EU-Außenministertreffen und Russland - Die Ordnung des Kontinents

Russlands Krieg in der Ukraine ist in Wahrheit ein Krieg um die Vorherrschaft in Europa. Die EU muss sich Putins imperialistischen Absichten geschlossen entgegenstellen und ihre geopolitischen Interessen verteidigen.

Annalena Baerbock auf dem EU-Außenministertreffen im Gespräch mit Josep Borrell / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Noch immer scheinen nicht alle EU-Regierungen verstanden zu haben, was Russland mit seinem Krieg gegen die Ukraine bezweckt. Denn sie verhalten sich so, als wären sie hilfsbereite Nachbarn, die die Ukraine in ihrer Verteidigung unterstützen, könnten sonst aber eine sichere Distanz zu Russlands politischen und militärischen Ambitionen halten.

Dabei zielt Russlands Krieg von Beginn an nicht nur auf die Vernichtung der Ukraine und die Einverleibung des Landes (zusammen mit Belarus, das sich in sein Schicksal gefügt hat), sondern auf die politische Dominanz über Europa. Russland will die EU als zukünftige Ordnung des Kontinents ablösen; Imperialismus statt Integration. Energieabhängigkeit und militärische Drohungen als Mittel der Wahl sollen, sobald die USA sich von den zerstrittenen Europäern abgewandt haben, Russlands Dominanz sichern. Stalins Einfluss reichte nur bis Eisenach. Putin will bis Lissabon das Sagen haben.

Russland fordert die EU direkt heraus

Würden die EU-Regierungen dies verstehen und die Schneckenhäuser einer idealisierten Vergangenheit, die Zukunft werden soll, verlassen, würden sie recht drastisch ihre Abschreckungs- und Abhaltefähigkeiten stärken, militärisch, ökonomisch und politisch. Noch gönnen sich zu viele Entscheidungsbefugte den Luxus der Scheuklappen, die in der Zufriedenheit über die eigene Moral kein Gramm widerstreitender Realität sehen wollen.

 

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Das wird auch in diesen Tagen wieder sichtbar, in denen Russland die EU direkt herausfordert. Und das auf doppelte Weise: Zum einen wird behauptet, dass die EU der Hauptabnehmer des Getreides gewesen sei, das die Ukraine per Schiff verließ. Damit soll in afrikanischen Staaten der Ruf der EU beschädigt und zudem das Argument ausgehöhlt werden, Russlands Ausstieg aus dem Getreideabkommen treffe die Ärmsten der Armen. Zum anderen droht Russland inzwischen allen Schiffen, die durch das Schwarze Meer ukrainische Häfen ansteuern. Es betrachte sie als militärische Ziele, da sie „potentielle Träger militärischer Fracht“ seien. Die Staaten, unter deren Flaggen die Schiffe fahren, würden als Konfliktpartei auf Seiten der Ukraine betrachtet werden.

Putin möchte das Schwarze Meer kontrollieren

Die EU-Staaten Bulgarien und Rumänien sind Anrainer des Schwarzen Meeres. Das hat die EU allerdings trotz zahlreicher Hinweise in der Vergangenheit nicht dazu veranlasst, sich mit dieser absehbaren geopolitischen Auseinandersetzung zu befassen. Es stehen die Außenminister jetzt vor der Frage, wie sie auf Russlands Drohung reagieren sollen.

Vor ihrem Treffen wurde bekannt, dass die militärische Unterstützung der Ukraine deutlich erhöht und bis 2027 gesichert werden soll. Das liegt im europäischen Interesse, soll der imperialistische Ausgriff Russlands weiterhin erfolglos bleiben. Ob es hinsichtlich der Schifffahrt im Schwarzen Meer weitergehende Entscheidungen gibt, bleibt abzuwarten. Russlands Vorgehen ist länger vorbereitet; auf eine Reaktion haben sich die EU- und Nato-Staaten – die Türkei ist ebenfalls Anrainer des Schwarzen Meeres – bisher wohl nicht verständigt.

Russland will den Konflikt ausweiten. Ein militärisch durchgesetztes Exportverbot für ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer, das durch den Landweg nicht kompensiert werden kann, würde durch die Verknappung die Preise steigen lassen. Durch die Vernichtung von Getreidesilos hat Russland schon mehr als 60.000 Tonnen Getreide zerstört. Dass Putin einerseits afrikanische Staaten von russischen Lieferungen abhängig machen möchte (weil Alternativen fehlen) und andererseits Hunger und Migration schüren will, ist offensichtlich. Wie die EU hierauf reagiert, ist noch nicht erkennbar.

Einigkeit in Lageanalyse und Reaktion unerlässlich

Dabei war der Hauptabnehmer ukrainischen Getreides über die Schiffsroute China. Auch die Türkei hat davon große Mengen importiert, und steigende Preise kann der türkische Präsident gerade bei Lebensmitteln gerade nur schwer verkraften. Steigende Steuern haben erst kürzlich die Benzinpreise erhöht. Auf diesem Weg versucht Putin, die Türkei unter Druck zu setzen, denn in Russland wird gerade eine Diskussion begonnen, die eine türkisch-russische Auseinandersetzung am Horizont sieht.

Das verwundert angesichts der geschichtspolitischen Ausrichtung Russlands nicht, denn beide „Reiche“ hatten vielfache regionalpolitische Konflikte. Mit dem Erstarken regionaler Mächte kann dies wieder relevant werden. Auch dieses Verhältnis sollte die EU eng beobachten und die Türkei – ebenfalls ein Thema auf der Außenministertagung – nicht nur hinsichtlich ihrer inneren Repression beobachten.

Russlands Krieg um die Vorherrschaft in Europa hat die EU vor neue geopolitische Aufgaben gestellt. Die wichtigste ist, Einigkeit in Lageanalyse und Reaktion herzustellen. Das ist für eine große Staatengruppe schon herausfordernd genug. Die EU muss sich parallel immer weiteren geopolitischen Aufgaben zuwenden, dem Mittelmeer, Nordafrika, dem Mittleren Osten – und eben auch dem Schwarzen Meer. Russland will das Schwarze Meer zu einem Russischen Meer machen (so wie China das Südchinesische Meer zu einem Chinesischen). Dagegen muss die EU, gemeinsam mit den USA, Großbritannien und der Türkei, vorgehen. Wie sie dies bewerkstelligt und welche Fähigkeiten sie sich zukünftig zulegt, wird über die Souveränität der EU-Staaten entscheiden.

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