Machtkampf in Polen - Führende PiS-Politiker in Haft

In einer filmreifen Aktion sind in Polen zwei Spitzenleute der PiS-Partei festgenommen worden. Donald Tusk und seine Mannschaft sind offenkundig bereit, mit brachialen Mitteln die von Andrezj Duda willfährig genehmigte Justizreform zu ignorieren.

PiS-Anhänger demonstrieren vor dem Präsidentenpalast gegen die Festnahmen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

So erreichen Sie Thomas Urban:

Anzeige

Es war eine Aktion wie aus einem politischen Krimi und die größtmögliche Demütigung für Präsident Andrzej Duda, der sich im Machtkampf mit der neuen proeuropäischen Regierung um Donald Tusk offenkundig als Sachwalter der abgewählten nationalpopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) versteht: Am Dienstagabend verlässt eine Wagenkolonne mit Blaulicht das Gelände des Präsidentenpalasts am Rande der Warschauer Altstadt und fährt zum vier Kilometer entfernten Belweder-Palast, wo Duda den Neujahrsempfang für die belarussische Opposition gibt. 

Wenige Minuten später betritt eine Gruppe Polizisten den Präsidentenpalast, geht zielsicher zu einem der Büros und präsentiert dem dort angetroffenen früheren Innenminister Mariusz Kamiński sowie dessen Stellvertreter Maciej Wąsik, beide Spitzenleute der PiS, zwei Haftbefehle. Die ehemaligen obersten Chefs der Polizei bekommen Handschellen angelegt und werden zu einer Polizeiwache auf der anderen Seite der Weichsel fernab des Zentrums gebracht.

Politisches Asyl in Warschau

Präsident Duda hat keine Chance, die Festnahme der beiden Männer zu verhindern, mit denen er sich noch wenige Stunden zuvor hat strahlend fotografieren lassen: Als er während des Empfangs für die Belarussen, die in Warschau politisches Asyl gefunden haben, von der Aktion des Polizeikommandos in seinem Amtssitz erfährt, will er sich sofort dorthin fahren lassen. Doch ein angeblich havarierter Stadtbus blockiert mit eingeschalteter Warnblinkanlage die Ausfahrt des Belweder-Palastes. Ein Sprecher des Präsidialamtes erklärt später empört, es sei „kein Zufall“ gewesen, dass der Bus dort gestanden habe. 

Darauf verschickt Stadtpräsident Rafał Trzaskowski ein Meme mit einem Foto, das ihn in bester Laune, umgeben von Fahrgästen, in einem Stadtbus zeigt, dazu der Text: „89 % der Warschauer und Warschauerinnen stufen den städtischen Verkehrsverbund als gut oder sehr gut ein, 93 % bewerten die Investitionen in den öffentlichen Transport als gut oder sehr gut.“ Trzaskowski war bei den Präsidentenwahlen 2020 gegen den Amtsinhaber Duda angetreten, der mit 51 Prozent knapp wiedergewählt wurde, nicht zuletzt dank einer massiven Schmutzkampagne des damals von der PiS kontrollierten Senders TVP gegen den Herausforderer.

Duda ließ noch am Dienstagabend eine Erklärung verbreiten, in der er seine Schützlinge Kamiński und Wąsik als „politische Gefangene“ bezeichnete. Warschauer Menschenrechtsorganisationen protestierten umgehend gegen dieses Etikett. Duda kündigte einen Brief an die Staats- und Regierungschefs anderer Länder an, in dem dem Kabinett Tusk schwere Rechtsverstöße und Bruch der Verfassung vorgeworfen werden. Doch Kommentatoren der Warschauer Qualitätsmedien stellten die Frage, in welcher „Informationsblase“ Duda lebe. 

Ein innenpolitisches Chaos

Denn die europäischen Gerichtshöfe haben wiederholt die von ihm abgezeichneten verfassungswidrigen Gesetzesprojekte der PiS angeprangert, auch war der von der PiS vorgeschlagene Kandidat für das Amt des Europäischen Ratspräsidenten 2017 bei der Abstimmung der Regierungschefs mit 1:27 untergegangen, sogar Viktor Orbán hatte sich gegen ihn gestellt. Überdies hat die US-Botschaft in Warschau wiederholt unverblümt die PiS-Attacken auf die Gewaltenteilung kritisiert. Der einzige, der sich über das innenpolitische Chaos an der Weichsel freue, so meinten mehrere Kommentatoren, sei Wladimir Putin im Kreml.

Kernpunkt des Konflikts ist der Streit über die Begnadigung der beiden Delinquenten durch Duda im Jahr 2015. Beide wurden wegen Amtsmissbrauchs an der Spitze der Antikorruptionsbehörde CBA während der kurzen Regierungszeit Jarosław Kaczyńskis (2006-2007) zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. CBA-Agenten, die sich als Geschäftsleute ausgaben, machten damals engen Mitarbeitern von Kaczyńskis unbequemem Koalitionspartner, dem radikalen Bauernführer Andrzej Lepper, ein Korruptionsangebot. Doch erfuhr Lepper von dieser Provokation, die Regierungskoalition platzte. Die ganze Aktion war indes illegal, denn das polnische Strafrecht verbietet Tätigkeiten, die zu Straftaten provozieren sollen.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Es war bei weitem nicht die einzige dieser rechtswidrigen Aktionen, die das Tandem Kamiński und Wąsik, offenkundig im Auftrag Kaczyńskis, eingefädelt haben soll. Am schwersten wiegt dabei der Vorwurf, vor den Sejm-Wahlen 2019 mit Hilfe des Ausspähprogramms Pegasus das Handy des Abgeordneten Krzysztof Brejza, des Kampagnenleiters der oppositionellen Bürgerplattform (PO), infiltriert zu haben. Die Aktion, bei der die Kamiński und Wąsik unterstehende CBA insgesamt rund 80.000 Datensätze Brejzas und seiner Kontakte mitgelesen haben soll, wurde zwei Jahre später vom kanadischen Universitätsinstitut Citizen Lab aufgedeckt, das sich auf die Analyse von institutionellem Missbrauch spezialisiert hat, Digitalexperten von Amnesty Internationale bestätigten diesen Befund. 

Die neue Parlamentsmehrheit hat einen Untersuchungsausschuss dazu beschlossen, ehemalige CBA-Agenten haben Presseberichten zufolge bereits angefangen „zu singen“. Es ist also damit zu rechnen, dass weitere Strafprozesse folgen werden; dass es also nicht bei den zwei Jahren Gefängnis für Kamiński und Wąsik bleiben wird. Auch wurde berichtet, dass beide gezielt kompromittierende Informationen aus dem Privatleben von Politikern der Opposition an Journalisten weitergegeben haben, darunter an einen in Berlin akkreditierten polnischen Korrespondenten.

Noch ein Rechtsbruch Dudas

Die Begnadigung der beiden durch Duda wurde allerdings 2023 durch die Kammer für Strafsachen des Obersten Gerichts für unwirksam erklärt: Formale Voraussetzung dafür ist eine rechtskräftige Verurteilung, doch in der Causa der beiden stand noch die zweite Instanz an, das Verfahren war also noch nicht abgeschlossen. Dieser Richterspruch offenbarte, wie sehr die sogenannte Justizreform der PiS die Richterschaft gespalten hat, denn er erfolgte gegen den Willen der Vorsitzenden des Obersten Gerichts Małgorzata Manowska, die Duda auf Vorschlag der PiS ernannt hatte, obwohl zwei Drittel der stimmberechtigten Richter aus dem Wahlgremium sie abgelehnt hatten. Auch dieser Schritt Dudas war nach Meinung renommierter polnischer Juristen ein Rechtsbruch.

Nun wurde zusätzlich bekannt, dass Duda am Wochenende Manowska persönlich aufgesucht hat, um mit ihr zu beraten, wie Kamiński und Wąsik die Haftstrafe erspart bleiben könne, die in der Berufungsverhandlung vor Weihnachten bestätigt, allerdings auf zwei Jahre verkürzt worden ist. 

Rücktrittsforderungen an Duda

Für die Hauptstadtpresse ist dieses vergeblich geheimgehaltene Treffen der Nummer Eins der Exekutive mit der obersten Richterin ein weiterer Skandal, der die von der PiS forcierte Aufhebung der Gewaltenteilung bestens illustriere. Der frühere Präsident Lech Wałęsa forderte Duda zum Rücktritt auf. Nicht minder attackierten frühere Vorsitzende des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichts Duda dafür, dass er zwei rechtskräftig verurteilten Straftätern Zuflucht ausgerechnet im Präsidentenpalast gewährt hat. Die beiden fühlten sich offenbar so sicher, dass sie nach Angaben von Anwesenden von dem Eintreffen des Polizeikommandos völlig überrascht wurden. Kamiński kündigte nach seiner Festnahme einen Hungerstreik an.

Warschauer Zeitungen berichteten, dass Kaczyński und seine Gefolgsleute geplant hatten, Kamiński und Wąsek an diesem Mittwoch im Sejm auftreten zu lassen, obwohl der neue Sejm-Marschall Szymon Hołownia deren Mandate unmittelbar nach der Verkündigung des Warschauer Urteilsspruchs für erloschen erklärt hatte. Mehrere PiS-Abgeordnete hätten einen Kordon um die beiden bilden und so der Parlamentswache die Möglichkeit nehmen sollen, den beiden den Zutritt zu blockieren. Die Aktion von Dienstagabend hatte allerdings auch Kaczyński völlig überrascht, er gab nämlich genau in diesen Minuten ein Interview, in dem er versicherte, dass er für deren Freiheit garantiere.

Mit brachialen Mitteln 

Die Festnahme der beiden höchst umstrittenen Spitzenleute der PiS zeigt erneut, dass Tusk und seine Mannschaft bereit sind, mit brachialen Mitteln die von Kaczyński vorangetriebene und von Duda willfährig genehmigte Justizreform zu ignorieren. Sie haben dabei kräftigen Rückenwind von den europäischen Gerichtshöfen bekommen. Schon bei der rechtlich durchaus umstrittenen Entlassung der PiS-nahen Führungen in den staatlichen Medien hat die neue Regierung im Hauruckverfahren kurz vor Weihnachten vollendete Tatsachen geschaffen.

In Warschau wird nun mit einer Revancheaktion Dudas gerechnet: Er könnte den Haushaltsentwurf an das von PiS-Sympathisanten dominierte Verfassungsgericht weiterleiten. Da der Sejm nach dem Erlöschen der Mandate Kamińskis und Wąsiks derzeit nur 458 anstatt der von der Verfassung festgeschriebenen 460 Abgeordneten zählt, könnte das Gericht befinden, dass die Parlamentsabstimmung über den Haushalt nicht rechtmäßig gewesen sei. Dies könnte für Duda ein Vorwand sein, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen.

 

Anzeige