Krieg und Moral - Ein Staat darf sich nicht erpressen lassen

In Deutschland hält fast die Hälfte der Bevölkerung das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen für übertrieben. Einmal mehr siegen hierzulande Gefühl und Betroffenheit über Analyse des militärisch und politisch Notwendigen.

Die andere Wange hinzuhalten, ist keine politische Handlungsempfehlung, schon gar nicht gegenüber der Hamas / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Krieg ist unmoralisch. Daran gibt es wenig rumzudeuteln. Denn im Krieg sterben Menschen. Und jedes ausgelöschte Leben ist eines zu viel. Einzelne Menschen zu opfern, und sei es für die gerechteste Sache der Welt, ist geradezu obszön.

Aber leider gibt es nicht nur diese individualethische Perspektive, sondern auch eine politische. Und in dieser geht es um übergeordnete Interessen, um Güterabwägung, um langfristige Perspektiven und Kosten-Nutzen-Analysen. Auf dieser politischen Ebene kann und muss das erlaubt sein, was auf individualethischer Perspektive skandalös ist: das gezielte Töten von Menschen. Das ist keine frohe Botschaft, und es wäre schön, wenn die Welt eine andere wäre, doch die Welt ist so wie sie ist.

Selbstverständlich werden an dieser Stelle viele Kirchentagschristen auf Matthäus 5,39 verweisen, wo man das berühmte Zitat findet: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Aber auch hier gilt: Das ist keine politische Empfehlung. Jesus ging es hier um den Einzelnen in einer endzeitlichen Welt. Als Handlungsanleitung für den Staat oder auch nur für den Bürger der Moderne taugt sie nicht und war sie auch nicht gedacht.

Massenmörder gewähren lassen kann keine Option sein

Sehr viel passender für die derzeitige Situation im Gazastreifen ist ein alttestamentliches Zitat aus Hosea 8,7: „Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten.“ Bedeutet: Als die Hamas am 7. Oktober Israel angriff, mindestens 1400 Menschen bestialisch ermordete und mehr als 200 weitere entführte, wusste sie, dass es eine massive israelische Gegenreaktion geben würde. Mehr noch: Sie wollte diese Gegenreaktion provozieren. Zum einen, um die israelische Armee in die engen Gassen Gazas hineinzulocken. Vor allem aber, um Israel einen Krieg der Bilder aufzuzwingen, den Israel nur verlieren kann und der ihr weltweit, auch in den Zentren der USA und Europas, gewaltbereite Sympathisanten bescheren wird. In Israel weiß man das genau.
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Doch was zieht man aus dieser Einsicht für Konsequenzen? Nichts tun? Massenmörder gewähren lassen? Das kann keine Option sein. Also versuchen die Israelis das, was westliche Armeen in einer solchen Situation immer versuchen: möglichst präzise zu arbeiten und die unvermeidbaren Opfer unter der Zivilbevölkerung so weit es geht zu minimieren.

 

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Das ist natürlich nicht im Sinne der Hamas. Also verschanzt sie sich in und vor allem unter zivilen Wohnvierteln, insbesondere unter solchen Einrichtungen, deren Zerstörung besonders leicht Empörung auslöst: Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser.

Aus Sicht der Hamas ist dieses zynische Vorgehen sogar rational. Da sie keinen offenen Krieg gegen Israel gewinnen kann, versucht sie, das Vorgehen Israels (und damit langfristig den gesamten israelischen Staat) zu delegitimieren. Wie erfolgreich diese Strategie ist, wenn sie auf eine Bevölkerung trifft, die sich vor allem von Gefühlen und nicht von politischen Analysen beeinflussen lässt, zeigte jüngst eine Umfrage von Infratest Dimap. Demnach sind 41 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass die militärische Reaktion Israels zu weit geht – obwohl diese zu diesem Zeitpunkt nicht einmal richtig begonnen hatte.

Die zivilen palästinensischen Opfer sind Opfer der Hamas, nicht Israels

Krieg bedeutet immer unschuldige Opfer. Im Falle Gazas ist die Sache jedoch noch tragischer und zynischer: Die Hamas benutzt die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschild und zugleich als Kanonenfutter in einem Medienkrieg. Israel reagiert auf diese humane Herausforderung, indem es bereit ist, israelische Soldaten zu opfern, um palästinisches Leben zu schonen. Schließlich wäre es sehr viel einfacher, Gaza großflächig zu bombardieren, statt sich mühsam und unter eigenen Verlusten durch das Tunnelsystem der Hamas zu kämpfen.

Das Unbehagen in Deutschland gegenüber dem militärischen Vorgehen Israels kann man aus humanistischen Gründen verstehen. Dennoch ist es naiv und klammert die analytische Ebene zugunsten emotionaler Betroffenheit aus. Ein Staat darf sich nicht erpressen lassen, nicht mithilfe von Geiseln, nicht mit Bildern von zivilen Opfern militärischer Operationen. Das nämlich wäre der Sieg der Terroristen.

Dies gilt umso mehr, als die zivilen Opfer von Gaza tatsächlich Opfer der Hamas sind – und nicht der israelischen Armee. Wie jede Guerilla-Organisation nutzt sie ihre Position aus, um sich hinter Zivilisten zu verstecken. Das darf kein Freibrief für großflächige Zerstörungsorgien sein. Aber klar ist auch: Ein Land, das langfristig überleben und seine Bevölkerung schützen will, darf sich durch diese barbarische Taktik nicht beeindrucken lassen.

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