Verfassung und Meinungsfreiheit - „Schlacht“ um das polnische Fernsehen

Die neue polnische Regierung entlässt die gesamte Führungsriege der öffentlich-rechtlichen Medien. Abgeordnete der abgewählten PiS-Partei besetzen daraufhin das Sendergebäude. Das Verfassungsgericht bezeichnet das Vorgehen der Regierung als Verfassungsbruch.

Ex-Premier Morawiecki gibt Interviews vor dem TVP-Gebäude / dpa
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Auf den ersten Blick sieht es wie der Beginn einer Verfassungskrise in Polen aus: Der neue Premierminister Donald Tusk verteidigt die Entlassung der gesamten Führungsetage der öffentlich-rechtlichen Senderfamilie TVP als „Schritt zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“. Das Verfassungsgericht aber verurteilt das Vorgehen der neuen Regierung, die ein massives Polizeiangebot einsetzte, als Verfassungsbruch. Präsident Andrzej Duda, der aus der bisherigen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hervorgegangen ist, erklärte, der Beschluss des Sejms über die Änderungen bei TVP sei gesetzwidrig.

In der Tat sind es gewichtige Argumente gegen Tusk. Allerdings spart die vom PiS-Chef Jarosław Kaczyński protegierte Präsidentin des Verfassungsgerichts, Julia Przyłębska, den zentralen Aspekt des Konflikts aus: Die jetzige Zusammensetzung ihres Gerichts kam auf gesetzwidrige Weise zustande: Kurz vor dem Machtwechsel 2015 hatte der Sejm auf Antrag der damaligen Mitte-Rechts-Regierung fünf Nachfolger für Verfassungsrichter gewählt, deren Amtszeit in Kürze enden würde. Es war ein schwerer politischer Fehler, denn in zwei Fällen lief die Amtszeit erst nach den Wahlen 2015 aus, die Entscheidung über deren Nachfolge stand somit dem neuen Sejm zu, in dem dann die PiS über die absolute Mehrheit verfügte.

Doch ließen sich die PiS-Juristen einen Akt der Revanche einfallen: Sie ignorierten das Votum des vorherigen Sejms über die drei rechtmäßig gewählten neuen Richter. Laut der Verfassung hätte die neue Premierministerin Beata Szydło, damals noch enge Vertraute Kaczyńskis, die Benennung dieser drei Richter im Gesetzblatt veröffentlichen müssen. Sie tat es nicht, die PiS wählte stattdessen drei eigene Leute in das Gericht und dehnte durch die ebenfalls unter Bruch der Verfassung eingesetzte neue Disziplinarkammer für Richter und Staatsanwälte, die auf diese Weise abgesetzt werden konnten, ihre Kontrolle über den Justizapparat aus. Präsident Duda nickte diese schwerwiegenden Verfassungsbrüche ab. Es war ein Akt krasser politischer Dummheit, denn die Europäische Kommission und das Europäische Parlament hatten Duda davor gewarnt. In der Folge hat die EU Milliarden an Aufbauhilfe für Polen eingefroren.

Die neue Regierung hat die gesamte Führung von Polizei und Geheimdiensten ausgewechselt

Nun also die „Schlacht um TVP“, wie es ein Teil der Presse nennt. Am Mittwochvormittag wurden sämtliche Kanäle der Senderfamilie abgeschaltet, die Bildschirme blieben schwarz. Es ist unklar, ob es eine Anweisung der neuen Führung war oder ein Sabotageakt von Technikern, die mit der PiS sympathisieren. Es war ein Moment, als Kaczyński, begleitet von führenden Köpfen der PiS, auf dem Gelände des Fernsehzentrums eintraf, um, wie er es nannte, „Pluralismus und Freiheit der Medien“ zu verteidigen. Er gab bekannt, dass die PiS-Abgeordneten bereits einen Schichtplan für die Besetzung des Gebäudekomplexes erstellt hätten. Der Sejm-Marschall Szymon Hołownia forderte Kaczyński vergeblich auf, endlich den in den Wahlen vom 15. Oktober zum Ausdruck gekommenen Willen der Mehrheit und somit seine Niederlage zu akzeptieren.

Dass ausgerechnet Kaczyński, Duda und die oberste Verfassungsrichterin Przyłębska, auf deren Konto massive Verfassungsbrüche gehen, sich nun als Verteidiger eben dieser Verfassung und der Pressefreiheit in Szene setzen, ist in der Tat eine neue Qualität in dem grotesken Machtkampf an der Weichsel. Das Justizministerium, zuständig auch für das Gesetzesblatt, stellt nun jeder Entscheidung des Verfassungsgerichts, von den PiS-kritischen Medien schlicht das „Tribunal der Przyłębska“ genannt, einen Passus voran, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alle von ihr verkündeten Urteile als unwirksam ansieht, da mehrere Richter ihres Gremiums unter Bruch der Verfassung in ihre Ämter gekommen sind.

 

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Tusk und seine Mitstreiter haben offenkundig genau studiert, wie es die PiS nach ihrem Wahlsieg 2015 innerhalb weniger Monate geschafft hat, den gesamten Justizapparat sowie die öffentlich-rechtlichen Medien unter Kontrolle zu bringen. Der neue Premier setzt nun auf die Kraft des Faktischen: Kaum von der Öffentlichkeit bemerkt hat die neue Regierung die gesamte Führung von Polizei und Geheimdiensten ausgewechselt.

Gleichzeit ging ein Warschauer Gericht gegen den sinistren Mariusz Kamiński, vor, der als Innenminister und Geheimkoordinator der PiS-Regierung graue Eminenz in Warschau war und als enger Vertrauter Kaczyńskis gilt: Er wurde wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Kamiński hatte 2007 eine verdeckte Aktion gegen Politiker der Partei „Selbstverteidigung“, damals Juniorpartner der PiS-geführten Regierung, befohlen und dabei die Fälschung von Dokumenten genehmigt. Nach dem Regierungswechsel wenige Monate später wurde er in erster Instanz zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Doch wurde er 2015 nach dem Wahlsieg der PiS von Duda begnadigt. Nun nahm ein Warschauer Gericht den Faden auf und bestätigte in zweiter Instanz das erste Urteil. 

Tusk wird daran gemessen werden, ob ihm eine Verwaltungsreform gelingt

Duda zeigte sich nun empört über den neuen Urteilsspruch und kündigte an, Kamiński ein zweites Mal zu begnadigen. Hołownia aber teilt kurz und knapp mit, Kamiński werde wegen seiner Verurteilung als Straftäter wohl sein Abgeordnetenmandat verlieren. Es wäre ein schwerer Schlag für die PiS. Denn wenn Kamiński tatsächlich seine parlamentarische Immunität verliert, kann er sich nicht einem vor einer Woche beschlossenen Untersuchungsausschuss des Sejms über Machtmissbrauch der Geheimdienste unter seiner Ägide entziehen.

Dass Tusk nun auf brachiale Konfrontation setzt, um das politische Patt zu durchbrechen, belegt die von ihm benannte Führung des Kulturministeriums, das auch für die Medien zuständig ist. Neuer Kulturminister wurde Bartłomiej Sienkiewicz, der aus dem Geheimdienst kommt und unter Tusk vor zehn Jahren zum Innenminister, somit zum obersten Chef der Polizei, befördert wurde. Der Urenkel des bis heute populären Literaturnobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz, dessen Roman „Quo Vadis“ (1896) über die Christenverfolgung im Alten Rom zum internationalen Bestseller und sogar in Hollywood verfilmt wurde, gilt als „harter Knochen“, der sich nicht so leicht einschüchtern lässt. Er hat sich nun vorgenommen, den von der PiS in den öffentlich-rechtlichen Medien und den Kulturinstitutionen hinterlassenen „Augiasstall auszumisten“.

Zu Beginn seiner ersten Regierungszeit (2007–2014) hatte Tusk versprochen, nach britischem und skandinavischem Vorbild für einen öffentlichen Dienst zu sorgen, der dem Einfluss der Parteien entzogen ist. Dieses Versprechen hat er aber nicht gehalten und somit der PiS ungewollt die Übernahme des Staatsapparats nach 2015 ermöglicht. Polen ist zentralistisch regiert, die Regierung bestimmt auch die 16 Woiwoden (Regierungspräsidenten), die über große Machtbefugnisse in den Regionen verfügen. Jeder neue Woiwode brachte traditionell seine eigene Mannschaft mit, die die bisherigen Beamten oder Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Regionalsendern verdrängten, in vielen Fällen bis zur Ebene der Fahrer und Wachleute. Wie im zentralistisch regierten Frankreich wurden bei jedem Machtwechsel mehrere Zehntausend Posten im ganzen Land neu besetzt. Die Folge ist, dass Polen sich innenpolitisch nie stabilisiert hat, dass beispielsweise Entscheidungsprozesse über Großinvestitionen von jeder neuen Regierung für fehlerhaft erklärt werden. Tusk wird nun auch daran gemessen werden, ob ihm eine umfassende Verwaltungsreform gelingt.

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