Ukraine-Konferenz in Ramstein - Ein Drama im Theater der Weltpolitik

In Ramstein erlebte die Weltöffentlichkeit ein bemerkenswertes Schauspiel. Es ging nicht mehr darum, sich in einer schwierigen Lage auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen, sondern einen Verbündeten wie Deutschland als politischen Gegner bloßzustellen. Die Medien boten dafür die Bühne.

Dutzende Journalisten verfolgen den Auftakt der Ukraine-Konferenz auf der US-Airbase Ramstein / dpa
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Frank Lübberding ist freier Journalist und Autor.

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Im Jahr 1975 hatten der französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing und Bundeskanzler Helmut Schmidt die Idee, auf einem Gipfeltreffen der damals führenden westlichen Industrienationen die durch die Ölkrise verursachten weltwirtschaftlichen Turbulenzen zu besprechen. Schmidt lobte in seinen 1990 erschienenen Erinnerungen dieses erste Treffen im Schloss Rambouillet für seine Atmosphäre. Die Presse sei „weit weg“ gewesen und die „Maßregel der räumlichen und zeitlichen Distanz zu den Medien klug ersonnen.“ Schließlich habe es die Neigung mancher Konferenzteilnehmer gegeben, ansonsten die Worte „vor allem so einzurichten, dass sie auf die eigenen Medien einen möglichst guten Eindruck“ machten. 

Mit der für Schmidt typischen Ironie bedauerte er zwar die Medien für diese Form der Kontaktsperre, aber dafür hätten die Journalisten „zwei schöne arbeitsfreie Tage in Frankreich“ gehabt. Dieses Treffen war gewissermaßen die Geburtsstunde der internationalen Gipfeldiplomatie, die sich mittlerweile in zahllosen Formaten etabliert hat. Von der informellen Atmosphäre im Schloss Rambouillet blieb nichts übrig. 

Ein Medienspektakel nach Drehbuch

Heute sind solche Konferenzen zu einem Medienspektakel geworden, die von der Ankunft am Flughafen bis zur Abschlusserklärung einem Drehbuch unterliegen. So bestimmen Bilder das Konferenzgeschehen, die sich etwa in der Europäischen Union immer wieder gleichen. Die Staats- und Regierungschefs fahren in Brüssel vor, um dort vor den wartenden Journalisten kurze Stellungnahmen für das heimische Publikum abzugeben. Dem Wähler soll schließlich die eigene Bedeutung und staatsmännisches Verantwortungsgefühl vermittelt werden. 

Dabei haben die unterschiedlichen Formate ihre eingeübte Dramaturgie: So sind bei Weltklimakonferenzen auch die Nichtregierungsorganisationen eingeladen, die sich professionell mit diesem Politikfeld beschäftigen. Für die Medien eine erfreuliche Abwechslung, um nicht nur den vorgefertigten Stellungnahmen der Politiker ausgeliefert zu sein. Die dramatische Verlängerung dieser Konferenzen gehört dazu, wo sich die Teilnehmer bis zur letzten Minute um einen Kompromiss in der Abschlusserklärung bemühen. Die hat vor allem den Sinn, den beteiligten Staaten möglichst wenig Verbindlichkeit und einen innenpolitisch gewünschten Interpretationsspielraum zu ermöglichen.

Ein bemerkenswertes Schauspiel

Das alles sind Inszenierungen im Theater namens Weltpolitik, die ohne die Medien kein Publikum hätten. Zumeist handelt es sich um das zähe Ringen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, wo niemand als Verlierer vom Platz gehen muss. Das gilt nicht zuletzt und vor allem für Verbündete, die ihr Handeln auf Grundlage einer gemeinsamen Interessenlage und Werte definieren. Zwar gibt es auch dort immer Meinungs- und Interessenunterschiede, aber die dürfen die grundsätzliche Übereinstimmung nicht gefährden. 

Allerdings erlebte die Welt in den vergangenen Tagen in Ramstein ein bemerkenswertes Schauspiel. Dort trafen sich die Mitglieder der Ukraine-Kontaktgruppe, die seit dem Ausbruch des Krieges die militärische Unterstützung für die Ukraine koordiniert. Es handelt sich dabei um etwa fünfzig Staaten, die aber mit Ausnahme Bosnien-Herzegowinas die Mitglieder der NATO und der EU umfassen.
 

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Ansonsten sind dort noch die alten Verbündeten des Westens zu finden: So aus dem asiatisch-pazifischen Raum Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea. Aus Afrika Kenia, Tunesien, Marokko und Liberia. Aus dem Mittleren Osten gehören Israel, Jordanien und Katar dazu. Schließlich noch Kolumbien als einziger Staat aus Südamerika. In dieser Konstellation finden regelmäßige Treffen auf Arbeitsebene statt, die aber nur selten die mediale Aufmerksamkeit wie am vergangenen Freitag beim Treffen der Verteidigungsminister erzielen. 

Unter normalen Umständen haben solche Konferenzen zwei Adressaten: Zum einen dem Kriegsgegner Russland die Entschlossenheit des Westens und der Ukraine die tatkräftige Solidarität auszudrücken. Zum anderen ist damit eine innenpolitische Botschaft der jeweiligen Regierungen verbunden, um dort für Unterstützung zu werben.

In allen Staaten gibt es innenpolitische Kontroversen über die Ukraine-Politik, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Zudem ist die innenpolitische Bedeutung höchst unterschiedlich: So dominiert das Thema schon seit Wochen in Deutschland, während es in Israel kaum eine Rolle spielt. Dort bestimmt der Konflikt um die Justizreform der neuen israelische Regierung die innenpolitische Diskussion.

Kein vergleichbarer Fall in der Geschichte des Westens

Vor diesem Hintergrund war das Treffen der Kontaktgruppe in Ramstein einzigartig. Schon die Dramaturgie des Treffens war besonders: Erstmals sprach der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj zu den Ministern. Seine Rede und die des amerikanischen Verteidigungsministers Lloyd Austin wurden live übertragen. Sie setzten den Tonfall der Konferenz, der aber keineswegs Russland galt: Vielmehr war der eigentliche Adressat die deutsche Bundesregierung wegen ihrer fehlenden Zustimmung zur Lieferung des Kampfpanzers Leopard

Entsprechend war die Berichterstattung der Medien, die sich schon seit Wochen ausschließlich mit dieser einen Waffengattung beschäftigten, zumeist ohne den fachlichen Hintergrund der militärischen Bedeutung dieses Waffensystems für die Lage auf dem Kriegsschauplatz zu erläutern. Zudem hatten Verbündete wie Polen schon seit Monaten öffentlich auf die Lieferung dieses Waffensystems gedrängt, auf die Meinungsbildung in der Bundesregierung nahmen sie keine Rücksicht.

Schließlich hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Position schon vor Monaten klar formuliert, die Suche nach einem der Konsens im Bündnis stand nicht mehr auf der Tagesordnung. So war das diplomatische Ziel von Ramstein die Attacke auf die Bundesregierung, um als Botschaft deren „Isolierung“ und „Zögerlichkeit“ zu vermitteln. Dazu kam die innenpolitische Debatte in Deutschland, wo die meisten Medien und weite Teile der Politik inklusive der Koalitionsfraktionen ebenfalls zum Angriff auf den Bundeskanzler bliesen. 

Wahrscheinlich lässt sich in der Geschichte des Westens kein vergleichbarer Fall finden, wo ein Bündnispartner sogar als potenzieller Feind betrachtet wurde. Schließlich gingen die Vorwürfe so weit, ihm die Kollaboration mit Russland zu unterstellen. Der für seine Einfältigkeit bekannte ZDF-Unterhaltungskünstler Jan Böhmermann brachte das auf Twitter wie immer formvollendet auf den Punkt: „Was weiß Russland über Olaf Scholz, was wir nicht wissen?“ Einem Bundeskanzler Landesverrat zu unterstellen, passierte zuletzt im Konflikt um die Ostpolitik Anfang der 1970er Jahre. Damals forderten Alt- und Neonazis: „Willy Brandt an die Wand.“

Wer bekommt den Schwarzen Peter?

Selbstredend weiß niemand, wie sich die Teilnehmer in Ramstein jeweils zu dieser Frage der Waffenlieferungen positioniert haben. Der erst wenige Tage im Amt befindliche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) widersprach dann auch in seiner ersten Pressekonferenz diesem Eindruck. Bisher beschränkte sich die Lieferung schwerer Kampfpanzer auf sowjetische Modelle aus den Beständen osteuropäischer Nato-Mitglieder. Lediglich Großbritannien hat die Lieferung von vierzehn Exemplaren aus der eigenen Produktion zugestimmt. Die Vereinigten Staaten mit dem weltweit größten Bestand an schweren Kampfpanzer vom Typ „Abrams“ lehnten deren Lieferung im Vorfeld von Ramstein mit dem Hinweis auf „technische Schwierigkeiten“ ab. 

In der medialen Inszenierung dieses diplomatischen Dramas namens „Ramstein“ war das einer der Höhepunkte. Die fachliche Begründung konnte wohl niemanden überzeugen, der sich in der Vergangenheit einmal mit der Materie beschäftigt hatte. Es ging lediglich darum, der Bundesregierung die Verantwortung für die Verweigerung zuzuweisen. Dieser Schachzug musste die Bundesregierung in ein Dilemma stürzen: Entweder revidiert sie ihre Position oder sie bekommt via Washington den Schwarzen Peter zugeschoben. Wie jeder andere Regierungschef muss Scholz außenpolitische Erwägungen mit der innenpolitische Stimmungslage in Übereinstimmung bringen. 

So ist sein Amtskollege Joe Biden in den Vereinigten Staaten ebenfalls mit innenpolitischen Konflikten beschäftigt, wie dem Auffinden von als geheim klassifizierten Dokumenten in seiner Garage im heimatlichen Delaware. Die Lieferung von schweren Kampfpanzern könnte ihn zusätzlich in Bedrängnis bringen. So kam es zum nächsten Akt in diesem über die Medien als Bühne ausgetragenen Schauspiel. Scholz ließ über die Presse sein Junktim über die Verknüpfung der eigenen Leoparden mit den amerikanischen Abrams verkünden. Nun lag der Schwarze Peter wieder in Washington, was dort so kurz vor Ramstein verständlicherweise als unfreundlicher Akt interpretiert wurde. 

Tiefe Ratlosigkeit des Westens

Entsprechend soll es im Vorfeld des Stückes namens „Ramstein“ zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) und Austin gekommen sein, wie die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf amerikanische Quellen berichtete. Der Artikel erschien zwei Tage nach der Konferenz, gewissermaßen eine Rezension aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium.

Dafür betonte der deutsche Verteidigungsminister zuletzt bei Anne Will, er habe weder Kenntnis von dem Junktim noch von diesem Konflikt. Immerhin gelang es ihm aber mit einem Prüfauftrag zur Feststellung lieferbarer Leopard-Panzer sein eigenes Stück ins Programm der Berliner Politikbühne aufzunehmen: Politik, Experten und Medien waren damit beschäftigt, ihre Fassungslosigkeit in unzähligen Varianten zum Ausdruck zu bringen. 

Helmut Schmidt betrachte damals den ersten Weltwirtschaftsgipfel im Schloss Rambouillet als einen Erfolg, weil das dort gefundene „gemeinsame Verständnis“ verhindert habe, dass sich die beteiligten Regierungen „blind den Verblendungen des Protektionismus und des Inflationismus hingaben“. Davon konnte in „Ramstein“ nicht die Rede sein: Es war der Versuch der Durchsetzung eigener Interessen, wo ein „gemeinsames Verständnis“ nur noch als hinderlich betrachtet wurde.

Dagegen hatten die Journalisten keine „zwei schöne arbeitsfreie Tage“ in der pfälzischen Provinz. Inhaltlich dokumentierte Ramstein aber die tiefe Ratlosigkeit nicht zuletzt in Washington, wie der Westen auf die zunehmenden militärischen Rückschläge der Ukraine reagieren soll. Darüber nicht zu reden, ist immerhin geglückt.       
 

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