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Naher Osten - Warum es keinen Frieden geben wird

Die Friedensgespräche zwischen Israel und Palästina sind in eine entscheidende Phase eingetreten. Dass sie dieses Mal erfolgreich sein werden, bleibt unwahrscheinlich. Neue Gewalt ist nicht ausgeschlossen

Autoreninfo

Christian H. Meier ist Chefredakteur der zenith, Zeitschrift für den Orient / Middle Eastern Review. Er ist Mitherausgeber des Nahost-Magazins zenith.

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1914, vor hundert Jahren, beschäftigte Sigmund Freud sich in seinem Artikel „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ erstmals mit dem Phänomen, dass manche Menschen traumatische Erfahrungen zwanghaft immer wieder nachvollziehen. Freud mochte darin keinen rechten Sinn erkennen – der Mensch strebe doch nach Lust und nicht nach Leid. Er erwog verschiedene Ursachen für diesen „dämonischen“ Charakterzug. Schließlich führte der Wiederholungszwang dazu, dass Freud 1920 seine Theorie des „Lustprinzips“ ergänzte: durch den „Todestrieb“.

Werden auch Israelis und Palästinenser zwanghaft bis zum Ende aller Zeiten ergebnislos über eine Lösung des Nahostkonflikts verhandeln? Und sind die Palästinenser dazu verurteilt, stets aufs Neue Angebote auszuschlagen, die (so heißt es danach jedenfalls immer) doch ein ganz guter Deal für sie gewesen wären – nach dem berühmten Motto „they never miss a chance to miss a chance“? Fragen wie diese drängen sich auf, nun, da die neueste Auflage der Friedensgespräche in eine entscheidende Phase eintritt. Bei seinem nächsten Besuch soll US-Außenminister John Kerry konkrete Vorschläge im Gepäck haben.

Das Oslo-Trauma jedenfalls sitzt auf beiden Seiten tief. Der Friedensprozess der 1990er Jahre gilt heute gemeinhin als Luftschloss, das alles nur noch schlimmer gemacht habe. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu war ja schon damals – noch als Oppositionsführer – dagegen, und auch vielen Palästinensern ist seit langem klar, dass die Vereinbarungen ihnen in erster Linie eine Handvoll teilautonome Enklaven und eine korrupte neue Führungsschicht eingebracht haben.

Alle spielen das Spiel mit

Und trotzdem redet man nun wieder miteinander – beziehungsweise meistens mit den amerikanischen Vermittlern, die zur allgemeinen Verblüffung enormen Eifer an den Tag legen. Es rechnen zwar nicht viele damit, dass es ein Abkommen geben wird; selbst die Amerikaner sind inzwischen von ihrem ursprünglichen, ambitionierten Zeitplan abgerückt. Aber alle spielen das Spiel mit. Auch wenn Israels Verteidigungsminister sich vergangene Woche in einem Ausbruch von Offenheit über Kerrys Engagement in der Sache empörte.

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Letzteres könnte auch daran liegen, dass der US-Diplomat – völlig ungewohnt für beide Seiten – die Debatte neuerdings mit inhaltlichen Vorstößen aufmischt. Damit unterläuft Kerry eine seit Jahren eingeübte Routine: Man verhandelt gar nicht wirklich, sondern streitet hauptsächlich darüber, unter welchen Umständen man miteinander zu sprechen bereit wäre – um sich später umso vehementer Vorwürfe zu machen. Während der palästinensische Präsident Mahmud Abbas auf einem Siedlungs-Baustopp vor Gesprächsbeginn beharrt, wirft Netanyahu eine Forderung in den Raum, von der er weiß, dass sie auf Teile der Palästinenser wie ein rotes Tuch wirkt. Kurze Zeit darauf fliegen dann Raketen aus dem Gazastreifen. Und dann fliegen Raketen auf den Gazastreifen.

Man müsste an sich aber auch gar nicht mehr viel verhandeln, denn spätestens seit den Gesprächen von Taba im Januar 2001 liegen die grundsätzlichen Parameter für eine Lösung auf dem Tisch. Woran scheitert es also?

So einfach, wie es von außen betrachtet aussehen mag, ist es freilich nicht. Insbesondere auf palästinensischer Seite sind komplexe Faktoren am Werk. 20 Jahre nach dem Beginn des Osloer Friedensprozesses ist Palästina politisch und gesellschaftlich zerrüttet. Das spiegelt sich schon in der geographischen Aufsplitterung: Genau genommen gibt es inzwischen vier Palästinas – im Westjordanland, in Gaza, in der Diaspora und in Ostjerusalem. Fünf, wenn man die Palästinenser Israels hinzurechnet, die dort 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Abbas und seine Regierung sprechen nur für einen kleinen Teil von ihnen. Die letzten Parlamentswahlen in Palästina fanden 2006 statt. Seit 2007 gibt es ein politisches Schisma. Den Gazastreifen beherrscht die islamistische Hamas, im Westjordanland dominiert die säkulare Fatah. Alle Anläufe zur Aussöhnung mit dem Ziel, Neuwahlen abzuhalten – zuletzt im Sommer 2013 –, verliefen bislang ergebnislos. Dass die nationalen politischen Institutionen schon seit langem keine Legitimation durch das Volk mehr besitzen, spiegelt sich in Abbas’ Verhalten. International kann der 78-Jährige nur als moderater, konzessionsbereiter Politiker punkten – aus diesem Grund nimmt er auch an den gegenwärtigen Verhandlungen teil, gegen den Widerstand der PLO. Gerät er jedoch in den Verdacht, eine der palästinensischen Kernforderungen preiszugeben, hat er beim Volk verspielt.

Dieses Volk ist ohnehin nur noch schwer zu besänftigen. Der Status quo nagt: am nationalen Stolz, aber auch ökonomisch. Manche glauben, die Palästinenser hätten sich gar nicht so schlecht eingerichtet in den internationalen Hilfszahlungen. Das Gegenteil ist der Fall. Es mag, vor allem in Ramallah, eine dünne Schicht von Profiteuren geben; größer aber ist die Zahl junger Entrepreneure, die willens sind, einen palästinensischen Staat mit aufzubauen, aber durch politische und wirtschaftliche Gängelei Israels daran gehindert werden.

Dieser Unmut, aber auch die Missstände in der eigenen Führung haben seit 2011 zu Ansätzen eines „palästinensischen Arabischen Frühlings“ geführt – ebenso wie sich 2011 in Israel mit der „Zeltbewegung“ Widerstand gegen die Sozialpolitik der Regierung bemerkbar machte. Beide Bewegungen waren kurzlebig; die zugrundeliegende Unzufriedenheit ist jedoch nicht verschwunden.

Das Westjordanland ist mittlerweile der „wilde Westen“


Und dann ist da natürlich noch die Besatzung. Die Zahl der Siedler in Westjordanland und Ostjerusalem hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt, das Land ist zerstückelt. Gleichzeitig hat der von Israel errichtete „Sperrwall“ (der den Palästinensern weiteres Land wegnimmt) das Ziel, Selbstmordanschläge zu verhindern, weitgehend erreicht – zugleich aber auch die mentale Trennung zwischen beiden Völkern verschärft. Aus den Augen, aus dem Sinn: Nimmt man den Militärdienst einmal aus, wird die israelische Bevölkerung vom Zustand der Besatzung nur noch am Rande behelligt.

Zusammen mit dem Ende der meisten persönlichen Kontakte seit Ausbruch der Zweiten Intifada 2001 hat dies dazu geführt, dass viele Israelis kaum noch etwas über die Palästinensergebiete wissen. Das Westjordanland ist für sie so etwas wie der „wilde Westen“. Und tatsächlich nehmen die Übergriffe marodierender jüdischer Siedler dort zuletzt dramatisch zu. Aber auch die Palästinenser wehren sich neuerdings energischer.

Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist der Spielraum für Konzessionen bei der Palästinenserführung nicht groß. Die heimische Presse malt sich jetzt schon Szenarien aus, welche Zumutungen Kerry für Abbas wohl bereithalten könnte. Vor allem die Jerusalem-Frage und das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge werden als „rote Linien“ präsentiert, die Abbas nicht überschreiten dürfe – dessen Position man jedoch als äußerst schwach einschätzt.

Das Grunddilemma lautet: Aus palästinensischer Sicht kann der Ist-Zustand nicht die Grundlage von Verhandlungen sein, denn er ist die Folge von Maßnahmen Israels, die internationales Recht verletzen. Also beharrt man auf seinen Grundpositionen – während der Siedlungsbau immer weitergeht und die politische Spaltung der Palästinenser sich verstetigt. Dass die hierdurch angestaute Erbitterung sich eines Tages wieder ein Ventil suchen wird, ist nicht weniger wahrscheinlich, als dass auch die Kerry-Verhandlungen keine Ergebnisse hervorbringen werden, mit denen sich beide Seiten zufrieden geben könnten.

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