Korruptionsvorwürfe gegen Eva Kaili - Die Abgründe des „Katargates“

Die Korruptionsvorwürfe gegen die EU-Parlamentarierin Eva Kaili sind überaus unangenehm für Brüssel – könnten aber nur die Spitze des Eisbergs sein. Ein Vorwurf lautet: Das Parlament habe jahrzehntelang zugelassen, dass sich eine „Kultur der Straflosigkeit“ entwickelt.

Anzeige

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Anzeige

Roberta Metsola hatte es eilig, verdächtig eilig. Nur vier Tage, nachdem die belgische Justiz ihre Ermittlungen in der bisher größten und wohl auch brisantesten Korruptionsaffäre der EU-Geschichte aufgenommen hat, machte die Präsidentin des Europaparlaments bereits Tabula rasa. Die Hauptverdächtige, die griechische Sozialdemokratin Eva Kaili, wurde mit sofortiger Wirkung ihres Amtes enthoben. Bisher hatte sie Metsola als Vizepräsidentin gedient, wie 13 weitere Abgeordnete auch. Allein schon der Verdacht, dass Kaili 150.000 Euro von Katar angenommen haben soll, reichte.

Die Degradierung im Eilverfahren hat jedoch ein Geschmäckle. Schließlich ist bisher noch keine Anklage erhoben worden, die Ermittlungen der belgischen Justiz stehen noch ganz am Anfang. Metsola hat sich über die sonst unverrückbare Unschuldsvermutung hinweg gesetzt. Auch die Immunität der EU-Parlamentarier wird in diesem Aufsehen erregenden Verfahren mißachtet. Metsola wohnte sogar persönlich einer Hausdurchsuchung bei einem Abgeordneten bei. Die belgische Justiz will das so, der Souveränität des Europaparlaments spricht es Hohn.

Exkommunizierung schwarzer Schafe

Rechtsstaatliche Regeln und Verfahren scheinen keine große Rolle zu spielen, wenn es darum geht, den Ruf des Europaparlaments zu retten. Die Angst, dass Viktor Orban oder Marine Le Pen das „Katargate“ für ihre Zwecke ausbeuten könnten, diktiert das Handeln in Brüssel. Metsola will sich selbst und ihre 704 Abgeordneten-Kollegen weiß waschen, bevor das Warmlaufen für die Europawahl 2024 beginnt. Doch mit der Exkommunizierung schwarzer Schafe ist es nicht getan. Das Europaparlament ist keine Kirche, auch wenn es sich gern so präsentiert.
 

Das könnte Sie auch interessieren: 


Hochmoralische Entschließungen zum „staatlichen Terrorismus“ Russlands und politisch korrekte Resolutionen zu den „weltweiten Rechten der LGBTQ+ Community“ können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Straßburger Kammer in der Außenpolitik nicht viel zu melden hat. Wenn sich Katar tatsächlich für die Abgeordneten interessiert haben sollte, dann wohl kaum, weil diese strategische Entscheidungen treffen. Die fallen woanders – in der EU-Kommission. Sie feierte schon im Januar die „Energiepartnerschaft“ mit dem Emirat – es ging um Flüssiggas.

Die Brüsseler Behörde war es auch, die die brisante Liberalisierung der Visa-Vergabe empfohlen hat, über die das Parlament noch am vergangenen Montag abstimmen wollte. Die Abstimmung wurde dann zwar wegen des Skandals verschoben - doch die Weichen waren längst gestellt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Vize Margaritis Schinas hatten sich für Katar stark gemacht, die nun in Ungnade gefallene Kaili war dagegen nur ein kleines Licht. Warum ausgerechnet sie bestochen werden sollte, das bleibt noch aufzuklären.

Kultur der Straflosigkeit

In Brüssel wird vermutet, dass die Kataris gezielt Sozialdemokraten wie Kaili und Gewerkschafter geschmiert haben könnten, damit diese nicht Stimmung gegen die miesen Arbeitsbedingungen im Golfstaat machen. Doch bisher ist dies nur eine Vermutung, auch dies bleibt zu untersuchen. Metsola hat versprochen, bei den Ermittlungen eng mit den belgischen Behörden zusammen zu arbeiten. Sie hat sogar angedeutet, dass sie bereits seit langem in den „Fall Kaili“ eingeweiht war. Doch warum hat sie dann nicht früher gehandelt? Warum hat das Parlament auf die Justiz gewartet, und nicht selbst für Ordnung gesorgt?

Für Transparency International ist dies keine Überraschung. Das Parlament habe jahrzehntelang zugelassen, dass sich eine „Kultur der Straflosigkeit“ entwickelt, erklärte die Nichtregierungsorganisation. Schuld daran sei vor allem das Parlaments-Präsidium, erklärte der Chef des Brüsseler TI-Büros, Michiel van Hulten. Neben Metsola und ihren 14 Stellvertretern sitzen dort auch noch fünf Quösitoren (Verwaltungsexperten). Ihre Arbeit gilt als bürokratisch und intransparent, Insider sprechen von einer „Blackbox“. Wenn Metsola es ernst meint mit der Aufarbeitung des „Katargates“, dann muss sie auch dort aufräumen; an der Spitze des Europaparlaments. Ansonsten war Kaili wohl nur ein Bauernopfer, um von eigenem Versagen abzulenken.

Anzeige