Krisenreport Europa  - Spanien: Energieinsel der Seligen?  

Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens schlagen auf Europa zurück. Inflation, Energieknappheit und Währungsschwäche sind nur einige Folgen, mit denen die EU-Staaten zu kämpfen haben. Doch wie ist die Stimmung in der Bevölkerung, und mit welchen Schwierigkeiten haben die einzelnen Länder konkret zu kämpfen? Eine Sommerserie über einen kriselnden Kontinent. Teil 5: Spanien.

Madrid / dpa, Hermann
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Julia Macher lebt als Journalistin in Barcelona und berichtet seit vielen Jahren von der iberischen Halbinsel.

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Waldbrände, Querelen im katalanischen Parlament, Wasserknappheit: Beim Blick auf die Titel der spanischen Zeitungen scheint der Ukraine-Krieg weit weg, viel mehr als die 2862 Kilometer Luftlinie, die die Hauptstädte Kiew und Madrid geographisch trennen. Seit Wochen macht immer wieder das Stichwort „Insel“ die Runde, meist in Verbindung mit Energie.  

Die Abhängigkeit Spaniens vom russischen Gas ist gering. Den Großteil seines Pipeline-Gases bezieht das Land traditionell aus Algerien, über Pipelines durchs Mittelmeer. Da auch das nordafrikanische Land es versteht, Gas als politisches Druckmittel einzusetzen, steigt der Import von Flüssiggas aus den USA, das gekühlt auf minus 160 Grad in großen Tankern über den Atlantik geschippert wird. Seit Anfang des Jahres haben die USA ihre Exporte nach Spanien verdreifacht.  Mit sechs LNG-Häfen hat das südeuropäische Land die notwendige Infrastruktur für die Umwandlung des Flüssiggases. Das Ergebnis: Die spanischen Reservoirs sind zu einem Dreiviertel voll, deutlich mehr als der EU-Durchschnitt.  

Die Unabhängigkeit vom russischen Gas verdankt sich weniger politischer Weitsicht als vielmehr einer historischen Notwendigkeit. Vom europäischen Versorgungsnetz ist Spanien abgeschnitten, nur zwei kleine Pipelines führen durch die Pyrenäen. Also musste man beizeiten nach Alternativen suchen. Doch die spanische Regierung wusste die Insellage in den letzten Monaten politisch für sich zu nutzen. Wie auch das Nachbarland Portugal durfte Spanien nach dem EU-Gipfeltreffen im März Strom- und Gaspreis vom europäischen Richtwert entkoppeln und konnte so im eigenen Land die Kosten deckeln. Auch bei der Debatte um den europäischen Notfallplan gab sich das Land kämpferisch. „Wir können kein unverhältnismäßiges Opfer annehmen, schließlich haben wir nicht über unsere Verhältnisse gelebt“, sagte die sonst eher zurückhaltende Ministerin für ökologische Transition Teresa Ribera – und setzte sich durch. Spanien wird in den nächsten Monaten nur sieben Prozent Gas einsparen, halb so viel wie die anderen EU-Staaten. Der Erfolg hat die spanische Linkskoalition offensichtlich zu weiteren Initiativen ermuntert: Nach der Sommerpause will Spanien der EU-Kommission eine Neuregulierung des Strommarktes vorschlagen.  

Die Energiepreise steigen auch in Spanien ebenso wie die Inflation

Trotzdem: Eine Energieinsel ist noch lange keine Insel der Glückseligen. Die Energie- und Treibstoffpreise steigen auch in Spanien ebenso wie die Inflation: Im Juni kletterte die Inflationsrate auf 10,2 Prozent, so viel wie zuletzt 1985. Und das spüren die Verbraucher beim Einkauf. Speiseöl ist bis zu 48 Prozent teurer geworden, Eier um 21,6 Prozent, Milch um 13,2 Prozent. Und für den Strom aus der Steckdose, das Gas aus dem Herd zahlen die Spanier knapp 40 Prozent mehr.  


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Ob an der Supermarktkasse oder beim Frühstückskaffee am Tresen der Bar: Das Augenrollen über die steigenden Preise gehört inzwischen ebenso zum Smalltalk-Ritual wie früher die Ergebnisse vom FC Barcelona oder Real Madrid. Bereits seit Anfang des Jahres beschäftigt die wirtschaftliche Entwicklung die Spanier stärker als die Corona-Pandemie, doch jetzt hat sie noch einmal deutlich zugelegt. Laut dem monatlichen Stimmungsbarometer des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS steht die Sorge um die Wirtschaft bei jedem Vierten ganz oben auf dem persönlichen Sorgenranking. Über 70 Prozent bezeichnen die Lage als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Allerdings behaupten knapp 64 Prozent von sich, ihnen persönlich gehe es gut oder sehr gut. Für den Rest hat der mit einem guten Instinkt für Stimmungen ausgestattete spanische Premier ein paar Überraschungen aus dem Hut gezaubert: Zwischen September und Dezember werden in ganz Spanien für Pendler alle Nahverkehrszüge kostenlos nutzbar sein, die staatlichen Hilfen für Studenten und Schüler werden um 100 Euro erhöht, und Banken und Energie-Unternehmen müssen ihre Gewinne extra besteuern. „Diese Regierung wird nicht zulassen, dass sich einige wenige am Leiden der Mehrheit bereichern“, so Pedro Sánchez Mitte Juli.  

Die unerwartete Ankündigung war auch ein vorgezogenes Wahlgeschenk. Im November nächsten Jahres stimmt Spanien über seine neue Regierung ab. Bisher hat Pedro Sánchez seine fragile Minderheitsregierung einigermaßen geschickt durch Katalonien-, Corona- und Ukraine-Krise navigiert. Aber in den jüngsten Umfragen holt die konservative Volkspartei Partido Popular auf und hat die regierenden Sozialisten der PSOE im Juli erstmals seit Jahren wieder überflügelt. 

Der Tourismus rettet die spanische Wirtschaft

Auch deswegen zog Sánchez bei der rituellen Pressekonferenz kurz vor den Sommerferien noch einmal alle Trümpfe aus der Tasche. 30 Milliarden Euro habe seine Regierung seit der Ukraine-Krise in Hilfs- und Fördermaßnahmen gesteckt, doppelt so viel wie etwa „das von der Energiekrise sehr viel stärker betroffene Deutschland“. Seit der russischen Invasion habe man immer an der Seite des ukrainischen Volkes gestanden. „In erster Linie aber waren wir an der Seite der spanischen Bevölkerung“, sagte der spanische Premier.   

Seinen Urlaub wird Sánchez mit Frau und Hund übrigens auf der Kanareninsel Fuerteventura verbringen. Ferien im eigenen Land haben in Spanien eine lange Tradition, bei Politikern haben sie immer auch eine politische Botschaft. Es ist ein augenzwinkerndes: „Guckt doch: Wird schon wieder.“  

Mit Einbußen von 70 Prozent wurde in Spanien keine Branche von der Corona-Krise so hart gebeutelt wie der Tourismus. Jetzt sind Hotels, Restaurants und Bars wieder voll. Über die Ramblas in Barcelona schieben sich wie eh und je die Massen. Und an der Costa del Sol quetscht sich Handtuch an Handtuch. Die Tourismuslobby Exceltur geht davon aus, dass die Branche in diesem Jahr Umsätze von knapp 141,69 Milliarden Euro erwirtschaften wird: 91,6 Prozent des Tourismus-BIP von 2019, dem vorpandemischen Rekordjahr.  

Bereits während der Finanzkrise 2008–2013, als in Spanien erst das Baugewerbe und dann das Bankensystem kollabierte, sicherte der Fremdenverkehr die wirtschaftliche Erholung. Und das scheint sich nun zu wiederholen. Trotz mahnender Stimmen über die ökologische Unverträglichkeit von Billigfliegern und immer blauen Pools: Wenn er Schmerzen lindert, lutscht man den Tourismus-Drops gern. 

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