
- Politikversagen und Feindbildsuche
In der Corona-Debatte dreht sich das Land seit 20 Monaten im Kreis. Ob Schnelltests, Impfpflicht oder 2G – was Politiker gestern noch lauthals dementierten, fordern sie heute ganz offen. Das Vertrauen der Skeptiker lässt sich auf diese Weise nicht zurückgewinnen.
Die Schwerkraft des Geistes lässt uns nach oben fallen. Die französische Philosophin Simone Weil hat diese so luftige wie poetische Sentenz geprägt – zu einer Zeit, in der sich der Geist längst in der Defensive befand. Man kann diesen Satz aber vielleicht auch andersrum denken: Die Trägheit der Geistlosigkeit ließe uns dann nach unten taumeln. Ein garstiger, ein gänzlich unschöner Gedanke; doch wie wahr auch dieser sein könnte, das ließe sich mit einem einfachen Blick auf den gegenwärtigen Stand der Corona-Debatte belegen: Denn egal ob es um die anhaltende Not auf den Intensivstationen geht, um den Umgang mit Schnelltests oder Ungeimpften, um Booster, 2G oder all die Zahlen und Studien, die man um Gottes Willen nicht wahrhaben will: Wir drehen uns im Kreis; und das seit nun schon 20 Monaten.
Kaum etwas, das nicht im Debakel endet. Beispiel Impfkampagne: Während Politiker wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) noch im Mai 2020 lauthals proklamierten, dafür eintreten zu wollen, dass „derjenige, der für sich eine Impfung ausschließt, nicht gezwungen werden kann“, sind es dieselben Politiker, die heute ihr Geschwätz von gestern mit schnell gezimmerten Gegenreden Lügen strafen: „Wir brauchen 2G und wir brauchen vor allem ein einheitliches Agieren und Sprechen der Politik“, so Kretschmer letzte Woche in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Geschwätz von gestern
Gestern noch der zahme Wolf im Fell des Bürgerrechtlers, und heute schon der Bürgerschreck selbst. Manch ein Minister oder Ministerpräsident verkörpert dieser Tage Dr. Jekyll und Mr Hyde, Licht und Schatten, ja Papst und Gegenpapst in einer Person; eine schier unhaltbare Position. Und so haben die Reden und Maßnahmen der Politik während der zurückliegenden Krisenmonate eine Halbwertszeit erreicht, die allenfalls noch mit der von Schokodrops in einem durchschnittlichen Kindergarten vergleichbar ist.
Beispiel Corona-Schnelltests: Während der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch Anfang Oktober gegenüber der Funke-Mediengruppe davon sprach, dass es die „Fairness vor dem Steuerzahler“ geböte, die bis dahin noch kostenlosen Bürgertests abzuschaffen, macht die öffentliche Meinung keine vier Wochen später auf dem Absatz wieder kehrt. Heute hüh und morgen hott.
Unerschöpflicher Wille zur Spaltung
Ist es bei so viel Konzept- und Planlosigkeit eigentlich wirklich verwunderlich, wenn all die Impfskeptiker und Maßnahmenkritiker – je nach derzeit gültiger RKI-Statistik sind das immerhin ein Viertel bis ein Drittel der deutschen Bevölkerung – nicht jenes Vertrauen in die politisch Handelnden zurückgewinnen, das für das Bestehen einer derartigen Gesundheitskrise unbedingt nötig wäre? Doch statt den Bürger endlich ernst zu nehmen und vergangene Fehler offen zu kommunizieren, läuft Deutschland in diesem Herbst lieber ein weiteres Mal gegen die immer gleiche Wand. Warum auch etwas anderes tun, wenn einen das bisher Getane nicht weiterbringt?