Spanien und Erdgasimporte - Der Traum vom europäischen Energiehub

Spanien hält nichts von den Energiesparplänen der Europäischen Union. Stattdessen will es importiertes Erdgas an andere EU-Länder weiterexportieren und dafür seine Pipeline-Infrastruktur ausbauen. Mit dem Hauptlieferanten Algerien gibt es jedoch diplomatische Probleme. Daher kommt inzwischen ein Viertel der spanischen Gasimporte aus Russland.

Energie aus der Wüste: Erdgas-Pipeline in Algerien / dpa
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Reiner Wandler ist Spanien-Korrespondent der taz.

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„Flexibilität“ mahnt die spanische Vizeregierungschefin und Ministerin für den Ökologischen Umbau, Teresa Ribera, an, wenn es um das Zurückschrauben des Gasverbrauchs in der Europäischen Union geht. Von pauschalen Einsparungen von 15 Prozent, wie das die EU-Kommission vorsieht, will sie nichts wissen – genauso wenig wie übrigens zwei weitere Länder im Süden der Union: Griechenland und Portugal. Jedes Land habe seine spezifische Energiesituation, mahnen sie an. Nicht sparen, weil es die großen Verbraucher verbockt haben, so könnte diese Forderung kurz und bündig umschrieben werden.

„Jedes Land ist verschieden“, sagt Ribera. „Wir sind solidarisch und werden dies auch weiterhin sein“, verspricht sie und zeigt sich gewillt, auf einen europäischen Kompromiss hinzuarbeiten. Sie verspricht einen Weiterverkauf eines Teiles des Gases, das in Spanien ankommt. „Tatsächlich wurden im letzten Monat 20 Prozent des von uns importierten Gases direkt oder indirekt in andere EU-Mitgliedstaaten exportiert“, erklärt Ribera. Spanien soll zum Energiehub für ganz Europa werden. Statt zu sparen, will Madrid die besonders gute Infrastruktur, die Spanien hat, in den Dienst der anderen stellen.

Sechs der 23 Anlagen in der EU, die aus Flüssiggas, das per Schiff geliefert wird, wieder normales – für den Endkunden bestimmtes – Gas machen, befinden sich in Spanien. Und das Land ist mittels zweier Pipelines direkt an die Erdgasfelder in der algerischen Sahara angeschlossen. Geradezu ideal um Erdgas-Weiterverkäufer im großen Stil zu werden.

Bis 2028 sollen drei neue Pipelines gebaut werden

Wie der Energiehub Spanien aussehen könnte, darauf geben die letzten Monate einen Vorgeschmack: Spanien verkaufte im Juni dreimal so viel Erdgas an den Nachbarn Frankreich wie noch vor einem Jahr. Und es könnte noch mehr sein, würde Spanien über mehr Anschlusskapazitäten Richtung Norden verfügen. Nur zwei kleine Gaspipelines – eine entlang des Mittelmeeres, die andere entlang des Atlantiks – lassen Erdgas nach Frankreich und damit Europa fließen. Sie haben nur eine Kapazität von sieben Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Allein Nord Stream 1 kann pro Jahr bis zu 59 Milliarden Kubikmeter transportieren.

Das soll sich jetzt ändern. Das Erdgasunternehmen Enagas will bis 2025 eine dritte Pipeline vom nordostspanischen Katalonien über die Pyrenäen nach Südfrankreich bauen. Zwei weitere sollen Spanien bis 2028 mit Portugal und Italien verbinden. So steht es im vor wenigen Tagen veröffentlichten „Strategieplan 2022–2030“ des Unternehmens. Rund 4,75 Milliarden Euro will Enagas investieren.

 

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Das ganze soll – so hofft das Unternehmen - natürlich von der EU mitfinanziert werden. Deshalb sollen die neuen Pipelines nicht nur Erdgas transportieren können, sondern auch grünen Wasserstoff. Der soll in Spanien mit Strom aus riesigen Solarfeldern produziert werden, so die Vision. Damit wäre das Projekt Teil der Umstellung Europas auf erneuerbare Energien und damit förderungswürdig. 30 bis 40 Prozent der Gesamtkosten erhofft sich Enagas aus Brüssel. Von dort gibt es noch keine Antwort. Umweltministerin Ribera will die Pläne von Enagas fördern, allerdings nur dann, wenn dies auch Europa tut.

Algerien drosselte den Erdgas-Export nach Spanien

Doch die fehlende Anschlusskapazität ist nicht das einzige Problem. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez hat ausgerechnet den Spaniens Hauptlieferanten für Erdgas, Algerien, verärgert. Er näherte sich dem Nachbarn und Erzrivalen Algeriens, Marokko, zu stark an, erkannte gar die Hoheit der Marokkaner über die besetzte ehemalige spanische Kolonie Westsahara an. Algerien unterstützt hingegen die Befreiungsbewegung Polisario, die – wie auch die Vereinten Nationen – ein Referendum über die Unabhängigkeit des umstrittenen Landstriches will.

Algerien drehte bereits vor einem Jahr den Hahn an einer der beiden Pipelines – die durch Marokko läuft – ab, nachdem der Waffenstillstand zwischen Polisario und Marokko brach. Und bei der anderen – direkt durchs Mittelmeer – herrscht so etwas wie Vertrag nach Vorschrift. Spanien deckt die ausbleibenden Lieferungen mit Flüssiggas aus den USA und auch aus Russland.

Die russische Gazprom schickte im Juni per Schiff 24,4 Prozent dessen, was Spanien importiert. Vor einem Jahr waren es gerade einmal um die acht Prozent. Algerien hält heute nur noch 21,6 Prozent am Import. Vor dem Westsaharakonflikt waren es über 50 Prozent.

Ein nicht unerheblicher Teil des Gases, das nach Frankreich verkauft wird, dürfte damit auch aus Russland kommen. Und während Spanien – bisher so etwas wie ein Premiumkunde bei den Algeriern – die Gaspreise mit dem dortigen Staatsunternehmen Sonatrach neu verhandeln muss, schloss Italien – das ebenfalls über eine Pipeline nach Algerien verfügt – neue, sehr günstige Verträge. Sollte Enagas die Pipeline von Spanien nach Italien tatsächlich bauen, könnte dort bald schon algerisches Gas fließen, allerdings in umgekehrter Richtung, als sich das Madrid vorstellt.

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