Ukraine-Gipfel in Ramstein - Russland erobert, Deutschland wartet ab und prüft

Beim Ukraine-Gipfel hat US-Verteidigungsminister Austin die Verbündeten dazu aufgefordert, ihre Militärhilfe für das Land zu verstärken. Die Bundesregierung kündigt derweil an, die Verfügbarkeit von Leopard-2-Panzern zu prüfen. Olaf Scholz setzt damit seine Rolle als Zauderer fort – eine internationale Führungsrolle liegt für ihn weiter entfernt denn je.

Zum Ukraine-Gipfel ist auch der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (l.) nach Ramstein gereist; der ukrainische Präsident Selenskyj meldete sich per Video / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Während von der deutschen Bundesregierung zu hören ist, es gebe kein Junktim zwischen der Lieferung amerikanischer und deutscher Kampfpanzer an die Ukraine, verkünden die Briten: Das Vereinigte Königreich wird als erstes westliches Land moderne Kampfpanzer für eine Kompanie zur Verfügung stellen, außerdem Batterien selbstfahrender Artilleriegeschütze.

Zitat des britischen Verteidigungsministers Ben Wallace: „Unsere gemeinsame Entschlossenheit kann und wird sich als entscheidend erweisen und der mutwilligen Gewalt und dem menschlichen Leid, das wir mit ansehen müssen, ein Ende setzen. Im Jahr 2023 sind wir entschlossener als je zuvor, wir werden die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig ist.“ Dagegen die deutsche Position, formuliert vom neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD): Er habe den Auftrag erteilt, Verfügbarkeit und Stückzahl von Leopard-2-Panzern zu prüfen; „wir bereiten uns vor für den Fall der Fälle“. Die Entscheidung über eine Lieferung werde „so bald wie möglich getroffen“.

Die Frage ist eben nur, was das denn sein soll, dieser „Fall der Fälle“. Eine Weisung aus den Vereinigten Staaten? Ein gemeinsam gefasster Beschluss der Nato-Länder beziehungsweise der Ukraine-Unterstützergruppe? Der Segen von SPD-Pazifisten wie Rolf Mützenich?

Dass die „Leos“ jedenfalls dringend gebraucht werden im Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren, daran hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem am Donnerstagabend ausgestrahlten ARD-Interview noch einmal sehr eindringlich erinnert und Deutschlands zögerliche Haltung bei der Frage nach möglichen Kampfpanzer-Lieferungen scharf kritisiert. „Ihr seid doch erwachsene Leute. Sie können gerne noch sechs Monate lang so reden, aber bei uns sterben Menschen – jeden Tag.“ Um dann hinzuzufügen: „Im Klartext: Kannst du Leoparden liefern oder nicht? Dann gib‘ sie her!“ Aber der Bundeskanzler duckt sich (vorläufig) schon wieder weg.

Deutschlands seltsam verdruckste Haltung

Warum teilen die britische Regierung und der deutsche Bundeskanzler zwar die Auffassung, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, ziehen daraus aber offensichtlich unterschiedliche Schlüsse, was die militärische Unterstützung der Ukraine angeht? Denn es wird ja dieser Tage wieder einmal sehr deutlich, dass Scholz hier (gelinde gesagt) äußerst vorsichtig agiert – so, wie er es eigentlich schon seit Beginn dieses nun bereits elf Monate währenden Überlebenskampfes eines souveränen Staats auf europäischem Boden tut.

Klar ist: Wenn die Deutschen mit ihrer verdrucksten Haltung die Rolle des „Weltpolizisten“ (ein dummes Wort, aber das soll in diesem Zusammenhang egal sein) innehätten, dann stünden russische Verbände längst in Kiew. Ob damit der Sicherheit der Bundesrepublik mehr gedient wäre als es aktuell der Fall ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Es mag gute Gründe geben für die Zögerlichkeit des Bundeskanzlers: historische oder die Angst vor einer Eskalation bis hin zum Atomkrieg; der Wunsch, es sich mit Russland nicht zu verscherzen, weil man ja auch nach dem Krieg irgendwie wieder „zusammenkommen“ müsse (warum eigentlich?). Vielleicht glaubt Olaf Scholz auch, die deutsche Bevölkerung an eine weitergehende militärische Unterstützung der Ukraine erst langsam gewöhnen zu müssen, und lässt anderen Nationen deshalb lieber den Vortritt. Möglicherweise fürchtet er auch den Widerstand einiger Genossen in der Bundestagsfraktion. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus alledem.

Führungsstärke lässt sich aus diesem Potpourri jedenfalls nicht ablesen; Deutschland fehlt es erkennbar an einem geopolitischen Plan. Oder unser Regierungschef hat zwar einen Plan, behält ihn aber für sich und gibt stattdessen lieber ergebnisoffene Statements vor der Öffentlichkeit ab, nach dem Motto: erst wegducken, dann abwarten, notfalls irgendwann sogar handeln. Gewissermaßen die Methode Quintus Fabius Maximus Verrucosus, genannt „Cunctator“ – der ja bekanntlich durchaus seine Erfolge hatte.

Britische Logik

Aber kehren wir noch einmal zur britischen Perspektive zurück. Dort folgt man einer Logik, die zumindest nachvollziehbar und plausibel ist. Sie lautet wie folgt: Die Ukraine ist von ihrem Nachbarland überfallen worden und seither das Opfer von unfassbarer, unmenschlicher Gewalt – versuchte Genozide an der Zivilbevölkerung eingeschlossen. Wenn Putin und seine Soldateska damit durchkommen sollten, dann würde sich der Kreml bestätigt fühlen und mit hoher Wahrscheinlichkeit ein paar Jahre später noch andere Länder ins Visier nehmen (die Balten gehören ja nicht ohne Grund zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine). Zumal, wenn der sogenannte Westen sich zögerlich zeigt und das Moskauer Regime gewähren lässt, weil man sich nicht (oder zumindest nicht schnell genug) darauf einigen kann, den Russen etwas entgegenzusetzen in Form von Militärhilfe für ein überfallenes Land mit Außengrenzen zur EU. Die Geschichte wird zeigen, ob die Briten richtig lagen – aus heutiger Sicht spricht jedenfalls einiges dafür, dass die Sicherheit in Europa nicht wächst, wenn wir die Ukraine im Regen stehen lassen. Sondern exakt das Gegenteil.

Es mag durchaus Gründe geben, dieser Sichtweise nicht zu folgen. Aber dann sollte man sich auch nicht scheuen, die Konsequenzen in aller Deutlichkeit zu benennen. Wer westliche Militärhilfe in Zweifel zieht, der gibt damit die Ukraine dem russischen Aggressor preis und akzeptiert letztlich die Vernichtung einer souveränen Nation in unmittelbarer Nachbarschaft. Das ständige Geschwafel von wegen irgendwelcher Verhandlungslösungen dient in diesem Zusammenhang lediglich der Alimentierung des eigenen guten Gewissens.

Putin hat nämlich schon von Anfang an sehr klar gemacht, dass es für ihn nichts zu verhandeln gibt. Ohnehin gilt: Worüber genau soll man mit jemandem verhandeln, der sein Nachbarland erklärtermaßen von der Landkarte tilgen will? Worüber? Dass die Zivilbevölkerung verschont bleibt? Soll Russland zusichern, nach der Ukraine in keine weiteren Länder mehr einzufallen? Soll man Putin die Ostukraine „anbieten“ in der Hoffnung, damit wäre sein Hunger gestillt? Und wer eigentlich sollte das dann tun? Nein, es ist vielmehr so: Je konkreter man die Option „Verhandlungen“ durchleuchtet, desto weniger erscheint sie als praktikable Lösung zur Beendigung dieses Kriegs. Zumindest in der jetzigen Situation.
 

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Heute also das vorläufige Ergebnis des Treffens der Ukraine-Unterstützer in Ramstein: Deutschland bereitet sich darauf vor, „für den Fall der Fälle“ doch noch Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Das zu einem Zeitpunkt, wo die Russen alles an die Front werfen, was das Arsenal hergibt oder gestern noch als Schwerverbrecher hinter Gittern saß. Im Kreml ist man sich derweil noch nicht einig, ob westliche Kampfpanzer für die Ukraine „bedeutungslos“ wären (so Kremlsprecher Dmitri Peskow) oder ob mit deren Lieferung die „Endlösung der russischen Frage“ beabsichtigt sei (Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch). Die Ukrainer dagegen sind sehr wohl der Auffassung, dass solches Gerät ihnen dabei helfen würde, den russischen Aggressor aufzuhalten – und sie planen offenkundig auch nicht, mit Leoparden gen Moskau vorzurücken.

Völlig legitimer Abwehrkampf

Fassen wir zusammen: Die Ukraine benötigt westliche Kampfpanzer für ihren völlig legitimen Abwehrkampf; Länder wie Polen oder die baltischen Republiken würden gern liefern, die Briten tun es demnächst. Washington ruft zu verstärkter Militärhilfe auf (stellt selbst freilich, offenbar aus technologischen und logistischen Gründen, keine Abrams zur Verfügung). Und Deutschland wartet erstmal ab und lässt „die Verfügbarkeit von Leopard-2-Panzern prüfen“.

Verfügbarkeit prüfen? Das klingt nach elf Monaten Ukrainekrieg wahrlich wie ein schlechter Witz.

Wie gesagt: Es mag gute Gründe für diese Zögerlichkeit geben, aber weder werden diese Gründe von Scholz und Pistorius benannt, noch drängen sie sich auch ohne explizite Erklärungen förmlich auf.

Im vorigen Sommer tat sich SPD-Chef Lars Klingbeil übrigens mit der Aussage hervor, Deutschland müsse den Anspruch einer internationalen Führungsmacht erheben. Der Bundeskanzler scheint eine recht eigenwillige Vorstellung davon zu haben, wie man sich für eine derartige Rolle ins Spiel bringt.

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