolitik, Sozialsystem und Digitalisierung. Die AfD ist schließlich nur Symptom einer Krankheit, an deren Anfang eher politische Realitätsverweigerung und Blindheit gegenüber den Sachlagen stehen. 

 

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Den Machern hinter AfDnee hätte es daher ganz sicher geholfen, wenn sie potentielle AfD-Wähler einmal ernsthaft danach gefragt hätten, warum sie bei der kommenden Wahl geneigt sind, eine rechtspopulistische Partei zu wählen. DGB-Gewerkschafter Philipp Jacks hätte sich dafür nur mal unter vielen seiner Mitglieder umhören müssen. Schließlich gibt es längst auch zahlreiche DGB-Mitglieder, die die AfD wählen. Stattdessen aber wurde lieber das Phrasenschwein gefüttert, um danach in einem Anflug von Selbstgerechtigkeit zu glauben, man hätte schon etwas gegen den Aufstieg des Rechtspopulismus unternommen. 

Kostenlose Wahlwerbung

Die Kampagne jedenfalls macht es sich extrem leicht und strotzt vor moralistischer Überheblichkeit. Denn eine ehrlich gemeinte Werbeaktion hätte gewiss Menschen abgebildet, die tatsächliche Sorgen zu Gehör bringen, anstatt potentielle Protestwähler paternalistisch und wie unmündige Bürger zu behandeln. Ihnen zu unterstellen, dass sie nicht die Fähigkeit besäßen, die Konsequenzen ihres Handelns zu erkennen, dürfte bei der Zielgruppe wohl nur wenig verfangen.

Denn wir sollten uns vielleicht endlich von der Sichtweise verabschieden, dass AfD-Wähler genau betrachtet nicht wüssten, was sie tun. Auch wer diese Partei wählt, hat ganz sicher seine Gründe und ist nicht aus Versehen mit dem Stift auf dem Wahlzettel ausgerutscht. Eine solche Entscheidung kann man dann gut oder schlecht finden. Den Wählern aber zu unterstellen, dass ihre Entscheidung vermutlich nur ein dümmliches Missgeschick gewesen ist, ist überheblich und führt am Ende nur zu Trotzreaktionen.

Am Ende also leistet hier ein Verein, der sich gewiss aus gut gemeinten Gründen für die Stärkung der demokratischen Kultur einsetzen möchte, eben dieser demokratischen Kultur einen gewaltigen Bärendienst. Die AfD kann sich nur bedanken für die kostenlose Wahlwerbung.

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