12-Punkte-Papier der FDP schadet der Regierung nicht - Die Stabilität der Krisen-Ampel

Die FDP hat mit ihrem Wirtschaftspapier die Koalitionspartner inhaltlich provoziert. Doch daran zerbricht die Ampel nicht, denn mit der Scheidung kann keiner der Noch-Partner etwas gewinnen, insbesondere Christian Lindner nicht.

Wie lange noch? FDP-Chef Christian Lindner mit seinen Koalitionspartnern am Kabinettstisch. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Bei Ehekrisen gibt es immer viele verschiedene Blickwinkel. Nicht nur hört man als Freund des Paares unterschiedliche Geschichten, wenn man erst mit ihr und dann mit ihm spricht. Natürlich werden auch die Kinder ein anderes Bild zeichnen, welches das ganze Dilemma entweder zu einem rosa Wunschbild macht oder – noch schlimmer – ein kindliches Schreckensszenario vorführt, welches den Eltern bei ihrer Selbstschau gar nicht bewusst war. 

In der Dauerkrise der Ampel-Ehe hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zuletzt den Vergleich von Politik und Familie gezogen und das 12-Punkte-Papier der FDP zur „Wirtschaftswende“ als „Scheidungspapier“ bezeichnet – und dabei doch eher die Perspektive des Nebenbuhlers eingenommen. Es ist offenkundig, dass CDU/CSU von dem Rosenkrieg profitieren wollen. Die unmoralischen Angebote Richtung Liberale sind deswegen so verständlich wie aussichtslos. Sie wollen die FDP in dieser Woche dazu bewegen, ihrem Antrag zuzustimmen, der weitgehend die liberale Zwölferliste kopiert. Die Union streut noch weiter Salz in die Wunden der Ampel-Ehe. Auch so kann man auf eine kriselnde Beziehung schauen. 

Liberales Wünsch-dir-was

Doch was ist tatsächlich los in diesem zu allem Überfluss auch noch potentiell polyamoren Regierungsbündnis? Tatsächlich war es nie eine echte Liebesheirat, bis auf die allseits bekannte knappe Anfangsphase des Frischverliebtseins Ende 2021. Und dann ist – allen Kritikern zum Trotz – der Modus der Dauerkrise relativ stabil. Das 12-Punkte-Papier, das die FDP jetzt aufgeschrieben hat, ist so etwas wie eine Traumliste, ein liberales Wünsch-dir-was, welches die Herzen der liberalen Wähler und der liberalen Vielleicht-Wähler erwärmen wird. Nach dem Motto: Sie können es noch! Sie wissen noch, was wirklich liberale Politik ist. Wie viel davon dann konkrete Politik wird, ist zunächst nebensächlich.

Tatsächlich ist es anders, als man zunächst denkt: Das Wirtschaftspapier stützt am Ende die Regierungskoalition womöglich sogar ein bisschen. Weil eben in einer Partnerschaft jeder auch mal ganz bei sich sein dürfen muss. In den zurückhaltenden Reaktionen der Grünen scheint ein gewisses paartherapeutisches Mitgefühl für die Ego-Eskapaden der FDP vor deren Parteitag sichtbar zu werden. Und sogar SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigt zwar die inhaltliche Kritik seiner Partei an den liberalen Vorschlägen, um doch zugleich das Ampel-Bündnis als stabil zu bezeichnen und als „das richtige“. Es ist auch Kühnert, der indirekt darauf verweist, dass eine neue Braut von der anderen Straßenseite bei Lichte betrachtet zwar andere, aber dann auch neue Sorgen bereiten würde.

Man könnte also das 12-Punkte-Papier als das Gegenteil dessen ansehen, als es derzeit oft gesehen wird. Es markiert nicht die Schwäche, sondern die Resilienz der Ampel. Diese Legende, die FDP agiere zu sehr als Opposition in der Regierung, verkennt, dass politisch gesehen nur die unterschiedliche Profilierung der Einzelnen letztlich das Ganze formen kann. Hier ist eine Regierung beisammen, die schon so viele Krisen gemeistert (und so viel Mist fabriziert) hat, dass sie darin geübt zu sein scheint, dem jeweiligen Partner seine Eskapaden durchgehen zu lassen. Es ist vielmehr der Druck von außen, der der Ampel zu schaffen macht, die desolate Haushaltslage, die katastrophalen Wirtschaftsdaten und die massiv schrumpfende Wählerzustimmung. Doch im Auge des Orkans hält man (noch) zusammen. Auf dass man nicht untergehe. Der Sturm eint.

Ampel-Shutdown und Lindner-Aus

Es wird in der öffentlichen Debatte suggeriert, dass FDP-Chef Christian Lindner die Wahl zwischen Pest und Cholera habe. Bleibt er in der Ampel, fliegt ihm seine Partei auseinander, da er die liberalen Ideen zwar aufschreiben, aber nicht umsetzen kann. Verlässt er die Ampel, steht seine Regierungsfähigkeit in Frage, und die Perspektive bleibt ungewiss, ob seine Partei nach gescheiterter Ampel erneut Tritt fassen kann. Tatsächlich ist die Option eines Ampel-Exits zunächst doch viel unwahrscheinlicher und risikoreicher, als es erscheinen mag. Christian Lindner hat seine Partei in die Ampel geführt, es wäre auch sein persönliches Scheitern, wenn er das Bündnis noch nicht mal vier Jahre durchhält. Wäre ein Ampel-Shutdown nicht auch ein Lindner-Aus?

Christian Lindner hat 2017 die Jamaika-Verhandlungen mit CDU und Grünen platzen lassen. Was für eine strategische Perspektive bleibt, wenn auch für die Ampel gelten würde, was damals galt: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“? Auf die Avancen der Union antwortet Linder jetzt: „Ich mache nicht Koalitionsspielchen – mir geht’s darum, in einer schwierigen Wirtschaftslage unseres Landes Impulse zu setzen.“ Linders Chance wird sein, dass am Ende die Ampel doch noch irgendwie besser aussieht als gedacht. Der Ampel-Exit ist der Traum seiner Widersacher – auch in der Partei, aber für ihn wahrscheinlich strategisch keine wirklich nützliche Option.

 

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Das bedeutet nicht, dass die Ampel auf jeden Fall bis zum regulären Ende im Herbst kommenden Jahres durchhält. Doch der Koalitionsbruch als strategischer Ausweg für Lindner ist nicht wirklich vorhanden bis extrem unwahrscheinlich. Die Ampel wird nur dann auseinander gehen, wenn das Haus wirklich einstürzt, wenn es wirklich einen Bruch gibt, wenn tatsächlich keine Einigung mehr möglich ist, gerade obwohl alle sie wollen. Und an diesen schwierigen Punkten gerät die Ampel nicht durch ein FDP-Papier, sondern nur durch harte Fakten – wenn die Koalition den Haushalt beraten muss.

Der Haushalt 2025 als steilste Klippe

Derzeit erscheint diese Aufgabe tatsächlich wie die Quadratur des Kreises. Wie will die Ampel ohne massive Kürzungen im Sozialetat (das wollen Grüne und SPD nicht) und ohne Neuverschuldung durch erneutes Aussetzen der Schuldenbremse durch Erklärung einer Notlage (das will die FDP nicht) einen verfassungskonformen Haushalt 2025 aufstellen? Experten halten das für ziemlich unmöglich. Selbst wenn Haushaltstechniker erklären, dass es viele kleine Stellschrauben gäbe, hier ein flickgeschustertes Bundesbudget hinzufrickeln, scheint fraglich, ob die ramponierte Ampel so irgendwie halbwegs aufrecht in einen Bundestagswahlkampf ziehen kann. Also doch lieber ein Ende mit Schrecken anstatt eines Schreckens ohne Ende?

Die Kinder sind bei Scheidungen immer die Leidtragenden, so sind es bei der Regierung die Regierten, die unterwegs kaum Einfluss auf den Gang der Dinge haben, die sie betreffen. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel weist also, ganz Staatsmann, darauf hin, dass es natürlich um das Wohl des Landes gene und nicht um die Partei. Und schon gar nicht um Lindner, könnte man böse ergänzen. „Das ist weder ein Papier zum Vergraulen der Koalitionspartner noch eine PR-Nummer für den Parteitag“, sagte Vogel. „Die Frage ist nicht, was die FDP will, sondern die Frage ist, was für unser Land gelingt“, verkündet der Partei-Vizechef. So würden die Vorschläge der Liberalen das Land stärken. Und es scheint gewiss, das nach einer tatsächlichen Ampel-Scheidung neue Akteure nach vorne drängen, um sich um die Regierten zu kümmern, gegen die bisherigen Erziehungsberechtigten, die es offenbar nicht gebracht haben. 

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