Folgen des Ukraine-Kriegs - Das abrupte Ende einer wertegeleiteten Außenpolitik

Ende 2021 kamen zaghafte Diskussionen darüber auf, was wertegeleitete Außenpolitik bedeuten würde. Diese hat sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Doch der Ukraine-Krieg und seine Folgen zeigen: Deutschland braucht erstmal eine innen- wie außenpolitische Inventur. Das Ziel sollte sein, eine wertegeleitete Innenpolitik mit einer kompetenten Außenpolitik zu verbinden.

Wirtschaftsminister Robert Habeck trifft den katarischen Energieminister Saad Sherida Al-Kaabi / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Anfang Februar 2022 sagte der ehemalige Kanzlerinnenberater Christoph Heusgen im Interview mit dem Tagesspiegel auf die Frage, was sich denn international aus deutscher Sicht geändert habe, unter anderem: „Die USA sind stärker mit ihrer Innenpolitik beschäftigt und weniger mit der Sicherheit ihrer Verbündeten.“ Zuvor schon hatte er in einem Interview mit dem Spiegel geäußert, dass er vom „Westen“ nicht mehr sprechen wolle, den Begriff habe er aus seinem Vokabular gestrichen.

Das lässt erkennen, welch tiefe Zäsur die Zeitenwende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bedeutet. Denn die USA sind in einem hohen Maß bemüht, die Sicherheit der Verbündeten zu gewährleisten und der Westen ist mit neuer normativer Kraft zurück. Und genau in der Spannung beider Prozesse verbergen sich die Fragen an eine wertegeleitete Außenpolitik, die sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgenommen hatte.

Die öffentliche Debatte ist noch nicht bereit

Ende 2021 kamen zaghafte Diskussionen darüber auf, was wertegeleitete Außenpolitik denn bedeuten würde. Über diese Diskussion ging dann mit großen Schritten die Realität hinweg. Denn mit dem russischen Angriff auf die Ukraine waren die Position der Grünen in der Regierung und die amerikanische Außenpolitik nahezu deckungsgleich. Bundeskanzler Scholz war abgetaucht, die FDP unsichtbar, weshalb das reichte, die Situation zu definieren. Auch als VW eine staatliche Bürgschaft für Investitionen in China versagt wurde, entsprach das dieser Linie.

 

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Die Suche nach alternativen Energielieferanten, die Bundesminister Habeck nach Katar führte, und die Reise von Präsident Biden nach Saudi-Arabien führten kurze Zeit später ins Bewusstsein, dass damit die Frage nach politischen und wirtschaftlichen Interessen nicht völlig aufgehoben wurde. Aus der akademischen Diskussion, die in der internationalen Grenzsituation des Kriegs nahezu rein gespiegelt wurde, wird in den nächsten Monaten und Jahren eine kontinuierliche Suche nach dem politischen Selbstverständnis Deutschlands in den internationalen Beziehungen angesichts der bestehenden Interessenlage werden. Dafür ist die öffentliche Debatte noch nicht bereit.

Nicht alle Staaten vertreten dieselben Werte

Dabei besteht grundsätzlich zwischen der Interessenlage eines Landes und seinem normativen Anspruch kein kategorischer Ausschluss des entweder-oder: Entweder die Bundesregierung verfolgt nationale Interessen oder demokratische Werte. So ist es nicht, und auch nicht so, dass die Betonung liberaler Menschenrechte immer nur ein Feigenblatt fürs heimische Publikum sein muss, während international harte Interessen vertreten werden. Um die Handlungsmöglichkeiten zu ermessen, stehen zwei Einsichten an.

Erstens vertreten nicht alle Staaten dieselben Werte. Es gibt aus religiösen, historischen, kulturellen und politischen Gründen unterschiedliche Wertorientierungen. Deshalb muss der Bereich legitimer Unterschiede und Eigenheiten von den Handlungen abgegrenzt werden, die nicht toleriert werden können. Die Charta der Vereinten Nationen ist hier ein guter Maßstab, vor allem das Verbot von Androhung und Anwendung von Gewalt gegenüber anderen Staaten. Gewalt nach außen ist geächtet. Für die Ausgestaltung der sozio-politischen Ordnungen im Innern der Staaten muss ein breiterer Gestaltungsraum hingenommen werden.

Zweitens können Staaten ihre normativen Vorstellungen umso effektiver vertreten, je handlungsfähiger sie sind. Das gilt politisch, diplomatisch, ökonomisch, ökologisch und militärisch. Staaten die darauf verzichten, effektive Handlungsfähigkeiten auszubilden (wie Deutschland in den letzten 16 Jahren) können zwar hehre Reden halten, aber keinen nachhaltigen Einfluss nehmen. Denn sie haben weder Anreize noch Abhaltefähigkeiten im Verhältnis zu anderen Staaten, die ja ebenfalls ihre normativen Vorstellungen haben, zu bieten.

Eine Botschaft an die amerikanische Gesellschaft

Präsident Bidens Zusammentreffen mit dem saudi-arabischen Kronprinz Mohammed al Salman reflektierte diese Spannung und löste sie – insbesondere durch den saudi-arabischen Außenministers Adel al Dschubeir – auf. Das war auch eine Botschaft an die amerikanische Gesellschaft, die lautet: Wir haben weltweite Interessen und können nicht immer die Menschenrechtspolitik über alle anderen Bereiche stellen, auch wenn wir sie stets benennen.

Auf Deutschland kommt die Diskussion über wertegeleitete Außenpolitik noch zu. Dabei wäre es doch schon viel erreicht, wenn eine wertegeleitete Innenpolitik mit einer kompetenten Außenpolitik verbunden wäre. Denn angesichts dessen, was über die Entscheidungsfindung im Bundeskanzleramt und anderen Ministerien aus den letzten Jahren inzwischen bekannt wurde, gab es vor allem anderen ein Kompetenzproblem. Diejenigen, die sich Werteentscheidungen für die deutsche Gesellschaft qua Amt zutrauten, waren damit offensichtlich entweder überfordert oder nachlässig oder unaufmerksam, weil vor allem mit dem eigenen Fortkommen befasst.

Handlungsspielraum wird kräftig eingeschränkt

Das erklärt nicht die gesamte Malaise, in die Deutschland geführt wurde. Aber als großer Staat in Europa, dem Führungsansprüche attestiert werden, ist es hinderlich, wenn die Gesellschaft für die Energieversorgung von Russland, für das wirtschaftliche Wachstum von China und für die Gewährleistung der Sicherheit von den USA abhängig ist. Das schränkt den Handlungsspielraum kräftig ein, eben auch denjenigen für eine wertegeleitete Außenpolitik. In diese Abhängigkeiten ist Deutschland nicht gerutscht, sondern sie sind bewusst entschieden und herbeigeführt worden.

Deshalb wäre es sinnvoll, vor der Debatte über wertegeleitete Außenpolitik eine politische Inventur für eine wertegeleitete Innenpolitik vorzunehmen und die Kompetenzen für außenpolitisches Handeln zu erwerben, bevor die diplomatische Sprache zu fordernd in Bezug auf die eigenen Handlungsfähigkeiten erschallt.

Hören Sie hierzu auch den Cicero-Podcast mit Guido Steinberg

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