Ukraine-Krieg - Moskau stoppt Getreideabkommen

Russland wird das Getreideabkommen mit der Ukraine, das heute ausläuft, nicht verlängern - trotz Protesten aus afrikanischen Staaten. Ausgerechnet der türkische Präsident Erdogan könnte Putin einen Strich durch die Rechnung machen.

Erntemaschinen auf einem ukrainischen Weizenfeld / dpa
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Wladimir Putin tut weiter das, was er schon seit mehr als zwei Jahrzehnten tut: Er versucht, mit Drohungen und Erpressung die von ihm definierten Interessen Moskaus durchzusetzen. Aus diesem Grund hat der Kreml seit Wochen erklärt, dass er das Getreideabkommen mit der Ukraine nicht verlängern werde. Das Abkommen, das heute Abend ausläuft, ermöglicht den Transport von Agrarerzeugnissen aus Odessa und zwei weiteren ukrainischen Häfen in der Nordwestecke des Schwarzen Meeres, zu den Hauptabnehmern gehören Länder am Horn von Afrika. Ohne die Lieferungen aus der Ukraine würde sich dort die Versorgungslage dramatisch verschlechtern; diesen Ländern, die ohnehin unter einer Dürre leiden, könnte eine Hungerkatastrophe drohen. 

Die russische Kriegsmarine kontrolliert das Schwarze Meer, Putin droht, ukrainischen Schiffen die Durchfahrt zu blockieren. In der Tat kann die Passage leicht wieder vermint werden, so wie dies vor Unterzeichnung des nun auslaufenden Abkommens vor genau einem Jahr der Fall war. Damals hatten UNO-Generalsekretär António Guterres und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zwischen Moskau und Kiew vermittelt

Moskau verlangt nun die Aufhebung von Sanktionen, die russische Agrar- und Chemieprodukte sowie mehrere Banken betreffen. Die westlichen Staaten haben Bereitschaft signalisiert, über die Lieferung russischer Lebensmittel für Afrika zu verhandeln, doch beim Bankensektor will man aus guten Gründen hart bleiben.  

Erdogan hat einen spektakulären Westschwenk vollzogen

Putin versucht nun, diesen Widerstand zu brechen. Er ignorierte deshalb nicht nur die Aufforderung von Guterres und Erdoğan, der Verlängerung des Abkommens zuzustimmen, sondern auch die geradezu flehentlich vorgetragenen Bitten einer Delegation aus sieben afrikanischen Staats- und Regierungschefs, die ihm vor einem Monat im Kreml ihre Aufwartung machten.  

Offenbar sieht sich der Kremlchef überdies auch unter Druck, angesichts der schweren Rückschläge der letzten Monate noch einmal Stärke beweisen zu müssen: Die russischen Streitkräfte sind längst in der Defensive, die Finnen sind der Nato beigetreten, die Schweden werden in Kürze folgen. Hinzu kommt sein offenkundiger Ansehensverlust im eigenen Land nach der kuriosen Rebellion der Wagner-Söldner

 

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Den schwersten Schlag aber hat ihm ausgerechnet Erdoğan versetzt: Dieser hat einen spektakulären Westschwenk vollzogen. Er hat wohl verstanden, dass seine selbstgewählte Rolle als Vermittler ausgespielt ist, weil Putin an Deeskalation nicht interessiert ist. In überraschender Offenheit hat Erdoğan sich für einen Nato-Beitritt der Ukraine ausgesprochen. 

Eine Schwächung oder gar Niederlage der Ukraine liegt nicht im Interesse Ankaras. Denn dies würde bedeuten, dass Moskau die gesamte Nord- und Ostküste des Schwarzen Meeres kontrolliert, somit in dieser Region eine strategische Dominanz entwickelt. Ebenso sind Russen und Türken wirtschaftspolitisch Rivalen in den ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und in Mittelasien sowie militärstrategische Rivalen in Syrien. Hinzu kommt, dass beide Länder historisch eine Art Erbfeinde waren, Stichwort: Balkankriege und Krimkrieg im 19. Jahrhundert.  

Der Westen hat eigentlich die besseren Karten

In der Türkei ist die Annexion der Krim auf weiten Protest gestoßen; die Krimtataren, deren Führer nun schweren Repressalien durch die russischen Besatzer ausgesetzt sind, sofern sie nicht geflohen sind, galten den Türken immer als nahe Verwandte. 

Der Westen, an den sich die Türkei nun wieder annähert, hat in dem Konflikt um das Getreideabkommen eigentlich die besseren Karten in der Hand. In Kiew wird die Frage gestellt, warum nicht Kriegsschiffe westlicher Staaten die ukrainischen Getreidefrachter eskortieren könnten. 

Völkerrechtlich ist diese Möglichkeit gegeben, denn die Passage führt nur durch ukrainische Hoheitsgewässer und die offene See bis zum Bosporus. Kein russisches Kriegsschiff, kein russisches Jagdflugzeug würde es wagen, einen solchen Geleitzug anzugreifen. Und in Afrika, wo einige Regierungen derzeit mit Moskau oder Peking liebäugeln, würde der Westen wichtige Punkte machen. Es wäre ein weiterer Schritt, den Brandstifter Putin einzuhegen. 

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