Putin und Erdogan in Teheran - Treffen der revisionistischen Mächte 

Wladimir Putin und der türkische Präsident Erdogan reisen zu einem Treffen mit dem iranischen Staatschef Ebrahim Raisi nach Teheran. Offiziell geht es bei dem Gipfel um die Interessen der drei Länder in Syrien. Doch dürfte es Russland auch um Unterstützung im Ukraine-Krieg gehen. Das Treffen demonstriert damit auch das zunehmende Gewicht der Regionalmächte - ebenso wie schon der Besuch Bidens in Saudi-Arabien.

Warten auf Putin: Ebrahim Raisi, Präsident des Iran, begrüßt Tayyip Erdogan im Saadabad-Palast / dpa
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Autoreninfo

Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin u.a. zum politischen Islam und zum Terrorismus.

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Wenn die Präsidenten Putin, Erdogan und Raisi eines gemein haben, ist es ihr erklärter und in der Praxis demonstrierter Wille, die bisherige politische Ordnung im Nahen Osten und in der Weltpolitik zu ihren Gunsten zu revidieren. Putins Russland will seinen alten Weltmachtstatus zurück, greift seit 2008 im postsowjetischen Raum aus und hat zuletzt zu diesem Zweck die Ukraine überfallen. Die Türkei Erdogans folgt ähnlichen, wenn auch etwas bescheideneren Zielen, die vor allem im Kaukasus, in Syrien, dem Irak und Libyen, aber auch im östlichen Mittelmeer liegen – das Land soll mindestens dort Regionalmacht werden. Der Iran schließlich expandiert seit Jahren im Nahen Osten, wo er infolge der Konflikte im Irak, Syrien, im Libanon und Jemen seinen Einfluss massiv ausweitete. 

Offiziell geht es bei den Gesprächen Russlands, der Türkei und Irans in Teheran um den Konflikt in Syrien. Seit 2017 treffen sich Vertreter der drei Staaten im sogenannten „Astana“-Prozess, um sich über ihre jeweiligen Rollen im syrischen Bürgerkrieg auszutauschen und eine Eskalation untereinander zu vermeiden. Russland und Iran stehen auf der Seite des Regimes von Präsident Bashar al-Assad, doch während Moskau gerne einen möglichst starken und eng verbündeten Zentralstaat sähe, zielt Teheran eher auf ein schwächeres Gebilde ab, in dem die iranischen Revolutionsgarden und mit ihnen verbündete Milizen – ähnlich der Hisbollah im Libanon – frei schalten und walten können.

Die Türkei hingegen stützt sunnitische Aufständische, die immer noch die Provinz Idlib im Nordwesten des Landes kontrollieren. Ankaras wichtigstes Ziel ist es jedoch nicht mehr, Assad zu stürzen, sondern die Entstehung eines syrischen Kurdenstaates zu verhindern. Aus ihrer (nicht unbegründeten) Sicht sind diejenigen Kurden, die heute große Teile Ostsyriens kontrollieren, der syrische Ableger der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und damit eine Bedrohung für den türkischen Staat. Schon 2016, 2018, und 2019 intervenierten türkische Truppen und besetzten syrische Gebiete nahe der Grenze, doch hat Präsident Erdogan einen erneuten Angriff angekündigt, für den er in Teheran wohl grünes Licht vor allem Russlands will.     

Istanbul ist zur wichtigen diplomatischen Verbindungslinie für Moskau geworden

Noch ist unklar, was Putins Preis für eine solche Zustimmung sein könnte, doch dürfte er mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhängen. Dieser hat das Verhältnis der drei Staaten untereinander verschoben. Putin befindet sich insgesamt in einer gegenüber den Jahren vor 2022 geschwächten Position, was sich schon an Berichten ablesen lässt, russisches Militär werde aus Syrien abgezogen, um in der Ukraine eingesetzt zu werden. Damit ist Putin nicht mehr in der Lage, eine Entscheidung im Konflikt um Idlib herbeizuführen – auch weil die Türkei hier im Frühjahr 2020 selbst mit einem vernichtenden Angriff auf syrisches Militär die Kräfteverhältnisse demonstrierte und dafür sorgte, dass größere Attacken fortan ausblieben.

Die Türkei hat sich anschließend für eine ambivalente Politik gegenüber Russland und der Ukraine entschieden. Zum einen hat Ankara als Nato-Mitglied Waffen an die Ukraine geliefert, darunter unter anderem moderne Kampfdrohnen. Sie hat nach einigem hinhaltenden Widerstand auch dem Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands zugestimmt und Putin damit eine schwere diplomatische Niederlage beigebracht. Andererseits bietet sie sich als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine an und hat – als die Gespräche unter den Konfliktparteien ergebnislos auseinandergingen – mit Moskau Verhandlungen über die Wiederaufnahme von Getreideexporten aus der Ukraine geführt. Istanbul ist so zu einer wichtigen diplomatischen Verbindungslinie für ein teilisoliertes Moskau geworden.  

 

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Putin benötigt auch iranische Unterstützung, wie sich zuletzt an Berichten über möglicherweise bevorstehende iranische Drohnenlieferungen zeigte. Moskau und Teheran verbindet seit Jahren eine enge Beziehung, die keinem Bündnis gleichkommt, aber von gemeinsamen Interessen etwa in Syrien und einer gemeinsamen Feindschaft gegenüber den USA und dem Westen geprägt ist. Mit dem Krieg in der Ukraine wird Iran für Russland ein wichtiger Anlaufpunkt. Vermutlich wird zwar nur eine begrenzte Anzahl von Drohnen ihren Weg auf die ukrainischen Schlachtfelder finden, denn das Atomabkommen zwischen den USA und Iran steht kurz vor dem endgültigen Scheitern, und Iran könnte die Flugkörper im Falle eines israelischen Angriffs auf seine nukleare Infrastruktur benötigen.

Der Iran kann Russland wichtige Transportkorridore und Know-how anbieten

Doch zeigen die Gespräche einmal mehr die (sehr unkonventionelle) militärische Stärke Irans, das mit seinen weitreichenden Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen zu der neben der Türkei und Israel stärksten Militärmacht des Nahen Ostens geworden ist und mit Angriffen etwa auf Ölanlagen in Saudi-Arabien 2019 den großen regionalpolitischen Konkurrenten zum Einlenken auf einen Entspannungskurs gezwungen hat. Schon allein um die westlichen Sanktionen zu umgehen, kann Iran Russland wichtige Transportkorridore und auch viel Know-how anbieten.  

So demonstriert der Gipfel der revisionistischen Mächte in erster Linie das steigende Gewicht der Regionalmächte, die im Verlauf des letzten Jahrzehnts auf die Schwäche des Westens und die militärische Zurückhaltung der USA reagierten, indem sie versuchten, den Nahen Osten nach ihren Vorstellungen neu zu ordnen. Neben der Türkei und Iran sind dies vor allem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die von der Regierung des US-Präsidenten Biden aufgrund ihres Krieges im Jemen und dem Mord an dem saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi lange geschnitten wurden. Mitte Juli 2022 jedoch demonstrierte Biden mit seinem Besuch in Saudi-Arabien und seinem Treffen mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman und weiteren Autokraten aus dem prowestlichen Lager die überragende Bedeutung, die Länder wie das Königreich und die VAE für die Ölmärkte und damit auch für die amerikanische Weltpolitik haben.

Ähnlich wie Putin nach Teheran kam Biden nach Riad, um sich in der Ukraine-Krise der Unterstützung wichtiger Regionalstaaten zu versichern – die aufgrund ihres Öl- und Gasreichtums schon längst zu weltpolitischen Akteuren geworden sind. Da der seit Beginn des Ukraine-Kriegs (und auch schon vorher) deutliche Trend zur Bildung zweier Lager in den nächsten Monaten und Jahren anhalten dürfte, könnte sich auch der Aufstieg der Regionalstaaten fortsetzen. Das russisch und das amerikanisch geführte Lager werden versuchen, Länder wie die Türkei, Iran, Saudi-Arabien und andere mehr auf ihre Seite zu ziehen, und diese Staaten werden versuchen, Moskau und Washington durch geschicktes Lavieren zu Zugeständnissen zu zwingen. Nur in Ausnahmefällen werden sie sich bedingungslos der einen oder der anderen Seite anschließen. In Teheran und Riad zeigt sich schlaglichtartig nicht nur die neue Stärke vieler Regionalmächte, sondern auch die Fragmentierung und Unübersichtlichkeit, die die Weltpolitik auch nach dem Ende des Ukraine-Kriegs in den nächsten Jahrzehnten prägen dürften.  

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